Interview mit Annett Louisan
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Seit einigen Wochen ist das neueste Werk von Annett Louisan, "In meiner Mitte", erhältlich. Sie spricht in unserem Interview unter anderem über ihre Erlebnisse seit dem letzten Album, die Trennung von ihrem langjährigen, musikalischen Weggefährten Frank Ramond und ihre Konzerte, die sie im November in der Schweiz gibt.
hitparade.ch: Es sind zweieinhalb Jahre vergangen seit "Teilzeithippie". Du hast in dieser Zeit viele neue Erfahrungen sammeln können. Was waren die Höhepunkte, die Du erlebt hast?
Annett Louisan: Für mich war auf jeden Fall das Brecht-Festival in Augsburg ein Highlight. Darauf hatte ich mich sehr intensiv vorbereitet und mich auch mit dem Repertoire von Bertolt Brecht befasst. Ich habe da ganz seltene Stücke gesungen wie "Die Hollywood-Elegien". Das war schon eine Herausforderung und es war auch einfach mal etwas Anderes. Dabei habe ich gemerkt, dass ich überall auch meinen eigenen Stempel aufdrücken kann. Das hat mir grossen Spass gemacht, weil es natürlich anderer Stoff war, es war ein anderer Tonfall, und lyrisch klang es anders, es war sehr poetisch, und doch im Grunde irgendwie sehr zeitlos. Dadurch kam ich auch dazu, intensiver nach solchen Sachen zu suchen. Ich wollte herausfinden, was denn die deutsche Sprache in Sachen Texte und Gedichte zu bieten hat. Das hat mich sehr inspiriert. Ich habe noch einen kleinen Kurzfilm gedreht, das war auch eine ziemliche Herausforderung. Es war etwas Neues, vor der Kamera zu stehen und in eine Rolle zu schlüpfen. Ich weiss zwar, wie das auf der Bühne bei einem Song funktioniert, aber dies ging halt einige Schritte weiter. Das hat mir sehr viel Spass gemacht. Ich habe mich in letzter Zeit auch mit sehr, sehr vielen Musikern getroffen in Berlin und in ganz Deutschland. Für eine Weile war ich in New York, um einfach mal abzutauchen, ohne Annett Louisan, ohne dass mich irgendjemand kennt. Das hat mich wieder ein bisschen auf die Spur gebracht, das habe ich gebraucht, nach all den Jahren, nach all dem Erfolg. Einfach, um zu wissen, wie funktioniert mein Zauberstab noch?
hitparade.ch: Wie fühlt es sich an, in New York als freie Person herumzulaufen, ohne dass man an jeder Ecke angesprochen wird?
Annett Louisan: New York ist ja eine sehr eigene Stadt, man muss sich sehr beeilen, um mit Leuten in Kontakt zu treten. Das ist nicht so schwer, denn die Leute dort sind es sich gewohnt, dass alles so schnell geht. Man lernt sich kennen und dann siehst Du die Leute nie wieder, das geht alles rasend schnell. Ich war besonders beeindruckt von der Grösse: Riesige Gebäude und Brücken! Man fühlt sich wie ein winzig kleiner Wurm. Und auch die Fremdsprache, in der man lernen muss, richtig zu kommunizieren, auch tiefer zu gehen in einem Gespräch. Ich habe da einige Kurse belegt. Ich habe in New York sehr viel Gitarre gespielt und geschrieben. Es war irgendwie schön, dass man nicht auf Gewohntes zurückgreifen, sondern sich komplett neu erfinden konnte. Das ist ganz toll! Ich habe ja so ein bisschen die Neigung, dass ich manchmal Fluchtgedanken habe und stelle mir oft vor, ich würde einfach verschwinden und irgendwo in Süd-Irland wieder auftauchen. Dann würde ich dort eine Weile als Kellnerin arbeiten. Das ist mein Fernweh, das ab und zu gestillt werden muss.
hitparade.ch: Wann hast Du mit den Arbeiten für's neue Album begonnen?
Annett Louisan: Das war nach New York und nach dem Festival in Augsburg. Anfang 2010 habe ich begonnen, mich mit Ulla Meinecke zu treffen. Und auch Danny Dziuk ist eine Neuentdeckung. In Berlin sind die meisten Songs dann gemeinsam mit ihm entstanden. Wir hatten von Anfang an die gleiche Wellenlänge und den gleichen Humor, was zum Arbeiten ja sehr wichtig ist. Ich bin ihm sehr dankbar, weil er sich sehr intensiv auf meine Geschichten eingelassen hat, er ist da richtig hineingegangen und hat mir auch einen neuen Ton mitgegeben: Etwas weniger Zynismus, was für mich sehr wichtig war, und auch weniger Wortspiele. Es ging mehr hin zu Geschichten und anderen Bildern. Zu Momenten, die mich berühren. Ich finde, er hat eine wahnsinnig schöne Art, zu schreiben, das hat mir sehr gefallen. Da ist eine neue Tiefe entstanden, die ich auch ganz bewusst gesucht habe.
hitparade.ch: 4 Alben hast Du mit Frank Ramond gemacht, nun seid Ihr getrennte Wege gegangen. War Euch bei Eurem letzten Album "Teilzeithippie" schon bewusst, dass das das letzte gemeinsame Album war?
Annett Louisan: So richtig bewusst nicht, aber in mir hatte sich schon länger das Bedürfnis angestaut, dass ich irgendwann mal einen anderen Weg gehen sollte. Auch wenn alles super läuft! Normalerweise gehen die Leute ja auseinander, wenn es nicht so gut läuft, das war bei uns aber nicht der Fall. Da muss man schon ein wenig Mut aufbringen und trotz dem Spruch "Never change a winnig team" sagen, was man will. Aus künstlerischer Sicht war es für mich einfach Zeit, neue Wege einzuschlagen, auch um der Gefahr entgegenzubeugen, dass man sich wiederholt. Ein Partner, mit dem man schon so viel gemacht hat, hat ja immer eine ähnliche Sicht auf Dich. Durch den Alltag kommt man vielleicht nicht mehr von dieser Rolle weg. Wir haben uns in enger Verbundenheit getrennt und sind noch immer Freunde. Für sein neues Album habe ich beispielsweise auch gesungen. Das ist daher alles ganz toll. Wir wissen auch Beide, dass, wenn der Rucksack vielleicht irgendwann mal voll ist, dass wir wieder etwas miteinander machen werden. Es ist ja immer eine sehr gute Zusammenarbeit gewesen.
hitparade.ch: Hattest Du Kontakt mit Frank während der Arbeit bei Deinem Album?
Annett Louisan: Ja, er hatte es mir auch angeboten. Und ich habe ihn nach seiner Meinung gefragt, da ich ja diesmal quasi alleine Regie geführt habe. Auch, was die Produktion angeht. Man hat einen Produzenten gesucht, den Peter Hoffmann. Der war einfach der Richtige. Bei ihm geht es darum, auch die soziale Kompetenz einzusetzen, geschmackliche Ähnlichkeiten zu haben. Und er ist ein Freund von Produktion und Laien-Produktion. Er hatte die Möglichkeit, im Studio die Aufnahmebedingungen zu schaffen, die ich brauchte. Bei diesem neuen Album wurde fast alles live eingespielt. Auch die Gesänge sind zum Teil unbearbeitet und ungeschnitten. Sie sind einfach mit der Band zusammen aufgenommen worden, ich stand einfach in einem separaten Raum. Diese Möglichkeit hatten wir im alten Studio nicht. Und durch meine jahrelange Live-Erfahrung ist dies nun geglückt. Es war eine sehr, sehr schöne Arbeit, gerade im letzten Winter. Wir waren auf dem Land und haben zusammen gekocht und so, es war eine richtig familiäre Atmosphäre. Ich erinnere mich gerne daran zurück.
hitparade.ch: Hast Du Feedback von ihm bekommen zum neuen Album?
Annett Louisan: Er ist natürlich stolz. Er respektiert es, und er hat mir gratuliert zur Nr. 2 in der Hitparade. Ich hatte in den "Trends" sogar Einsen, das hatte ich noch nie! Es war mehr, als ich zu hoffen wagte, man kann das ja auch nie voraussetzen. Auch, wenn es mal ein bisschen anders ist und vielleicht einen Tick länger braucht - ich glaube, dass die Sachen nicht mehr ganz so eindeutig sind wie die Sachen, die Frank und ich noch zusammen gemacht haben. Die Songs waren ausgeschrieben und liessen nur wenig Platz für Interpretation. Das ist alles ganz bewusst von mir so gewählt, ich möchte ja, dass meine Lieder mit mir gemeinsam älter werden. Ich bin ja in erster Linie Interpretin und möchte gerne mehr dazulernen und mehr machen. Und da war die Arbeit gemeinsam mit Leuten, die teilweise Helden aus meiner Jugend sind, wie Annette Humpe beispielsweise, total lehrreich und toll für mich als Person.
hitparade.ch: Du hattest noch nie eine so lange Pause nach einem Album und meldest Dich mit einem neuen Autorenteam zurück. Warst Du unter diesen Umständen beim Album-Release nervöser als auch schon?
Annett Louisan: Ich war sehr nervös, natürlich! Es war schon ein ziemlicher Neuanfang. Aber ich habe viele Reaktionen von den Leuten bekommen, auch von Kritikern, die sehr positiv waren, was mich total gefreut hat. Und ich habe die Lieder schon sehr früh live auf der Bühne ausprobiert. Bereits Anfang März habe ich die Lieder gespielt, da war das Album noch nicht draussen. Das hat mir ganz viel Selbstbewusstsein gegeben, denn ich habe gemerkt, dass die Fans, die mich und mein bisheriges Repertoire kennen, diese neuen Lieder aber zum ersten Mal hören, diese einfach annehmen. Sie bringen sie zum Weinen, zum Lachen, die Leute kleben an meinen Lippen… Das war die beste Bestätigung! Ein toller Wind von hinten. So konnte ich dem Release gelassener entgegensehen. Natürlich hatte ich auch meine Ängste und war gespannt, aber ohne Risiko kein Gewinn!
hitparade.ch: Bei Deinen Fans scheiden sich offenbar die Geister. Einige vermissen die für Frank Ramond typischen Wortwitze, Andere halten es für eine künstlerische Weiterentwicklung und das beste Album. Wie stehst Du zu diesem Album?
Annett Louisan: Also, gerade Wortwitze sind ja bei mir eigentlich immer zu finden, wenn ich da an "Pärchenallergie" oder "Auf der Jagd nach Mr. Big" denke. Ich denke, Du spielst auf die "Amazon"-Bewertungen an. Gerade bei meinem ersten Album war das sehr polarisierend - Dinge, die polarisieren, sind sehr emotional. Eigentlich wäre es ja ein schlechteres Zeichen, wenn die Leute das Alle irgendwie nett finden. Dann wäre es ja nicht so aufregend. Das muss man alles hinnehmen können. Ich wollte sowieso niemals etwas bedienen, was fremde Menschen in mich hineininterpretieren. Ich bin kein Maskottchen, und ich werde auch nicht immer blond sein mit Baskenmütze und immer das Gleiche singen. In dieser Welt, in der sowieso alles immer unsicher ist, läuft man als Künstler Gefahr, immer so sein zu müssen, wie man sich das so vorstellt. Aber diese Produktionsfläche kann ich nicht geben, denn ich möchte mich weiterentwickeln dürfen.
hitparade.ch: Versuchst Du, mit dem neuen Album auch neue Leute anzusprechen?
Annett Louisan: Ich hoffe es natürlich! Es war eigentlich bei allen meinen Alben so, dass simmer mehr dazugekommen sind. Wenn ich jetzt Leute im Publikum sehe, die zu meinen Konzerten kommen, weil sie meine Lieder mögen, dann sind das sicherlich grösstenteils Leute, die vielleicht "Das Spiel" am Anfang nicht so toll fanden. Ich habe viele solcher Gespräche geführt mit Menschen, die mir gesagt haben, dass sie mich bei "Das Spiel" absolut furchtbar fanden. Die haben dann später einfach mal ein anderes Lied von mir entdeckt, dass sie mehr angesprochen hat. Und es ist doch immer so, dass man auf einem Album Sachen findet, die Einen berühren, andere wiederum überhaupt nicht. Ich denke daher, dass mit jedem neuen Album einige Leute weggegangen, andere dafür dazugekommen sind. Ich höre viel von Leuten, dass es ihnen gefällt, dass diese sehr stark vorhersehbaren Pointen diesmal fehlen und viel mehr eine Geschichte erzählt wird. Ich wollte auch live immer mehr in diese Richtung gehen. Die Geschmäcker sind halt immer unterschiedlich…
hitparade.ch: Ich mochte das Album anfangs auch nicht ganz so sehr wie die anderen Platten, doch nach mehrmaligem Hören mag ich es nun total gerne…
Annett Louisan: Meine Alben, die ich über Jahre hinweg immer wieder höre, beispielsweise Toni Mitchell oder David Bowie, das sind oft Platten, die sich mir nicht gleich erschlossen haben. Und dann gibt es Songs wie "Eve", die dann beim ersten Mal hören bereits knallen, jedoch ist der Witz eher einer, der sich schnell abnutzt. Davon ist auf dem neuen Album auf jeden Fall weniger zu hören.
hitparade.ch: Deine Songs sind sehr persönlich. Welche Songs von diesem Album bedeuten Dir am meisten?
Annett Louisan: Ja! "Pärchenallergie" ist ein Song, der gut funktioniert, da er leicht konsumierbar ist. So etwas macht live total viel Spass. Die Leute gehen durch diese Polka sofort mit! Ich finde, dass der Song "Allein und beisammen" immer grösser wird, je öfter man ihn hört - so ging es jedenfalls mir. Der Song rührt mich sehr und ist am meisten davon entfernt, was ich vorher gemacht habe, textlich wie auch musikalisch. Und der Song "In meiner Mitte" schliesst an das Outro von "Auf dich hab ich gewartet" von "Teilzeithippie" an. Für mich war das Ende der letzten Platte eine Art Neuanfang und ein Weg woanders hin. Da schliesst auf einmal das Eröffnungsstück "In meiner Mitte" an. Der Song ist sehr persönlich und zeigt meine romantische Sehnsucht nach der Welt, in der ich mich wohlfühle. Auch die Naivität, die ich ganz stark in mir habe, bei aller Leichtigkeit und bei allem Zynismus. Ich denke, in Jedem von uns stecken so viele Facetten. Je mehr man es schafft, solche Facetten an sich selbst zu entdecken und sie auch zeigen zu können, desto glücklicher kann man eigentlich auch werden. Ich habe gemerkt, wenn ich zu lange in einer Position verharre und daran glaube, dass ich genau so bin, dann stelle ich mir damit selbst immer ein Bein. Das ist die Botschaft dieses Songs: Dass man doch überraschend wenig von sich selber weiss. Wie sehr man sich doch überraschen kann! Den liebe ich sehr.
hitparade.ch: Du singst viel aus der Ich-Perspektive und die Texte handeln häufig von der Liebe oder von typisch weiblichen Gedanken. Und doch wimmelt es an Deinen Konzerten von Männern, die Deine Musik mögen. Woran liegt das?
Annett Louisan: Das Publikum kann ich nur schwer in eine Schublade packen. Mir fällt auf, dass sehr viele Pärchen an den Konzerten sind. Frauen und Männer hören meine Musik. Ich glaube, das ist eine Charakterfrage. Es gibt Leute, die behaupten, dass die Männer bei mir immer so schlecht wegkommen. Das finde ich lächerlich! Auch beim Song "Auf der Jagd nach Mr. Big" - dort geht es mir ja nicht um den Idioten, der glaubt, er könne sich mit Geld alles erlauben, sondern um die dummen und dreisten Frauen, die auf der Jagd nach ihm sind. Daher ist das ziemlich verteilt: Man muss einfach nur richtig hinhören. Es geht nicht gegen ein Geschlecht, sondern es wird von Menschen erzählt. Ich habe ein Interesse daran, das gut zu recherchieren und zu beobachten. Ich will die Dinge so darstellen, wie wir sie erleben oder erahnen hinter verschlossenen Türen.
hitparade.ch: Deine Musik lebt sehr von den Songtexten. Wenn Du privat Musik hörst - wie wichtig sind Dir da die Texte? Achtest Du speziell darauf?
Annett Louisan: Ich denke, es wird schon anders bemessen, wenn man Songs in der eigenen Sprache hört. Da rückt der Text sowieso automatisch mehr in den Vordergrund, weil man ihn sofort versteht. Bei anderssprachiger Musik merkt man das nicht sofort und es stört daher auch nicht, wenn da Aussagen dabei sind, die Einem nicht gefallen oder die zu platt sind. Im Englischen kann es mich also nicht sofort stören, weil ich das auch anders höre, da meine Muttersprache ja Deutsch ist. Für Engländer sind die englischen Texte also auch wichtig, weil sie sie verstehen. Das ist immer auch eine Frage des Blickwinkels. Ich glaube, dass ein Song aus Musik und Text besteht, sonst könnte man sich ja auch ein Buch kaufen. Ein Text macht die Musik zum Hit und die Melodie macht sie zum Evergreen. Wenn ein Text mich nicht berührt, dann kann sich ein Lied nicht lange halten. Das ist für mich die Philosophie. Wenn der Text auf Deutsch nicht gut ist, dann hat das Lied keine Chance.
hitparade.ch: Bald gehst Du mit Deiner neuen Scheibe auf Tour. Du kommst ja auch in die Schweiz…
Annett Louisan: Ich freue mich sehr darauf, in der Schweiz zu spielen. Diese Konzerte sind immer ein absolutes Highlight. In Deutschland habe ich nur selten die Möglichkeit, in Clubs zu spielen. In der Schweiz waren die Konzerte immer der absolute Renner, weil das Publikum einfach anders ist. Vielleicht liegt es daran, dass man von mir gar nicht so viel mitbekommt, sondern einfach die Musik sprechen lässt. Das alles ist irgendwie so unbefleckt, das sind immer ganz tolle Konzerte.
hitparade.ch: Was dürfen Deine Fans erwarten vom Konzert? Wieviel vom alten Repertoire wird es noch zu hören geben? Gibt es auch Songs, die Du schon lange nicht mehr gesungen hast?
Annett Louisan: Viel verändert sich live nicht. Es geht um die Musik, es geht um die Songs, es ist eine tolle Band. Wir werden wieder versuchen, alles Mögliche auszuprobieren und die Leute möglichst mit Können zu unterhalten. Das Repertoire ist auch sehr gut: Die neuen und die alten Sachen passen sehr schön zusammen. Durch die neuen Lieder wird es für mich selbst vielleicht noch eine Spur persönlicher. Die Songs sind es ja auch. Ich mache mich durch diese Songs verletzbarer, als ich es jemals zuvor gewesen bin. Das liegt vielleicht daran, dass ich das erst jetzt kann, eine verwundbare Seite zeigen. Die Annett Louisan war ja bei all dem Witz und auch den melancholischen Nummern trotzdem meist auf Distanz. Das ist für mich jetzt die erste Öffnung zu etwas Anderem. Ich kann das nicht einmal so sehr beschreiben, aber ich schlüpfe nicht mehr so gerne in Rollen. Es wird aber live noch vorkommen.
hitparade.ch: Wirst Du live Songs ausgraben von ganz früher, die Du schon lange nicht mehr performt hast?
Annett Louisan: Ja, die absoluten Burner kann ich nicht ignorieren. Also "Drück die 1" oder "Das Spiel" werden sicherlich nicht fehlen. Aber beispielsweise "Die Lüge" ist ein Song, den wir anfangs wahnsinnig gerne live gespielt haben, der hat live immer toll funktioniert. Oder der Song "Widder wider Willen" vom zweiten Album: Den haben wir selten live gespielt. Vielleicht muss man auch einmal auf Sachen verzichten, die sonst live immer gut funktioniert haben, wie beispielsweise "Chancenlos" oder "Rosenkrieg", um dann dafür andere Perlen wieder einmal auf die Bühne zu bringen. Beispielsweise "Gedacht ich sage nein" oder "Der Blender". Wer weiss. Ich schaue mal. Ich habe richtig viel Lust zu proben und eine Dramaturgie aufzubauen. Vielleicht gelingt es mir ja, dass ich die Lieder während der Tour je nach Gefühl verändern kann. Ich muss aber auch ehrlich zugeben: Inzwischen sind es so viele Lieder… Ich könnte das Meiste sofort live spielen, aber nicht alles. Es gäbe welche, die müsste ich mir wieder einige Male anhören, um sie wieder singen zu können.
hitparade.ch: Wenn Du auf "Bohème" zurückblickst: Was hat sich am meisten verändert?
Annett Louisan: "Bohème" mit "In meiner Mitte" zu vergleichen ist sehr schwer. Lustigerweise haben viele Leute, auch Medienleute oder beispielsweise Heinz von meinem Label, gesagt, das neue Album klinge wie "Bohème" 2. Obwohl es zwar ganz andere Musik sei, klinge es wie ein Neustart. Es sei eine Öffnung zu etwas Neuem, so wie damals eigentlich auch. Die Zeit ist durch eine Phase abgeschlossen worden und ich trete in etwas Neues ein und habe ganz, ganz viel gelernt. Von Frank, von Matthias, von Hardy Kaiser und von vielen Leuten, die ich in dieser Zeit getroffen habe. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass je mehr ich weitermachen werde, sich noch mehr verändern wird. Gerade in künstlerischer Hinsicht.
hitparade.ch: Welches war das schönste Erlebnis, das Dir in Deiner Karriere passiert ist?
Annett Louisan: Ich glaube, da gibt es etwas, das man nicht mehr toppen kann, trotz sehr vieler schöner Erlebnissen. Einfach der Moment, wenn man spürt: Es geht los. Man geht durch die Decke, man ist in den Charts, spürt die ersten Trends. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in München in meinem Hotelzimmer war. Den ganzen Tag lang hatte ich gearbeitet und Interviews gegeben, und dann lag ich da alleine in diesem Superding - vorher konnte ich mir so etwas niemals leisten. Mein Herz hat geklopft und ich dachte: "Du meine Güte, jetzt wird ein grosser Traum wahr!" Das ist ein Moment, den ich nie vergessen werde.
hitparade.ch: Es sind zweieinhalb Jahre vergangen seit "Teilzeithippie". Du hast in dieser Zeit viele neue Erfahrungen sammeln können. Was waren die Höhepunkte, die Du erlebt hast?
Annett Louisan: Für mich war auf jeden Fall das Brecht-Festival in Augsburg ein Highlight. Darauf hatte ich mich sehr intensiv vorbereitet und mich auch mit dem Repertoire von Bertolt Brecht befasst. Ich habe da ganz seltene Stücke gesungen wie "Die Hollywood-Elegien". Das war schon eine Herausforderung und es war auch einfach mal etwas Anderes. Dabei habe ich gemerkt, dass ich überall auch meinen eigenen Stempel aufdrücken kann. Das hat mir grossen Spass gemacht, weil es natürlich anderer Stoff war, es war ein anderer Tonfall, und lyrisch klang es anders, es war sehr poetisch, und doch im Grunde irgendwie sehr zeitlos. Dadurch kam ich auch dazu, intensiver nach solchen Sachen zu suchen. Ich wollte herausfinden, was denn die deutsche Sprache in Sachen Texte und Gedichte zu bieten hat. Das hat mich sehr inspiriert. Ich habe noch einen kleinen Kurzfilm gedreht, das war auch eine ziemliche Herausforderung. Es war etwas Neues, vor der Kamera zu stehen und in eine Rolle zu schlüpfen. Ich weiss zwar, wie das auf der Bühne bei einem Song funktioniert, aber dies ging halt einige Schritte weiter. Das hat mir sehr viel Spass gemacht. Ich habe mich in letzter Zeit auch mit sehr, sehr vielen Musikern getroffen in Berlin und in ganz Deutschland. Für eine Weile war ich in New York, um einfach mal abzutauchen, ohne Annett Louisan, ohne dass mich irgendjemand kennt. Das hat mich wieder ein bisschen auf die Spur gebracht, das habe ich gebraucht, nach all den Jahren, nach all dem Erfolg. Einfach, um zu wissen, wie funktioniert mein Zauberstab noch?
hitparade.ch: Wie fühlt es sich an, in New York als freie Person herumzulaufen, ohne dass man an jeder Ecke angesprochen wird?
Annett Louisan: New York ist ja eine sehr eigene Stadt, man muss sich sehr beeilen, um mit Leuten in Kontakt zu treten. Das ist nicht so schwer, denn die Leute dort sind es sich gewohnt, dass alles so schnell geht. Man lernt sich kennen und dann siehst Du die Leute nie wieder, das geht alles rasend schnell. Ich war besonders beeindruckt von der Grösse: Riesige Gebäude und Brücken! Man fühlt sich wie ein winzig kleiner Wurm. Und auch die Fremdsprache, in der man lernen muss, richtig zu kommunizieren, auch tiefer zu gehen in einem Gespräch. Ich habe da einige Kurse belegt. Ich habe in New York sehr viel Gitarre gespielt und geschrieben. Es war irgendwie schön, dass man nicht auf Gewohntes zurückgreifen, sondern sich komplett neu erfinden konnte. Das ist ganz toll! Ich habe ja so ein bisschen die Neigung, dass ich manchmal Fluchtgedanken habe und stelle mir oft vor, ich würde einfach verschwinden und irgendwo in Süd-Irland wieder auftauchen. Dann würde ich dort eine Weile als Kellnerin arbeiten. Das ist mein Fernweh, das ab und zu gestillt werden muss.
hitparade.ch: Wann hast Du mit den Arbeiten für's neue Album begonnen?
Annett Louisan: Das war nach New York und nach dem Festival in Augsburg. Anfang 2010 habe ich begonnen, mich mit Ulla Meinecke zu treffen. Und auch Danny Dziuk ist eine Neuentdeckung. In Berlin sind die meisten Songs dann gemeinsam mit ihm entstanden. Wir hatten von Anfang an die gleiche Wellenlänge und den gleichen Humor, was zum Arbeiten ja sehr wichtig ist. Ich bin ihm sehr dankbar, weil er sich sehr intensiv auf meine Geschichten eingelassen hat, er ist da richtig hineingegangen und hat mir auch einen neuen Ton mitgegeben: Etwas weniger Zynismus, was für mich sehr wichtig war, und auch weniger Wortspiele. Es ging mehr hin zu Geschichten und anderen Bildern. Zu Momenten, die mich berühren. Ich finde, er hat eine wahnsinnig schöne Art, zu schreiben, das hat mir sehr gefallen. Da ist eine neue Tiefe entstanden, die ich auch ganz bewusst gesucht habe.
hitparade.ch: 4 Alben hast Du mit Frank Ramond gemacht, nun seid Ihr getrennte Wege gegangen. War Euch bei Eurem letzten Album "Teilzeithippie" schon bewusst, dass das das letzte gemeinsame Album war?
Annett Louisan: So richtig bewusst nicht, aber in mir hatte sich schon länger das Bedürfnis angestaut, dass ich irgendwann mal einen anderen Weg gehen sollte. Auch wenn alles super läuft! Normalerweise gehen die Leute ja auseinander, wenn es nicht so gut läuft, das war bei uns aber nicht der Fall. Da muss man schon ein wenig Mut aufbringen und trotz dem Spruch "Never change a winnig team" sagen, was man will. Aus künstlerischer Sicht war es für mich einfach Zeit, neue Wege einzuschlagen, auch um der Gefahr entgegenzubeugen, dass man sich wiederholt. Ein Partner, mit dem man schon so viel gemacht hat, hat ja immer eine ähnliche Sicht auf Dich. Durch den Alltag kommt man vielleicht nicht mehr von dieser Rolle weg. Wir haben uns in enger Verbundenheit getrennt und sind noch immer Freunde. Für sein neues Album habe ich beispielsweise auch gesungen. Das ist daher alles ganz toll. Wir wissen auch Beide, dass, wenn der Rucksack vielleicht irgendwann mal voll ist, dass wir wieder etwas miteinander machen werden. Es ist ja immer eine sehr gute Zusammenarbeit gewesen.
hitparade.ch: Hattest Du Kontakt mit Frank während der Arbeit bei Deinem Album?
Annett Louisan: Ja, er hatte es mir auch angeboten. Und ich habe ihn nach seiner Meinung gefragt, da ich ja diesmal quasi alleine Regie geführt habe. Auch, was die Produktion angeht. Man hat einen Produzenten gesucht, den Peter Hoffmann. Der war einfach der Richtige. Bei ihm geht es darum, auch die soziale Kompetenz einzusetzen, geschmackliche Ähnlichkeiten zu haben. Und er ist ein Freund von Produktion und Laien-Produktion. Er hatte die Möglichkeit, im Studio die Aufnahmebedingungen zu schaffen, die ich brauchte. Bei diesem neuen Album wurde fast alles live eingespielt. Auch die Gesänge sind zum Teil unbearbeitet und ungeschnitten. Sie sind einfach mit der Band zusammen aufgenommen worden, ich stand einfach in einem separaten Raum. Diese Möglichkeit hatten wir im alten Studio nicht. Und durch meine jahrelange Live-Erfahrung ist dies nun geglückt. Es war eine sehr, sehr schöne Arbeit, gerade im letzten Winter. Wir waren auf dem Land und haben zusammen gekocht und so, es war eine richtig familiäre Atmosphäre. Ich erinnere mich gerne daran zurück.
hitparade.ch: Hast Du Feedback von ihm bekommen zum neuen Album?
Annett Louisan: Er ist natürlich stolz. Er respektiert es, und er hat mir gratuliert zur Nr. 2 in der Hitparade. Ich hatte in den "Trends" sogar Einsen, das hatte ich noch nie! Es war mehr, als ich zu hoffen wagte, man kann das ja auch nie voraussetzen. Auch, wenn es mal ein bisschen anders ist und vielleicht einen Tick länger braucht - ich glaube, dass die Sachen nicht mehr ganz so eindeutig sind wie die Sachen, die Frank und ich noch zusammen gemacht haben. Die Songs waren ausgeschrieben und liessen nur wenig Platz für Interpretation. Das ist alles ganz bewusst von mir so gewählt, ich möchte ja, dass meine Lieder mit mir gemeinsam älter werden. Ich bin ja in erster Linie Interpretin und möchte gerne mehr dazulernen und mehr machen. Und da war die Arbeit gemeinsam mit Leuten, die teilweise Helden aus meiner Jugend sind, wie Annette Humpe beispielsweise, total lehrreich und toll für mich als Person.
hitparade.ch: Du hattest noch nie eine so lange Pause nach einem Album und meldest Dich mit einem neuen Autorenteam zurück. Warst Du unter diesen Umständen beim Album-Release nervöser als auch schon?
Annett Louisan: Ich war sehr nervös, natürlich! Es war schon ein ziemlicher Neuanfang. Aber ich habe viele Reaktionen von den Leuten bekommen, auch von Kritikern, die sehr positiv waren, was mich total gefreut hat. Und ich habe die Lieder schon sehr früh live auf der Bühne ausprobiert. Bereits Anfang März habe ich die Lieder gespielt, da war das Album noch nicht draussen. Das hat mir ganz viel Selbstbewusstsein gegeben, denn ich habe gemerkt, dass die Fans, die mich und mein bisheriges Repertoire kennen, diese neuen Lieder aber zum ersten Mal hören, diese einfach annehmen. Sie bringen sie zum Weinen, zum Lachen, die Leute kleben an meinen Lippen… Das war die beste Bestätigung! Ein toller Wind von hinten. So konnte ich dem Release gelassener entgegensehen. Natürlich hatte ich auch meine Ängste und war gespannt, aber ohne Risiko kein Gewinn!
hitparade.ch: Bei Deinen Fans scheiden sich offenbar die Geister. Einige vermissen die für Frank Ramond typischen Wortwitze, Andere halten es für eine künstlerische Weiterentwicklung und das beste Album. Wie stehst Du zu diesem Album?
Annett Louisan: Also, gerade Wortwitze sind ja bei mir eigentlich immer zu finden, wenn ich da an "Pärchenallergie" oder "Auf der Jagd nach Mr. Big" denke. Ich denke, Du spielst auf die "Amazon"-Bewertungen an. Gerade bei meinem ersten Album war das sehr polarisierend - Dinge, die polarisieren, sind sehr emotional. Eigentlich wäre es ja ein schlechteres Zeichen, wenn die Leute das Alle irgendwie nett finden. Dann wäre es ja nicht so aufregend. Das muss man alles hinnehmen können. Ich wollte sowieso niemals etwas bedienen, was fremde Menschen in mich hineininterpretieren. Ich bin kein Maskottchen, und ich werde auch nicht immer blond sein mit Baskenmütze und immer das Gleiche singen. In dieser Welt, in der sowieso alles immer unsicher ist, läuft man als Künstler Gefahr, immer so sein zu müssen, wie man sich das so vorstellt. Aber diese Produktionsfläche kann ich nicht geben, denn ich möchte mich weiterentwickeln dürfen.
hitparade.ch: Versuchst Du, mit dem neuen Album auch neue Leute anzusprechen?
Annett Louisan: Ich hoffe es natürlich! Es war eigentlich bei allen meinen Alben so, dass simmer mehr dazugekommen sind. Wenn ich jetzt Leute im Publikum sehe, die zu meinen Konzerten kommen, weil sie meine Lieder mögen, dann sind das sicherlich grösstenteils Leute, die vielleicht "Das Spiel" am Anfang nicht so toll fanden. Ich habe viele solcher Gespräche geführt mit Menschen, die mir gesagt haben, dass sie mich bei "Das Spiel" absolut furchtbar fanden. Die haben dann später einfach mal ein anderes Lied von mir entdeckt, dass sie mehr angesprochen hat. Und es ist doch immer so, dass man auf einem Album Sachen findet, die Einen berühren, andere wiederum überhaupt nicht. Ich denke daher, dass mit jedem neuen Album einige Leute weggegangen, andere dafür dazugekommen sind. Ich höre viel von Leuten, dass es ihnen gefällt, dass diese sehr stark vorhersehbaren Pointen diesmal fehlen und viel mehr eine Geschichte erzählt wird. Ich wollte auch live immer mehr in diese Richtung gehen. Die Geschmäcker sind halt immer unterschiedlich…
hitparade.ch: Ich mochte das Album anfangs auch nicht ganz so sehr wie die anderen Platten, doch nach mehrmaligem Hören mag ich es nun total gerne…
Annett Louisan: Meine Alben, die ich über Jahre hinweg immer wieder höre, beispielsweise Toni Mitchell oder David Bowie, das sind oft Platten, die sich mir nicht gleich erschlossen haben. Und dann gibt es Songs wie "Eve", die dann beim ersten Mal hören bereits knallen, jedoch ist der Witz eher einer, der sich schnell abnutzt. Davon ist auf dem neuen Album auf jeden Fall weniger zu hören.
hitparade.ch: Deine Songs sind sehr persönlich. Welche Songs von diesem Album bedeuten Dir am meisten?
Annett Louisan: Ja! "Pärchenallergie" ist ein Song, der gut funktioniert, da er leicht konsumierbar ist. So etwas macht live total viel Spass. Die Leute gehen durch diese Polka sofort mit! Ich finde, dass der Song "Allein und beisammen" immer grösser wird, je öfter man ihn hört - so ging es jedenfalls mir. Der Song rührt mich sehr und ist am meisten davon entfernt, was ich vorher gemacht habe, textlich wie auch musikalisch. Und der Song "In meiner Mitte" schliesst an das Outro von "Auf dich hab ich gewartet" von "Teilzeithippie" an. Für mich war das Ende der letzten Platte eine Art Neuanfang und ein Weg woanders hin. Da schliesst auf einmal das Eröffnungsstück "In meiner Mitte" an. Der Song ist sehr persönlich und zeigt meine romantische Sehnsucht nach der Welt, in der ich mich wohlfühle. Auch die Naivität, die ich ganz stark in mir habe, bei aller Leichtigkeit und bei allem Zynismus. Ich denke, in Jedem von uns stecken so viele Facetten. Je mehr man es schafft, solche Facetten an sich selbst zu entdecken und sie auch zeigen zu können, desto glücklicher kann man eigentlich auch werden. Ich habe gemerkt, wenn ich zu lange in einer Position verharre und daran glaube, dass ich genau so bin, dann stelle ich mir damit selbst immer ein Bein. Das ist die Botschaft dieses Songs: Dass man doch überraschend wenig von sich selber weiss. Wie sehr man sich doch überraschen kann! Den liebe ich sehr.
hitparade.ch: Du singst viel aus der Ich-Perspektive und die Texte handeln häufig von der Liebe oder von typisch weiblichen Gedanken. Und doch wimmelt es an Deinen Konzerten von Männern, die Deine Musik mögen. Woran liegt das?
Annett Louisan: Das Publikum kann ich nur schwer in eine Schublade packen. Mir fällt auf, dass sehr viele Pärchen an den Konzerten sind. Frauen und Männer hören meine Musik. Ich glaube, das ist eine Charakterfrage. Es gibt Leute, die behaupten, dass die Männer bei mir immer so schlecht wegkommen. Das finde ich lächerlich! Auch beim Song "Auf der Jagd nach Mr. Big" - dort geht es mir ja nicht um den Idioten, der glaubt, er könne sich mit Geld alles erlauben, sondern um die dummen und dreisten Frauen, die auf der Jagd nach ihm sind. Daher ist das ziemlich verteilt: Man muss einfach nur richtig hinhören. Es geht nicht gegen ein Geschlecht, sondern es wird von Menschen erzählt. Ich habe ein Interesse daran, das gut zu recherchieren und zu beobachten. Ich will die Dinge so darstellen, wie wir sie erleben oder erahnen hinter verschlossenen Türen.
hitparade.ch: Deine Musik lebt sehr von den Songtexten. Wenn Du privat Musik hörst - wie wichtig sind Dir da die Texte? Achtest Du speziell darauf?
Annett Louisan: Ich denke, es wird schon anders bemessen, wenn man Songs in der eigenen Sprache hört. Da rückt der Text sowieso automatisch mehr in den Vordergrund, weil man ihn sofort versteht. Bei anderssprachiger Musik merkt man das nicht sofort und es stört daher auch nicht, wenn da Aussagen dabei sind, die Einem nicht gefallen oder die zu platt sind. Im Englischen kann es mich also nicht sofort stören, weil ich das auch anders höre, da meine Muttersprache ja Deutsch ist. Für Engländer sind die englischen Texte also auch wichtig, weil sie sie verstehen. Das ist immer auch eine Frage des Blickwinkels. Ich glaube, dass ein Song aus Musik und Text besteht, sonst könnte man sich ja auch ein Buch kaufen. Ein Text macht die Musik zum Hit und die Melodie macht sie zum Evergreen. Wenn ein Text mich nicht berührt, dann kann sich ein Lied nicht lange halten. Das ist für mich die Philosophie. Wenn der Text auf Deutsch nicht gut ist, dann hat das Lied keine Chance.
hitparade.ch: Bald gehst Du mit Deiner neuen Scheibe auf Tour. Du kommst ja auch in die Schweiz…
Annett Louisan: Ich freue mich sehr darauf, in der Schweiz zu spielen. Diese Konzerte sind immer ein absolutes Highlight. In Deutschland habe ich nur selten die Möglichkeit, in Clubs zu spielen. In der Schweiz waren die Konzerte immer der absolute Renner, weil das Publikum einfach anders ist. Vielleicht liegt es daran, dass man von mir gar nicht so viel mitbekommt, sondern einfach die Musik sprechen lässt. Das alles ist irgendwie so unbefleckt, das sind immer ganz tolle Konzerte.
hitparade.ch: Was dürfen Deine Fans erwarten vom Konzert? Wieviel vom alten Repertoire wird es noch zu hören geben? Gibt es auch Songs, die Du schon lange nicht mehr gesungen hast?
Annett Louisan: Viel verändert sich live nicht. Es geht um die Musik, es geht um die Songs, es ist eine tolle Band. Wir werden wieder versuchen, alles Mögliche auszuprobieren und die Leute möglichst mit Können zu unterhalten. Das Repertoire ist auch sehr gut: Die neuen und die alten Sachen passen sehr schön zusammen. Durch die neuen Lieder wird es für mich selbst vielleicht noch eine Spur persönlicher. Die Songs sind es ja auch. Ich mache mich durch diese Songs verletzbarer, als ich es jemals zuvor gewesen bin. Das liegt vielleicht daran, dass ich das erst jetzt kann, eine verwundbare Seite zeigen. Die Annett Louisan war ja bei all dem Witz und auch den melancholischen Nummern trotzdem meist auf Distanz. Das ist für mich jetzt die erste Öffnung zu etwas Anderem. Ich kann das nicht einmal so sehr beschreiben, aber ich schlüpfe nicht mehr so gerne in Rollen. Es wird aber live noch vorkommen.
hitparade.ch: Wirst Du live Songs ausgraben von ganz früher, die Du schon lange nicht mehr performt hast?
Annett Louisan: Ja, die absoluten Burner kann ich nicht ignorieren. Also "Drück die 1" oder "Das Spiel" werden sicherlich nicht fehlen. Aber beispielsweise "Die Lüge" ist ein Song, den wir anfangs wahnsinnig gerne live gespielt haben, der hat live immer toll funktioniert. Oder der Song "Widder wider Willen" vom zweiten Album: Den haben wir selten live gespielt. Vielleicht muss man auch einmal auf Sachen verzichten, die sonst live immer gut funktioniert haben, wie beispielsweise "Chancenlos" oder "Rosenkrieg", um dann dafür andere Perlen wieder einmal auf die Bühne zu bringen. Beispielsweise "Gedacht ich sage nein" oder "Der Blender". Wer weiss. Ich schaue mal. Ich habe richtig viel Lust zu proben und eine Dramaturgie aufzubauen. Vielleicht gelingt es mir ja, dass ich die Lieder während der Tour je nach Gefühl verändern kann. Ich muss aber auch ehrlich zugeben: Inzwischen sind es so viele Lieder… Ich könnte das Meiste sofort live spielen, aber nicht alles. Es gäbe welche, die müsste ich mir wieder einige Male anhören, um sie wieder singen zu können.
hitparade.ch: Wenn Du auf "Bohème" zurückblickst: Was hat sich am meisten verändert?
Annett Louisan: "Bohème" mit "In meiner Mitte" zu vergleichen ist sehr schwer. Lustigerweise haben viele Leute, auch Medienleute oder beispielsweise Heinz von meinem Label, gesagt, das neue Album klinge wie "Bohème" 2. Obwohl es zwar ganz andere Musik sei, klinge es wie ein Neustart. Es sei eine Öffnung zu etwas Neuem, so wie damals eigentlich auch. Die Zeit ist durch eine Phase abgeschlossen worden und ich trete in etwas Neues ein und habe ganz, ganz viel gelernt. Von Frank, von Matthias, von Hardy Kaiser und von vielen Leuten, die ich in dieser Zeit getroffen habe. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass je mehr ich weitermachen werde, sich noch mehr verändern wird. Gerade in künstlerischer Hinsicht.
hitparade.ch: Welches war das schönste Erlebnis, das Dir in Deiner Karriere passiert ist?
Annett Louisan: Ich glaube, da gibt es etwas, das man nicht mehr toppen kann, trotz sehr vieler schöner Erlebnissen. Einfach der Moment, wenn man spürt: Es geht los. Man geht durch die Decke, man ist in den Charts, spürt die ersten Trends. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in München in meinem Hotelzimmer war. Den ganzen Tag lang hatte ich gearbeitet und Interviews gegeben, und dann lag ich da alleine in diesem Superding - vorher konnte ich mir so etwas niemals leisten. Mein Herz hat geklopft und ich dachte: "Du meine Güte, jetzt wird ein grosser Traum wahr!" Das ist ein Moment, den ich nie vergessen werde.
Interview durchgeführt: Steffen Hung
Redaktion: Bettina Siegwart