Interview mit Anshelle
|
Manche Musiker werden aggressiv, wenn man ihnen sagt, sie machen Pop. Anshelle fangen dann so richtig an zu strahlen. Und während andere Mitstreiter ihres Genres ständig nach dem ultimativen Ohrwurm suchen und alles auf Erfolg trimmen, musiziert dieses Berner Quintett fröhlich und unbekümmert drauf los und spielt sich ungewollt in die Radios und Charts, ohne dies selber zu merken. Das muss man auch zuerst einmal schaffen. Wie man mit solchen Überraschungsmomenten umgeht, wollten wir von Sängerin Michèle Bachmann und Keyboarder Sandro Marretta wissen.
hitparade.ch: Es ist erst eineinhalb Jahre her seit dem Release von "Rewind Please" und bereits steht der Nachfolger da. Es macht den Anschein, ihr hättet es pressant. Ist dem so?
Michèle: Nein, eigentlich nicht. Es sind knapp zwei Jahre, und das finden wir einen gesunden Abstand zwischen zwei Alben. Früher hatten wir aus verschiedenen Gründen immer sehr lange Pausen zwischen zwei Releases. Aber nach dem Achtungs-Erfolg von "Rewind Please" haben wir uns gesagt, dass es nun etwas zügiger gehen soll. Zudem hatten wir relativ kurz nach dem Start zur letzten Tour bereits wieder einiges gutes Material beisammen.
hitparade.ch: Ihr bekommt einen kräftigen Schub der Radios im Moment, kaum ein Sender, der euch nicht spielt. Nun könnte man fast annehmen, da stehe eine teure Promo-Kampagne dahinter oder ein grosses Label. Aber dem ist ja überhaupt nicht so, ihr habt ja nicht einmal einen Deal mit einem bekannteren Label. Klar macht ihr ja auch Promo, aber es ist zum Selbstläufer geworden. Wie erklärt ihr euch diesen Umstand?
Sandro: Das zu werten ist noch schwierig für uns selber. Wir hoffen natürlich primär, dass unsere Musik gespielt wird, weil es den Stationen gefällt, und glauben auch daran. Aber wir haben natürlich auch ein Promo-Team mit Helfern im Hintergrund, die sehr gut arbeiten, nicht weil sie daran reich werden, sondern weil es ihnen auch wirklich gefällt. Und mit diesem Enthusiasmus melden sie sich auch immer wieder bei den Radios und fragen nach, wenn ein Song nicht gespielt wird. Zudem spielen ja die meisten Stationen erstaunlicherweise immer noch unsere alten Songs; "Little Mountain" allen voran. Das hat sicher auch geholfen, dass sich die Redaktoren das von sich aus mal angehört haben.
hitparade.ch: Mit "Rewind Please" habt ihr eure neue musikalische Richtung vorgegeben und wurdet überall hoch gelobt, auch von Medien und Journalisten, die nicht immer alles lässig finden. Was hatte das für einen Einfluss im Hinterkopf für euer neues Album?
Michèle: Es hat sicher Selbstvertrauen gegeben. "Rewind Please" war ein Wagnis für uns. Wir hatten früher diverse Wechsel, personelle, wechselten den Bandnamen, die Plattenfirma und so manches. Und wir sind eigentlich nochmals ganz neu gestartet, ohne Plattenfirma und Management, ohne Rückhalt, und haben es so eigentlich sehr weit gebracht und sind sehr glücklich mit dem Resultat und haben uns darin bestätigt gefühlt, dass der Weg, den wir als Band beschreiten wollten, der Richtige ist. Und nun haben wir bei "Betty's Garden" nicht nochmals das Rad neu erfunden, sondern das Rezept beibehalten und einfach die aktuellen äusseren Einflüsse mittragen lassen.
hitparade.ch: Bands arbeiten sehr unterschiedlich auf ein neues Album hin. Bei den einen erfahren selbst die engsten Freunde erst ein paar wenige Wochen vor dem Release, wie das Album heisst und wie es in etwa tönen könnte. Ihr macht das Gegenteil, ihr habt einen kleinen Kreis von Leuten, die ihr stets mit den neuesten Demos versorgt und sie um ein Feedback bittet. Wie gross ist der Einfluss von solchen Feedbacks?
Michèle: Ich habe etwa sechs Leute, die ich immer frage. Davon sind vier normale Freunde und Musikkonsumenten und zwei sind Musikschaffende. Ich mache das eigentlich nicht, damit ich weiss, welche Songs es aufs Album schaffen oder nicht. Ich finde es einfach interessant zu lesen, was diese Menschen für Meinungen haben, zu sehen, ob sich alle einig sind oder es auch mal alles gibt zwischen "de gröscht Seich" und "s'allerbeschte". Klar gibt es manchmal Inputs, auf die wir selber nicht gekommen wären. Manchmal geht es auch einfach rechts rein und links wieder raus. Wir haben uns zum Beispiel auch im Vorfeld für eine Single entschieden und haben eigentlich von diesen sechs nur noch eine Bestätigung geholt.
hitparade.ch: Noch kurz zu den Produzenten. Ihr habt zwei mehr oder minder bekannte Namen, welche im Hintergrund gewirkt haben bei euch, Steve Lyon und Gert Stäuble. Diese werden allerdings als Co-Produzenten bezeichnet. Wie müssen wir das verstehen?
Sandro: Wenn wir Songs schreiben, dann kommen zuerst ein paar Akkorde, der Text, dann dies und jenes. Irgendwann machen wir zu Hause eine Vorproduktion. Sprich, wir haben eigentlich fixfertige Songs, die wir sozusagen noch 1:1 im Studio neu aufnehmen. Die Co-Produzenten geben dann nur noch Inputs und helfen im technischen Bereich, aber krempeln die Songs nicht nochmals neu um. Das wollten wir auch nicht. Steve und Gert gaben sehr viele gute solcher Inputs, es kam auch mal vor, dass ein Song mal einen etwas anderen Charakter bekam, aber im Grossen und Ganzen haben wir das nach unseren Vorstellungen umgesetzt.
hitparade.ch: Euer Album ist sehr spannend anzuhören, jedoch vermisst man irgendwie am Anfang die Ohrwürmer wie "Little Mountain" oder "Hayfield", welche sich direkt in den Gehörgängen festsetzten. Es kommt als Ganzes solider und gereifter daher, mit mehr Ecken und Kanten. Was waren die Einflüsse für ein solches Resultat?
Michèle: Es sind zwischen den ersten Songs im neuen Pop-Stil und dem Release von "Betty's Garden" vier Jahre vergangen, wir alle haben gewisse Altersgrenzen überschritten, sind erfahrener geworden und haben vielleicht auch einige Ansichten geändert. Zudem hab ich mehr das gehört, was bei mir zu Hause im Regal steht, das beeinflusst auch noch enorm. Auch sind wir hingesessen und haben an Melodien rumstudiert und Texte geschrieben, einfach für uns, nie gefragt, was könnte und würde irgendjemandem ausser uns noch gefallen, sondern einfach das, was wir fünf gerade lässig und spannend fanden. Am Ende dieses Prozesses hat man dann zwanzig Songs und aus diesen sucht man sich dann deren Zwölf aus. Aber es hat durchaus auch auf diesem Album Songs mit einem gewissen Ohrwurmpotenzial. Aber es ist schon nicht ein Album, welches du abspielen kannst und es dich dann 45min mit Nettigkeiten berieselt. Es hat durchaus Ecken und Kanten, wir haben auch viel erlebt, das ist unser Leben und nicht eine heile Welt.
hitparade.ch: Wie waren die Reaktionen von Freunden und Bekannten, als nun "Crossroads" plötzlich im Radio gelaufen ist?
Sandro: Durchwegs positiv. An der Plattentaufe haben die meisten auch zum ersten Mal die anderen Songs gehört. Da waren wir natürlich auch gespannt, wie all diese reagieren, ob ihnen der Rest auch gefällt. Und auch da ist fast keine Kritik gekommen.
Michèle: Kaufen konnte man es ja erst nach der Taufe, und die ersten Reaktionen kommen dann immer erst ein paar Tage oder wenige Wochen danach. Ein paar wenige hatten das Album vorab, da war auch alles positiv, aber wir sind uns bewusst, dass da noch anderes kommen wird, das ist einfach so.
hitparade.ch: Ihr seid etwas verwöhnt in Sachen Airplay: Eure Songs wurden immer noch täglich gespielt, obschon noch keine neuen Songs da waren und das letzte Album über ein Jahr alt war. Ist man beruhigt, wenn man den neuen Song an die Stationen gesendet hat und er dann gespielt wird, resp. wird man nervös, wenn er bei gewissen Radios nicht auf der Liste auftaucht?
Michèle: Dazu muss ich noch Folgendes sagen: Wir haben beim letzten Album drei Radiosingles, wovon eine gar nie gespielt wurde, und die anderen beiden auf wenigen Sendern. Ins Rollen kam das Ganze erst, als DRS3 von sich aus "Little Mountain" zu spielen begann, eine Station nach der anderen ist dann aufgesprungen. Also wir hatten insofern Glück, dass da irgendwer beim Radio die ganze CD durchgehört hat und einfach einen Song herausgepickt hat. Darum war die Spannung bei uns grösser, ob sie diesmal "Crossroads" spielen oder ob sie wieder einen eigenen aussuchen. Insofern sind wir, nebst dem, dass wir überhaupt gespielt werden, froh, dass man den nimmt, den wir ausgesucht haben.
hitparade.ch: Ihr hattet eine Plattentaufe im Berner Gaskessel, welcher fast aus allen Nähten platzte, die Anwesenden waren begeistert. Wie war es für euch?
Sandro: Super! Als wir plötzlich gehört haben, dass es ausverkauft sei, haben wir gewusst, das wird ein geiler Abend! Die Leute haben mitgemacht und nach jedem Song frenetisch geklatscht, so dass wir merkten, das gefällt ihnen wirklich, was wir da machen. Am Anfang waren wir nervös, aber als wir gemerkt haben, dass es ankommt, hat sich dann bei allen alles gelöst. Und am Ende durften wir noch viele CDs verkaufen und signieren. Es war ein wirklich toller Abend.
Michèle: Wir haben nach vier Songs unsere Platte getauft und mal ein kleines Glas Champagner getrunken, mit dem Publikum angestossen, dieser Break hat dann auch noch etwas zur Entspannung beigetragen.
hitparade.ch: Ihr habt bereits viele Daten in eurem Kalender, und wir wissen, dass da noch einiges offen ist. Manche Band wäre froh um so viele Daten. Ist es ein harter Weg, an viele Auftritte zu kommen?
Michèle: Ja, das ist es wirklich! Eigentlich haben wir zwei Booker, die alles geben für Konzerte für uns, und trotzdem kam es nun so raus, dass wir die meisten Daten selber organisiert haben. Meist Orte, wo wir schon gespielt haben, oder dann befreundete Leute in Clubs, die wir einfach sieben, acht, neun Mal angerufen haben und nach Ideen suchten. Booking ist ein extrem harter Job, gerade in der Schweiz, und wenn du dann noch Pop/Rock machst wie wir, dann ist es nochmals schwieriger. Es ist nicht wie Ska oder Hip Hop, wo du gleich eine ganze Szene ansprichst. Darum sind wir über das, was wir bis jetzt haben, schon sehr happy und hoffen, es werden wirklich noch mehr.
hitparade.ch: Ihr habt nun drei Alben veröffentlicht. Was wird man davon zu hören bekommen? Was wird es für einen Mix geben?
Sandro: Sicher mal sehr vieles vom neuen Album, dazu haben wir nun den Komfort, auf ein immer grösser werdendes, eigenes Repertoire zurückzugreifen können. Darunter Songs, die wir noch nie live gespielt haben, die wir einfliessen lassen. Je nachdem wie lange wir spielen und wo: An Open Airs wir das sicher etwas rockiger daher kommen, in kleineren Clubs eher etwas sanfter. Das ist wirklich cool, dass wir da gegen 30 Songs haben, die wir nach Lust und Laune spontan zusammensetzen können.
hitparade.ch: An eurer Plattentaufe habt ihr anscheinend, sehr zum Schrecken eines Fans, genau dessen Lieblingssong "Unperfect Woman" als Eurodance-Nummer gespielt. Gibt es noch weitere Songs, die in einem neuen Kleid daher kommen live?
Michèle: (lacht) Dieser Fan soll einfach ruhig sein, der hat dafür ein cooles "Crew"-Shirt bekommen, und soll uns jetzt so nicht in den Rücken fallen. (grinst) Wir haben den Song einfach für diesen Anlass zu einem Kommerz-Dance-Track mutiert, um die Stimmung etwas aufzulockern, natürlich werden wir den so nicht mehr bringen auf Tour.
Sandro: Aber es gibt schon Songs, die etwas Kosmetik ertragen müssen, die einen etwas ruhiger, andere etwas rockiger, aber nichts was wir jetzt total neu arrangiert hätten.
hitparade.ch: Die Musikindustrie steckt seit Jahren in der Krise, nun kommt auch noch diese Wirtschaftskrise. Habt ihr euch in der Band auch schon mal darüber unterhalten, was das für euch bedeuten könnet oder wie euch das treffen könnte?
Michèle: Ich denke, wir sind auf einem Level, wo die meisten, die unsere CDs kaufen, immer noch aus dem Bekannten und Freundeskreis und deren Umfeld stammen, Fans natürlich auch. Wir sind noch nicht soweit, wo viele das kaufen, weil es gerade enorm erfolgreich ist. Was natürlich ist, wenn die Käufer weniger Geld haben und sowohl P!nk und auch Anshelle ein Album rausgeben, eher überlegen, welches sie nun kaufen statt beides zu nehmen. Da machst du als englisch singende Schweizer Band Zweiter. Darum ist es uns wichtig, einen guten Kontakt mit den Fans zu pflegen, das sind die, welche die grösste Promo-Arbeit leisten eigentlich. Ansonsten denken wir, dass diese Krise etwas tiefere Gagen mit sich bringen wird, ein noch etwas härterer Kampf um Konzerte.
hitparade.ch: Mit dem letzten Album habt ihr den Einstieg in die Charts geschafft. Liebäugelt ihr diesmal auch wieder damit und habt ihr euch da eine Position, die ihr euch vorstellt, die es erreichen sollte?
Sandro: Es wäre natürlich schon wieder cool. Wir haben an den Konzerten bisher gut verkauft und sind guter Dinge, dass es wieder klappen könnte, was uns freuen würde.
hitparade.ch: Wie habt ihr es erfahren das letzte Mal? Und wie habt ihr das gefeiert?
Michèle: Ich glaube von euch, dass uns jemand gratuliert hat über diesen Einstieg. Wir waren total überrascht und haben gar nicht damit gerechnet. Wir haben das vorher gar nie nachgeschaut. Wir hoffen, wir hören dann diesmal auch wieder von euch, sollte es wieder so sein.
hitparade.ch: Das Album ist nun da, es läuft alles. Wie sehen eure Pläne aus?
Sandro: Also sicher mal so viel spielen wie möglich. Und das mal bis etwa Sommer 2010. Mal schauen, was bis da alles passiert mit Anshelle. Und je nach dem gibt's dann eine Pause oder wir machen uns direkt an ein neues Album. Wir werden sehen.
Michèle: Jetzt überleben wir zuerst einmal diese Tour.
Sandro: Und freuen uns auf coole Gigs.
hitparade.ch: Wie gewohnt bei uns nun noch die Top 10 zum bewerten:
10. James Morrison feat. Nelly Furtado - Broken Strings
Michèle: Das ist wieder ein Song mit Nelly Furtado, der mir gefällt. Mein Lieblingssong im Moment. Das eher Hip Hop lastige Album war irgendwie cool, aber hat bei mir nicht eingeschlagen, dieser Song dafür schon
9. Mando Diao - Dance With Somebody
Sandro: Mir gefällt diese Band allgemein, weil sie so richtig los legt und Gas gibt und viel Energie dahinter steckt, das spürt man.
8. Razorlight - Wire To Wire
Michèle: Von dieser Band höre und lese ich so enorm viel, kaum zu glauben, aber keine Ahnung wer das ist und wie die tönen, vielleicht schon gehört…
7. Kät - Kei Luscht zum Ga
Sandro: Ich finde ihren Oberländer Akzent noch cool…
6. Laura Pausini & James Blunt - Primavera in anticipo (It Is My Song)
Michèle: Unser Co-Produzent Steve Lyon hat auch mit ihr zusammen gearbeitet, darum haben wir das gerade auch viel gehört und sind so zu etwas Hintergrundinfos gekommen. Anscheinend eine sehr zuvorkommende, charmante Persönlichkeit. Die Musik ist nicht so mein Stil, sie singt aber mit sehr viel Power.
5. Beyoncé - Halo
Sandro: Sie ist natürlich rein schon aus ästhetischer Sicht ein Augenschmaus, musikalisch hat sie mir am Anfang ihrer Karriere besser gefallen.
4. Eminem - We Made You
Michèle: Eminem ist für mich einer der besten Rapper, welcher früher stark polarisierte und auch ich mich schon mal dran gestossen habe. Heute vermiss ich es fast, weil es so brav geworden ist. Aber an "Lose Yourself" kommt er nicht ran, den hör ich oft wenn ich joggen gehe.
3. Milow - Ayo Technology
Michèle: Ich bin erstaunt, wie jemand mit einem Cover von "50 Cent" der nur singt und etwas Gitarre spielt einen solchen Wirbel auslösen kann. Finde ich etwas überbewertet. Der Einzige in diesen Top10, wo ich erstaunt bin, dass er hier vertreten ist.
2. Flo Rida feat. Ke$ha - Right Round
Michèle: Kenn ich anderes von ihm, aber diesen gerade nicht
1. Lady GaGa - Poker Face
Sandro: Da finde ich die Hookline im Refrain cool, die läuft einem nach.
Michèle: Finde ich eine heisse Frau, fällt auf, versucht anders zu sein. Hab ich in der Migros beim einkaufen mal gehört und seit da gespeichert. Finde ich erstaunlich, dass man so was im Dance-Bereich heute noch hin kriegt.
hitparade.ch: Es ist erst eineinhalb Jahre her seit dem Release von "Rewind Please" und bereits steht der Nachfolger da. Es macht den Anschein, ihr hättet es pressant. Ist dem so?
Michèle: Nein, eigentlich nicht. Es sind knapp zwei Jahre, und das finden wir einen gesunden Abstand zwischen zwei Alben. Früher hatten wir aus verschiedenen Gründen immer sehr lange Pausen zwischen zwei Releases. Aber nach dem Achtungs-Erfolg von "Rewind Please" haben wir uns gesagt, dass es nun etwas zügiger gehen soll. Zudem hatten wir relativ kurz nach dem Start zur letzten Tour bereits wieder einiges gutes Material beisammen.
hitparade.ch: Ihr bekommt einen kräftigen Schub der Radios im Moment, kaum ein Sender, der euch nicht spielt. Nun könnte man fast annehmen, da stehe eine teure Promo-Kampagne dahinter oder ein grosses Label. Aber dem ist ja überhaupt nicht so, ihr habt ja nicht einmal einen Deal mit einem bekannteren Label. Klar macht ihr ja auch Promo, aber es ist zum Selbstläufer geworden. Wie erklärt ihr euch diesen Umstand?
Sandro: Das zu werten ist noch schwierig für uns selber. Wir hoffen natürlich primär, dass unsere Musik gespielt wird, weil es den Stationen gefällt, und glauben auch daran. Aber wir haben natürlich auch ein Promo-Team mit Helfern im Hintergrund, die sehr gut arbeiten, nicht weil sie daran reich werden, sondern weil es ihnen auch wirklich gefällt. Und mit diesem Enthusiasmus melden sie sich auch immer wieder bei den Radios und fragen nach, wenn ein Song nicht gespielt wird. Zudem spielen ja die meisten Stationen erstaunlicherweise immer noch unsere alten Songs; "Little Mountain" allen voran. Das hat sicher auch geholfen, dass sich die Redaktoren das von sich aus mal angehört haben.
hitparade.ch: Mit "Rewind Please" habt ihr eure neue musikalische Richtung vorgegeben und wurdet überall hoch gelobt, auch von Medien und Journalisten, die nicht immer alles lässig finden. Was hatte das für einen Einfluss im Hinterkopf für euer neues Album?
Michèle: Es hat sicher Selbstvertrauen gegeben. "Rewind Please" war ein Wagnis für uns. Wir hatten früher diverse Wechsel, personelle, wechselten den Bandnamen, die Plattenfirma und so manches. Und wir sind eigentlich nochmals ganz neu gestartet, ohne Plattenfirma und Management, ohne Rückhalt, und haben es so eigentlich sehr weit gebracht und sind sehr glücklich mit dem Resultat und haben uns darin bestätigt gefühlt, dass der Weg, den wir als Band beschreiten wollten, der Richtige ist. Und nun haben wir bei "Betty's Garden" nicht nochmals das Rad neu erfunden, sondern das Rezept beibehalten und einfach die aktuellen äusseren Einflüsse mittragen lassen.
hitparade.ch: Bands arbeiten sehr unterschiedlich auf ein neues Album hin. Bei den einen erfahren selbst die engsten Freunde erst ein paar wenige Wochen vor dem Release, wie das Album heisst und wie es in etwa tönen könnte. Ihr macht das Gegenteil, ihr habt einen kleinen Kreis von Leuten, die ihr stets mit den neuesten Demos versorgt und sie um ein Feedback bittet. Wie gross ist der Einfluss von solchen Feedbacks?
Michèle: Ich habe etwa sechs Leute, die ich immer frage. Davon sind vier normale Freunde und Musikkonsumenten und zwei sind Musikschaffende. Ich mache das eigentlich nicht, damit ich weiss, welche Songs es aufs Album schaffen oder nicht. Ich finde es einfach interessant zu lesen, was diese Menschen für Meinungen haben, zu sehen, ob sich alle einig sind oder es auch mal alles gibt zwischen "de gröscht Seich" und "s'allerbeschte". Klar gibt es manchmal Inputs, auf die wir selber nicht gekommen wären. Manchmal geht es auch einfach rechts rein und links wieder raus. Wir haben uns zum Beispiel auch im Vorfeld für eine Single entschieden und haben eigentlich von diesen sechs nur noch eine Bestätigung geholt.
hitparade.ch: Noch kurz zu den Produzenten. Ihr habt zwei mehr oder minder bekannte Namen, welche im Hintergrund gewirkt haben bei euch, Steve Lyon und Gert Stäuble. Diese werden allerdings als Co-Produzenten bezeichnet. Wie müssen wir das verstehen?
Sandro: Wenn wir Songs schreiben, dann kommen zuerst ein paar Akkorde, der Text, dann dies und jenes. Irgendwann machen wir zu Hause eine Vorproduktion. Sprich, wir haben eigentlich fixfertige Songs, die wir sozusagen noch 1:1 im Studio neu aufnehmen. Die Co-Produzenten geben dann nur noch Inputs und helfen im technischen Bereich, aber krempeln die Songs nicht nochmals neu um. Das wollten wir auch nicht. Steve und Gert gaben sehr viele gute solcher Inputs, es kam auch mal vor, dass ein Song mal einen etwas anderen Charakter bekam, aber im Grossen und Ganzen haben wir das nach unseren Vorstellungen umgesetzt.
hitparade.ch: Euer Album ist sehr spannend anzuhören, jedoch vermisst man irgendwie am Anfang die Ohrwürmer wie "Little Mountain" oder "Hayfield", welche sich direkt in den Gehörgängen festsetzten. Es kommt als Ganzes solider und gereifter daher, mit mehr Ecken und Kanten. Was waren die Einflüsse für ein solches Resultat?
Michèle: Es sind zwischen den ersten Songs im neuen Pop-Stil und dem Release von "Betty's Garden" vier Jahre vergangen, wir alle haben gewisse Altersgrenzen überschritten, sind erfahrener geworden und haben vielleicht auch einige Ansichten geändert. Zudem hab ich mehr das gehört, was bei mir zu Hause im Regal steht, das beeinflusst auch noch enorm. Auch sind wir hingesessen und haben an Melodien rumstudiert und Texte geschrieben, einfach für uns, nie gefragt, was könnte und würde irgendjemandem ausser uns noch gefallen, sondern einfach das, was wir fünf gerade lässig und spannend fanden. Am Ende dieses Prozesses hat man dann zwanzig Songs und aus diesen sucht man sich dann deren Zwölf aus. Aber es hat durchaus auch auf diesem Album Songs mit einem gewissen Ohrwurmpotenzial. Aber es ist schon nicht ein Album, welches du abspielen kannst und es dich dann 45min mit Nettigkeiten berieselt. Es hat durchaus Ecken und Kanten, wir haben auch viel erlebt, das ist unser Leben und nicht eine heile Welt.
hitparade.ch: Wie waren die Reaktionen von Freunden und Bekannten, als nun "Crossroads" plötzlich im Radio gelaufen ist?
Sandro: Durchwegs positiv. An der Plattentaufe haben die meisten auch zum ersten Mal die anderen Songs gehört. Da waren wir natürlich auch gespannt, wie all diese reagieren, ob ihnen der Rest auch gefällt. Und auch da ist fast keine Kritik gekommen.
Michèle: Kaufen konnte man es ja erst nach der Taufe, und die ersten Reaktionen kommen dann immer erst ein paar Tage oder wenige Wochen danach. Ein paar wenige hatten das Album vorab, da war auch alles positiv, aber wir sind uns bewusst, dass da noch anderes kommen wird, das ist einfach so.
hitparade.ch: Ihr seid etwas verwöhnt in Sachen Airplay: Eure Songs wurden immer noch täglich gespielt, obschon noch keine neuen Songs da waren und das letzte Album über ein Jahr alt war. Ist man beruhigt, wenn man den neuen Song an die Stationen gesendet hat und er dann gespielt wird, resp. wird man nervös, wenn er bei gewissen Radios nicht auf der Liste auftaucht?
Michèle: Dazu muss ich noch Folgendes sagen: Wir haben beim letzten Album drei Radiosingles, wovon eine gar nie gespielt wurde, und die anderen beiden auf wenigen Sendern. Ins Rollen kam das Ganze erst, als DRS3 von sich aus "Little Mountain" zu spielen begann, eine Station nach der anderen ist dann aufgesprungen. Also wir hatten insofern Glück, dass da irgendwer beim Radio die ganze CD durchgehört hat und einfach einen Song herausgepickt hat. Darum war die Spannung bei uns grösser, ob sie diesmal "Crossroads" spielen oder ob sie wieder einen eigenen aussuchen. Insofern sind wir, nebst dem, dass wir überhaupt gespielt werden, froh, dass man den nimmt, den wir ausgesucht haben.
hitparade.ch: Ihr hattet eine Plattentaufe im Berner Gaskessel, welcher fast aus allen Nähten platzte, die Anwesenden waren begeistert. Wie war es für euch?
Sandro: Super! Als wir plötzlich gehört haben, dass es ausverkauft sei, haben wir gewusst, das wird ein geiler Abend! Die Leute haben mitgemacht und nach jedem Song frenetisch geklatscht, so dass wir merkten, das gefällt ihnen wirklich, was wir da machen. Am Anfang waren wir nervös, aber als wir gemerkt haben, dass es ankommt, hat sich dann bei allen alles gelöst. Und am Ende durften wir noch viele CDs verkaufen und signieren. Es war ein wirklich toller Abend.
Michèle: Wir haben nach vier Songs unsere Platte getauft und mal ein kleines Glas Champagner getrunken, mit dem Publikum angestossen, dieser Break hat dann auch noch etwas zur Entspannung beigetragen.
hitparade.ch: Ihr habt bereits viele Daten in eurem Kalender, und wir wissen, dass da noch einiges offen ist. Manche Band wäre froh um so viele Daten. Ist es ein harter Weg, an viele Auftritte zu kommen?
Michèle: Ja, das ist es wirklich! Eigentlich haben wir zwei Booker, die alles geben für Konzerte für uns, und trotzdem kam es nun so raus, dass wir die meisten Daten selber organisiert haben. Meist Orte, wo wir schon gespielt haben, oder dann befreundete Leute in Clubs, die wir einfach sieben, acht, neun Mal angerufen haben und nach Ideen suchten. Booking ist ein extrem harter Job, gerade in der Schweiz, und wenn du dann noch Pop/Rock machst wie wir, dann ist es nochmals schwieriger. Es ist nicht wie Ska oder Hip Hop, wo du gleich eine ganze Szene ansprichst. Darum sind wir über das, was wir bis jetzt haben, schon sehr happy und hoffen, es werden wirklich noch mehr.
hitparade.ch: Ihr habt nun drei Alben veröffentlicht. Was wird man davon zu hören bekommen? Was wird es für einen Mix geben?
Sandro: Sicher mal sehr vieles vom neuen Album, dazu haben wir nun den Komfort, auf ein immer grösser werdendes, eigenes Repertoire zurückzugreifen können. Darunter Songs, die wir noch nie live gespielt haben, die wir einfliessen lassen. Je nachdem wie lange wir spielen und wo: An Open Airs wir das sicher etwas rockiger daher kommen, in kleineren Clubs eher etwas sanfter. Das ist wirklich cool, dass wir da gegen 30 Songs haben, die wir nach Lust und Laune spontan zusammensetzen können.
hitparade.ch: An eurer Plattentaufe habt ihr anscheinend, sehr zum Schrecken eines Fans, genau dessen Lieblingssong "Unperfect Woman" als Eurodance-Nummer gespielt. Gibt es noch weitere Songs, die in einem neuen Kleid daher kommen live?
Michèle: (lacht) Dieser Fan soll einfach ruhig sein, der hat dafür ein cooles "Crew"-Shirt bekommen, und soll uns jetzt so nicht in den Rücken fallen. (grinst) Wir haben den Song einfach für diesen Anlass zu einem Kommerz-Dance-Track mutiert, um die Stimmung etwas aufzulockern, natürlich werden wir den so nicht mehr bringen auf Tour.
Sandro: Aber es gibt schon Songs, die etwas Kosmetik ertragen müssen, die einen etwas ruhiger, andere etwas rockiger, aber nichts was wir jetzt total neu arrangiert hätten.
hitparade.ch: Die Musikindustrie steckt seit Jahren in der Krise, nun kommt auch noch diese Wirtschaftskrise. Habt ihr euch in der Band auch schon mal darüber unterhalten, was das für euch bedeuten könnet oder wie euch das treffen könnte?
Michèle: Ich denke, wir sind auf einem Level, wo die meisten, die unsere CDs kaufen, immer noch aus dem Bekannten und Freundeskreis und deren Umfeld stammen, Fans natürlich auch. Wir sind noch nicht soweit, wo viele das kaufen, weil es gerade enorm erfolgreich ist. Was natürlich ist, wenn die Käufer weniger Geld haben und sowohl P!nk und auch Anshelle ein Album rausgeben, eher überlegen, welches sie nun kaufen statt beides zu nehmen. Da machst du als englisch singende Schweizer Band Zweiter. Darum ist es uns wichtig, einen guten Kontakt mit den Fans zu pflegen, das sind die, welche die grösste Promo-Arbeit leisten eigentlich. Ansonsten denken wir, dass diese Krise etwas tiefere Gagen mit sich bringen wird, ein noch etwas härterer Kampf um Konzerte.
hitparade.ch: Mit dem letzten Album habt ihr den Einstieg in die Charts geschafft. Liebäugelt ihr diesmal auch wieder damit und habt ihr euch da eine Position, die ihr euch vorstellt, die es erreichen sollte?
Sandro: Es wäre natürlich schon wieder cool. Wir haben an den Konzerten bisher gut verkauft und sind guter Dinge, dass es wieder klappen könnte, was uns freuen würde.
hitparade.ch: Wie habt ihr es erfahren das letzte Mal? Und wie habt ihr das gefeiert?
Michèle: Ich glaube von euch, dass uns jemand gratuliert hat über diesen Einstieg. Wir waren total überrascht und haben gar nicht damit gerechnet. Wir haben das vorher gar nie nachgeschaut. Wir hoffen, wir hören dann diesmal auch wieder von euch, sollte es wieder so sein.
hitparade.ch: Das Album ist nun da, es läuft alles. Wie sehen eure Pläne aus?
Sandro: Also sicher mal so viel spielen wie möglich. Und das mal bis etwa Sommer 2010. Mal schauen, was bis da alles passiert mit Anshelle. Und je nach dem gibt's dann eine Pause oder wir machen uns direkt an ein neues Album. Wir werden sehen.
Michèle: Jetzt überleben wir zuerst einmal diese Tour.
Sandro: Und freuen uns auf coole Gigs.
hitparade.ch: Wie gewohnt bei uns nun noch die Top 10 zum bewerten:
10. James Morrison feat. Nelly Furtado - Broken Strings
Michèle: Das ist wieder ein Song mit Nelly Furtado, der mir gefällt. Mein Lieblingssong im Moment. Das eher Hip Hop lastige Album war irgendwie cool, aber hat bei mir nicht eingeschlagen, dieser Song dafür schon
9. Mando Diao - Dance With Somebody
Sandro: Mir gefällt diese Band allgemein, weil sie so richtig los legt und Gas gibt und viel Energie dahinter steckt, das spürt man.
8. Razorlight - Wire To Wire
Michèle: Von dieser Band höre und lese ich so enorm viel, kaum zu glauben, aber keine Ahnung wer das ist und wie die tönen, vielleicht schon gehört…
7. Kät - Kei Luscht zum Ga
Sandro: Ich finde ihren Oberländer Akzent noch cool…
6. Laura Pausini & James Blunt - Primavera in anticipo (It Is My Song)
Michèle: Unser Co-Produzent Steve Lyon hat auch mit ihr zusammen gearbeitet, darum haben wir das gerade auch viel gehört und sind so zu etwas Hintergrundinfos gekommen. Anscheinend eine sehr zuvorkommende, charmante Persönlichkeit. Die Musik ist nicht so mein Stil, sie singt aber mit sehr viel Power.
5. Beyoncé - Halo
Sandro: Sie ist natürlich rein schon aus ästhetischer Sicht ein Augenschmaus, musikalisch hat sie mir am Anfang ihrer Karriere besser gefallen.
4. Eminem - We Made You
Michèle: Eminem ist für mich einer der besten Rapper, welcher früher stark polarisierte und auch ich mich schon mal dran gestossen habe. Heute vermiss ich es fast, weil es so brav geworden ist. Aber an "Lose Yourself" kommt er nicht ran, den hör ich oft wenn ich joggen gehe.
3. Milow - Ayo Technology
Michèle: Ich bin erstaunt, wie jemand mit einem Cover von "50 Cent" der nur singt und etwas Gitarre spielt einen solchen Wirbel auslösen kann. Finde ich etwas überbewertet. Der Einzige in diesen Top10, wo ich erstaunt bin, dass er hier vertreten ist.
2. Flo Rida feat. Ke$ha - Right Round
Michèle: Kenn ich anderes von ihm, aber diesen gerade nicht
1. Lady GaGa - Poker Face
Sandro: Da finde ich die Hookline im Refrain cool, die läuft einem nach.
Michèle: Finde ich eine heisse Frau, fällt auf, versucht anders zu sein. Hab ich in der Migros beim einkaufen mal gehört und seit da gespeichert. Finde ich erstaunlich, dass man so was im Dance-Bereich heute noch hin kriegt.