Interview mit Dabu Fantastic"Sehr viele Songs sind mir zugeflogen"
14.04.2022
hitparade.ch: Du bist bekannt als sehr guter Texter. Zu Deinen grössten Idolen zählt Polo Hofer. In welchen Momenten Deines Schaffens spürst Du seinen Einfluss?
Dabu: Ich glaube, Polo Hofer ist Teil der Sprache, die ich in meiner Musik brauche. Ich habe meine musikalische Mundart-Sprache durch ihn entdeckt. Es gibt in der Musik sehr viele verschiedene Arten, wie man die Dinge ausdrücken kann. Lo & Leduc schreiben beispielsweise total andere Texte als Hecht. Auch wenn beides Mundart ist. Jeder hat seine eigene Sprache. Das Rumpelstilz-Album "Live im Anker" von 1989 habe ich so oft gehört. Ich kenne jeden Ton. Ich kann jeden Satz mitsprechen, den er zwischen den Songs sagt. Ich war acht Jahre alt, als das Album erschienen ist – und das ist in meine Sprach-DNA eingegangen. Man nimmt ja auch die Art des Sprechens der eigenen Eltern an. Und so hatte er diesen Einfluss auf mich. Ich bin ein Fan davon, die Dinge klar zu benennen. Ich mag zwar Wortspiele, aber ich mag es so gradlinig wie möglich. Und das ist klar Polo-Einfluss. Oder auch Kuno. hitparade.ch: Du hast aber auch Songs, die nach einer einfachen Sprache klingen – jedoch sehr viel tiefer gehen, als man im ersten Moment glaubt. "Jagge" ist ein gutes Beispiel… Da dachten ja viele, es gehe wirklich nur um eine Jacke. Dabei geht der Song sehr viel tiefer.
Dabu: Das sind meine Trojanischen Pferde. Davon gibt es bei uns sehr viele. Ich mag das sehr. Gerade bei "Jagge": Das ist ein ganz leichtfüssiger Groove, eher Easy-Listening-mässig… Der Text wirkt auch easy. Aber der Song handelt vom Sterben und was man auf der Welt hinterlässt. Schön ist, dass ein Song wie "Jagge" nach wie vor funktioniert. Als der Song veröffentlicht wurde, musste ich sehr viel Kritik einstecken. Es gab Leute, die sagten, mir seien wohl die Themen ausgegangen. Es freut mich aber zu sehen, dass die Streaming-Zahlen nach wie vor gut sind. Der Song scheint bei den Leuten doch irgendeine Wirkung zu zeigen. Wenn ich jetzt einen Song gemacht hätte mit den Worten: "Schau doch, dass das, was Du auf dieser Welt hinterlässt, den anderen Menschen genug Platz lässt, um es mit eigenem Leben zu füllen", dann hätte das wohl nicht so funktioniert. Es gibt verschiedene Wege, Geschichten zu erzählen.hitparade.ch: Dasselbe gilt auch für "Under em Schirm" von Eurem neuen Album. Klingt nach einer süssen Liebeserklärung. Doch der Song ist sehr politisch, oder?
Dabu: Für mich ist die Wahrnehmung als Liebes- oder Freundschafts-Song absolut in Ordnung. Ich hätte ihn deutlicher geschrieben, wenn ich gewollt hätte, dass man eindeutig versteht, was dahintersteckt. Es gibt aber tatsächlich noch einen weiteren Gedanken in diesem Song, der für mich gleichwertig ist: Es geht uns so gut in diesem Land. Lass uns unsere Arme möglichst weit aufmachen und andere Menschen auch unter unseren Schirm lassen, den wir hier haben. Es ist ein mega Privileg, dass wir hier auf die Welt gekommen sind. hitparade.ch: Absolut. Und das betonst Du auch beim Song "Mit de Rabe"…
Dabu: Genau! Es ist ein reiner Zufall, wo man geboren wird. Lass uns das nicht mit Arroganz verknüpfen, denn wir haben das nicht selbst erreicht. Es ist mit uns passiert. Lass uns die Arme und die Herzen öffnen. Es hat noch genug Platz. "Under em Schrim" ist inspiriert von dem Song "Welcome Home" von Dave Dobbyn. Den habe ich vor 20 Jahren in Neuseeland entdeckt. Es hatte in Neuseeland einen Anschlag gegeben auf eine Asylanten-Unterkunft und er schrieb diesen Song und sagte den Menschen, die nach Neuseeland einwanderten: "Willkommen zu Hause." Ich finde das eine so schöne Message. Und ja, es mag sein, dass es mal Unstimmigkeiten geben kann. Aber die kann man lösen. In Familien gibt es ja auch Konflikte. Das gehört dazu. Und all das steckt für mich drin in "Under em Schirm". hitparade.ch: Dieser Song, aber auch "Mit de Rabe" oder "Niemert gweckt" passen unglaublich in die aktuelle Zeit, die wir gerade erleben. Dabei sind die Songs vor zwei Jahren entstanden…
Dabu: Das ist etwas, das mich an diesem Album selbst auch sehr überrascht. Es passt wirklich in diese Zeit. Ich glaube, es ist eine Aufgabe von Künstler:innen, Zeit zu haben, sich Gedanken zu machen und Dinge zu spüren, die gerade wichtig sind. Nicht, dass andere das nicht auch spüren. Aber sie haben in ihrem hektischen Alltag oft nicht die Zeit dafür. Wir müssen gespürig sein für die Dinge, die passieren. Chris von Rohr hat einmal gesagt, seine Nachbarn verstünden bis heute nicht, dass es Arbeit ist, wenn er auf dem Sofa liegt (lacht). Das ist etwas, das man als Schreiber oft erklären muss. Dass Nichtstun auch sehr wichtig ist. hitparade.ch: Entstanden ist ein wunderbares Album: "So Easy". War es denn auch so easy, dieses Album aufzunehmen?
Dabu: Ja. Es war noch nie so easy. Technisch gesehen hatten wir einige Herausforderungen, aber im Vergleich zu anderen Alben hatten wir viel weniger Diskussionen. Ich weiss noch, bei "Schlaf us" hatten wir mitten in der Album-Produktion riesige Zweifel, ob das alles überhaupt gut ist. Vom Song "Lied" hatten wir 17 komplett fertige Versionen, weil wir uns nicht einigen konnten. Das war diesmal alles anders. Eine Weile habe ich mich diesmal darum gefragt, ob diese Demos von mir wirklich alle so gut sind – oder ob die anderen einfach keine Lust mehr haben, mit mir zu diskutieren (lacht). hitparade.ch: Die Auswahl war aber auch gross! In der Lockdown-Zeit hast Du jeden Tag einen Song geschrieben. Da müssen unglaublich viele Songs zusammengekommen sein.
Dabu: Die sind alle schlecht (lacht). Nein, von vorne: Wir haben ja nur drei Shows gespielt auf der Schlaf-Us-Tour. Dabei wäre das eine Tour mit neun Shows und eine Sommer-Tour mit zwölf Festivals gewesen. Und nach nur drei Shows kam der Lockdown. Also sagte ich mir, dass ich in dem Fall jeden Tag einen Song schreibe, damit ich jeden Tag ein Ziel habe. Egal, wie gut oder schlecht es wird. Ich habe ein Atelier, wo ich arbeite und wo ich auch übernachten kann. Ich war die ganze Zeit dort. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, jeden Abend ins Bett zu gehen, ohne etwas gemacht zu haben. Das wäre mega schlecht für meine psychische Verfassung gewesen. Ich ging also an keinem Abend ins Bett, ohne dass ich ein Lied fertig als Demo aufgenommen hatte. Manchmal wurde es 5 Uhr morgens. Dabei entstanden auch wirklich viele Scheiss-Songs (lacht). Es sind aber auch sehr krasse, düstere Songs entstanden, die jetzt auch nicht auf dem Album sind. Es hat in ganz viele verschiedene Richtungen ausgeschlagen. Es gab auch Songs, die blitzschnell entstanden sind. "Niemert gweckt" zum Beispiel war nach einem halben Tag komplett fertig. Da hatte ich schon um 14 Uhr das Demo in der Tasche. "Mit de Rabe" entstand, als ich im Wald spazieren ging und einen Raben gesehen habe. Sofort ist mir der ganze Song zugeflogen. hitparade.ch: "So easy wenn du da bisch" entstand vor etwas längerer Zeit, richtig?
Dabu: Ja. Ich habe in diesen ersten fünf Wochen der Pandemie niemanden getroffen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben für so lange Zeit keinen Menschen berührt. In der Regel hat man immer irgendwie Kontakt, auch wenn man alleine lebt. Mal einen Händedruck oder so. Aber da war gar nichts. Danach kam dann meine Freundin wieder zu mir. Und so ist dieser Song entstanden. Es sind mir wirklich viele Dinge zugeflogen. Und so hatte ich am Ende 65 Songs. Einiges war schon von früher in meiner Schublade vorhanden, der Rest entstand in meinen Ein-Tages-Sessions. hitparade.ch: "Wenn's mir wieder guet gaht" war ja erst nur ein Experiment, gell?
Dabu: Ja! Wir wollten wissen, ob man einen ¾-Takt-Song machen kann, wenn der Drummer 4/4-Takt spielt. hitparade.ch: So à la Radiohead!
Dabu: Genau (lacht). hitparade.ch: Und wie genau kann man nun 65 Songs auf ein Album herunterkürzen?
Dabu: Ich bin mit diesen Songs zu DJ Arts, Gianluca und Nik Hartmann gegangen. Wir haben gemeinsam daran weitergearbeitet und es war relativ schnell klar, welche Songs es auf's Album schaffen werden. Wir hatten ein demokratisches Abstimmungs-Verfahren mit Post-it-Zettelchen (lacht). Das hat super funktioniert. hitparade.ch: Und was passiert mit dem Rest?
Dabu: Zum ersten Mal in unserer Karriere überlegen wir uns gerade, Demos zu veröffentlichen. Einfach, weil es so viele sind. Aber ich muss zugeben, dass es ein gutes Gefühl ist, so viele Songs in der Schublade zu haben. Sollte ich irgendwann einmal eine Schreibblockade haben, wäre das hilfreich. Auch von der "Schlaf Us"-Session habe ich noch viele Demos. Auch von "Drinks". Ich hätte eigentlich einen spannenden Pool. Mal sehen. hitparade.ch: Auffällig auf dem neuen Album sind ja die vielen Chor-Elemente. Wie ist das alles eigentlich entstanden?
Dabu: Ich habe das vorletzte Coldplay-Album "Everyday Life" extrem gefeiert. Dort hat es viel Chor darauf. Und dort gibt es einen Song, der heisst "When I Need A Friend". Und als ich den zum ersten Mal gehört habe, sind mir einfach die Tränen gekommen. Weil dieser Song so schön ist. Ich weiss noch genau, wie ich dabei durch Zürichs Strassen gegangen bin. Wenn es um Musik geht, bin ich wie ein kleines Kind. Wenn etwas bunt ist und blinkt, dann muss ich dort hin! Und das hat in diesem Moment unglaublich geblinkt. Es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Diese Art von Chor-Sound mit Pop-Musik zu vermischen, das hat noch niemand in der Schweiz gemacht. Ich hab's zu Hause ausprobiert und habe sofort gemerkt, dass es funktionieren wird. Blöd war, dass dann die Pandemie kam und wir gar keine Chöre aufnehmen konnten. Also mussten die Stimmen einzeln aufgenommen werden. Aber es war klar, dass es das Richtige ist. hitparade.ch: Chöre werden ja oft fälschlicherweise als spiessig oder uncool bezeichnet. Dabei ist Chor-Musik etwas ganz Tolles!
Ja. Ich kann aber hier auch sagen, dass ich eigentlich ready bin für's Spiessertum. Ich bin 41. Ich bin zudem nicht so cool. Ich werde nie zu diesen Menschen gehören, die in die Clubs gehen in den In-Lokalen in Zürich. Das Verständnis von Zürich, was cool sein soll – das bin ich nicht. Ich gehöre da nicht hin. Beziehungsweise gehöre genauso zu den Leuten, die in Mönchaltorf ein Bier trinken nach der Probe. Mit denen weiss ich mehr zu plaudern, als mit den Leuten, die in Zürich Drogen nehmen. Es sind einfach verschiedene Welten. Ich will damit keinen Stadt-Land-Graben ziehen. Ich bin wohl auch bitzeli uncool. Und das Album vielleicht auch (lacht). Aber ich finde das super. Dazu kommt, dass ein Chor eine wirklich schöne Integrations-Maschine für Menschen ist, die es nicht so einfach haben. Ich glaube, in jedem Chor hat es mindestens einen Menschen, der sonst kein Plätzchen finden würde. Du kannst hinstehen und mitsingen. Du musst dich nicht exponieren, Du kannst einen Teil zum Ganzen beitragen. Es ist wie beim Fussball! Ein Fussball-Club in der Schweiz ist ein mega Integrations-Tool für Migrant:innen. Ohne FC wären viele Leute weniger gut integriert. Und beim Chor sind es eher einsame Menschen. Was gibt es schöneres, als gemeinsam eine gute Zeit zu haben? Das Album soll eine Liebeserklärung an diese Welt sein. hitparade.ch: Wie werdet Ihr diese Chor-Elemente live umsetzen?
Wir sind sechs Leute auf der Bühne und damit bereits ein kleiner Männer-Chor. Es gibt mindestens drei Stücke auf der Bühne, in denen wir das sehr deutlich zeigen. Da singen wir A Cappella. Wir haben ja einen DJ dabei und der kann auch einmal für einen Song einen Chor einspielen. Im Hotel Wetterhorn in Hasliberg hatten wir den "Jodlerklub Hasliberg" dabei, in Zürich hatten wir einen Chor auf der Bühne und in Arbon gab's einen Chor im Publikum, der Flashmob-mässig gesungen hat vor der Show. Das Element ist also live auch vorhanden. Es ist bei jedem Konzert ein wenig anders. Und es lohnt sich immer, zu kommen.Interview durchgeführt:
Bettina Wyss-Siegwart
Bettina Wyss-Siegwart
Redaktion:
Bettina Wyss-Siegwart
Bettina Wyss-Siegwart