Home | Impressum | Kontakt
Login

Interview mit Die Toten Hosen



Die Toten Hosen - Ballast der Republik
(VÖ: 04.05.2012)

1. Drei Kreuze (dass wir hier sind)
2. Ballast der Republik
3. Tage wie diese
4. Traurig einen Sommer lang
5. Altes Fieber
6. Zwei Drittel Liebe
7. Europa
8. Reiss dich los
9. Drei Worte
10. Schade, wie kann das passieren?
11. Draussen vor der Tür
12. Das ist der Moment
13. Ein guter Tag zum Fliegen
14. Oberhausen
15. Alles hat seinen Grund
16. Vogelfrei

mehr Infos

Get the Flash Player to see this player.

Zum dreissigsten Geburtstag der Toten Hosen erscheint nach fast vier Jahren Wartezeit das neue Album "Ballast der Republik". Und für alle Fans gibts noch ein zusätzliches Album. Wir haben Campino und Andreas Meurer zum Interview getroffen.

hitparade.ch: Es ist 3.5 Jahre her, seit das letzte Studio-Album erschienen ist. Stand es im Vornherein schon fest, dass Ihr im Jubiläumsjahr eine neue Scheibe herausbringen möchtet?
Campino: Es gab eine Absichtserklärung. Aber wenn wir mit dem neuen Material unzufrieden gewesen wären, dann hätten wir das vertagt.

hitparade.ch: Am 10. April habt Ihr Euer Jubiläums-Konzert gegeben, auf der selben Bühne wie damals, vor nicht mehr als 200 Menschen. Was war das für ein Gefühl, so zurück zu den Wurzeln zu kommen?
Andreas Meurer: Es war kein normaler Abend, das war uns durchaus bewusst. Wir fühlten uns zurückversetzt und konnten uns noch schemenhaft daran erinnern, wie es damals war. Es wurde ein toller Moment, weil auch sehr viele Freunde von uns dabei waren und wir den Abend richtig geniessen konnten. Uns hat das extrem viel Spass gemacht. Wir waren sehr glücklich, dass es diesen Ort noch gibt. Uns wurde einmal mehr bewusst, wie schön es ist, dass es uns noch gibt.
Campino: In der Tat sind wir seit 1982 schon gefühlte 100 Mal in Bremen gewesen, ohne uns etwas dabei zu denken. Diesmal sassen wir im Zug dorthin und in unseren Köpfen spielte sich ein anderer Film ab als sonst. Da kommen viele Anekdoten hoch und Demut, dass man immer noch da ist.

hitparade.ch: Hattet Ihr auch ein spezielles Set oder einen speziellen Feier-Akt auf der Bühne?
Campino: Der Anlass an sich war ja schon speziell. Die Rückkehr auf genau diese Bühne. Das Set haben wir so gehalten, dass wir nur Lieder gespielt haben, die bis zum ersten Album reichten. Es erinnerte daher sehr viel an die Zeit von damals! Wir haben uns auch die Klamotten von früher wieder geschnappt und angezogen. (lacht)

hitparade.ch: Seit Euren Anfängen hat sich in der Musik-Industrie viel verändert. Das Internet hat eine grosse Krise in der Musik-Industrie herbeigerufen. Ihr nutzt das Internet aber sehr stark: Auf Eurer Website kommuniziert Ihr aktiv mit Euren Fans und auf facebook habt Ihr eine halbe Million Fans. Empfindet Ihr das Internet demnach als hilfreich, oder spürt auch Ihr diese grosse Krise?
Campino: Man muss es so nehmen wie es ist. Und wenn es nun schon da ist, sollte man einfach versuchen, das Positive daran zu sehen. Da hilft es nicht, sich zu verkrampfen und die Vergangenheit heraufzubeschwören. Das Internet wächst mit einem derartigen Tempo, dass wir alle fast schon hilflos hinterherhinken. Vor allem natürlich die internationale Gesetzgebung. Man muss versuchen, gewisse Sachen zu regeln, das ist im Interesse aller, aber die Diskussion um dieses Thema wird momentan sehr unsachlich geführt. Das Netz hat viele Vorteile. Ich finde es eine schöne Vorstellung, dass Fans weltweit ihre Band intensiv verfolgen können. Uns selbst geht es ja auch so: Wenn ich wissen möchte, was gerade bei AC/DC los ist, dann klicke ich deren Homepage an. Die Infos sind sofort da und ich muss nicht auf die Monatsausgabe einer Musik-Zeitung warten, um an sie heranzukommen. Es hat also auf jeden Fall grosse Vorteile. Man kann davon aber auch irritiert sein und sich fragen: Wo soll das alles noch hinführen? Stichwort "Gläserner Bürger". Da wird alles abgespeichert. Man kann sehen, wer was bestellt hat und es werden einem sofort neue Vorschläge zugesandt, ob man möchte oder nicht. Vielleicht bin ich da konservativ, aber mich ärgern solche Sachen sehr.

hitparade.ch: Nach 30 Jahren Musik-Karriere blickt man doch sicher auch gerne mal wieder auf seine Anfänge zurück. Hört Ihr Euch auch ab und zu Eure allerersten Alben wieder an?
Campino: Wenn wir uns das anhören, dann glaubt man bei einigen Stücken, dass sie für damalige Verhältnisse sehr gelungen waren. Bei anderen Liedern denken wir: "Was haben wir denn da zusammengespielt?" Oft höre ich mir die alten Sachen aber nicht an. Es ist manchmal lustig, frühe Fotos zu sehen, wie wir damals ausgesehen haben und herumgelaufen sind! Aber ich bin nicht der Typ, der oft in Erinnerungen schwelgt. Da geniesse ich lieber das Hier und Jetzt und gucke mir an, was heute so passiert.
Andreas Meurer: Ich glaube auch, dass das eine gute Kur ist gegen alte, nostalgische Gefühle, wenn man sich alte Fotos ansieht und Aufnahmen anhört. Damit möchte man am liebsten nichts mehr zu tun haben (lacht).

hitparade.ch: Eure Single "Tage wie diese" ist ja in Deutschland auf der 3 eingestiegen. Das ist der grösste Erfolg einer Single seit "10 kleine Jägermeister". Freut Ihr Euch über so etwas, oder sind Euch Charts-Platzierungen weniger wichtig?
Campino: Klar freuen wir uns darüber, wenn ein Lied gut ankommt. Ansonsten sind das aber alles Zahlen und Statistiken. Das Chart-System ist heute völlig anders als damals. Heute kannst Du im Computer nachgucken, wo welche Bewegung in den Läden passiert. Noch am selben Abend kannst Du sehen, dass Du beispielsweise an diesem Tag in Ingoldstadt 12 Platten verkauft hast. Wie gesagt, es läuft alles total anders. Ich weiss jetzt nicht, wie der Stand der Dinge ist, aber eine Weile lang hat ja auch das Airplay die Charts mitbestimmt. Das ist also eine recht verworrene und uneinsehbare Angelegenheit, mit der wir auch nicht zu viel Zeit verschwenden wollen. Die Tatsache, dass die Platte gerade von den Leuten so abgefeiert wird, ist für uns etwas ganz Feines. Nach einer längeren Pause kommen manchmal Unsicherheiten auf, bei denen man sich fragt, ob uns die Leute überhaupt noch hören wollen. Dann stellen wir uns die Frage nach unserer Relevanz. Aber wenn der Startschuss schon so euphorisch aufgenommen wird, freut uns das riesig und es ist sehr ermutigend.

hitparade.ch: Ihr gebt Euch auch sehr Mühe bei Euren Singles. Im Gegensatz zu anderen Bands hat es bei Euch noch B-Seiten mit weiteren Songs...
Campino: Wir sind nie eine Single-Band gewesen und es ist im Endeffekt nicht so wichtig, wie nun diese Single läuft. Unser Schwerpunkt liegt beim Album. Das war immer so und wird auch immer so sein. Es bringt uns nicht viel, wenn wir einen grossen Radio-Hit hinlegen, aber kein Mensch interessiert sich dafür, was wir sonst noch zu bieten haben.

hitparade.ch: Der Song "Tage wie diese" kommt eher ruhig daher. Was kann man vom Album erwarten?
Andreas Meurer: Dass dieser Eindruck wieder richtiggestellt wird (lacht). Es gibt ganz unterschiedliche Songs auf dem Album. Lieder, die man als "Hosen"-klassisch ansehen könnte und andere, die untypisch sind. Da ist eine ziemlich grosse Bandbreite auf dem Album.
Campino: Man versucht, sich am Anfang einer Produktion immer in alle Richtungen auszutoben. Das Schlimmste, was Du machen kannst, ist, von Anfang an eine Zensurschere in der Hand zu halten und gewisse Sachen nicht zuzulassen. Wir gehen an ein neues Album heran, als würden wir einen Spielplatz betreten, randalieren da herum und schauen am Schluss, was übrigbleibt und gefällt. Es waren am Anfang ungefähr 150 Song-Ideen da, mit der Zeit hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Am Ende stehst Du dann da mit der Essenz. Das ist vielleicht nicht immer das, was Du Dir erträumt hast, aber es ist das Endergebnis. Das hat im gewissen Sinne auch mit einer Geburt zu tun. Du musst die Kinder nehmen, wie sie kommen. Du kannst Dir da etwas vorstellen, wie es sein wird, aber schlussendlich musst Du damit leben, was Du serviert kriegst.

hitparade.ch: Das Album heisst "Ballast der Republik". Was ist denn der Ballast der Republik?
Campino: Uns ging es darum, ein Gefühl zu definieren, das man in Deutschland ständig wiederfindet. Viele Menschen sagen, dass sie nicht mehr nach den Taten ihrer Eltern bewertet werden wollen. "Wir sind wir". Im Grunde geht diese Rechnung nicht auf, weil man die Geschichte des Landes mit sich herumträgt, ob man will oder nicht.

hitparade.ch: Wie lange habt Ihr an diesem Album gearbeitet?
Andreas Meurer: Zwei Jahre. Wir hatten Startschwierigkeiten. Wir haben unzählige Lieder gehabt, darunter auch einige Sachen, die nicht so toll waren. Es hat recht lange gedauert, bis wir an dem Punkt waren, an dem wir wussten, welche Lieder es auf die Platte schaffen würden. Wir haben immer in dem Bewusstsein gearbeitet, dass wir die bestmöglichste Platte herausbringen möchten. Gerade zum Jubiläum. Man will bei jeder Platte immer die beste Platte von allen abliefern, aber durch dieses Jubiläum haben wir uns noch ein bisschen mehr Druck gemacht.
Campino: Zwei Jahre, das ist eine Zahl, da erschreckt man sich wahrscheinlich im ersten Moment. So darf man sich das aber nicht vorstellen. Es gibt ja immer noch ein Leben neben der Band, und das hat heutzutage einfach sehr viel mehr Raum eingenommen, als das früher der Fall war. Wenn wir früher von zwei Jahren "Hosen"-Arbeit geredet haben, dann waren das auch zwei Jahre. Wenn wir heute eine solche Zahl nennen, dann heisst das: Wir haben vor 2 Jahren mit der Arbeit angefangen, aber jeder hatte auch Zeit, sich um sein Privatleben und die Familie zu kümmern. Und dann sind 24 auf einmal nur noch 12 Monate reine Arbeitszeit, oder noch weniger. Es ist eine Herausforderung, Zeitabschnitte zu finden, in denen man gemeinsam arbeitet und sich voll konzentriert.

hitparade.ch: Ihr habt erwähnt, dass Ihr viele Song-Ideen verworfen habt. Kann es sein, dass man irgendwann mal wieder darauf zurückgreift?
Campino: Wir schmeissen solche Songs nicht in den Mülleimer, die werden archiviert. Sie werden auch in Kategorien eingeteilt. Da gibt es Stücke, die Potenzial gehabt hätten. Wir waren aber nicht in der Lage, sie in diesem Zeitraum vernünftig umzusetzen. Und dann gibt es Lieder, die nur mittelmässig waren, mit denen werden wir uns wohl nicht weiter befassen. Aber es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass wir beim Abhören alter Bänder Aufnahmen gefunden haben, bei denen wir uns gesagt haben, dass wir uns die Idee nochmals vornehmen sollten. Da waren wir beim ersten Mal wohl einfach nicht in der richtigen Verfassung. Es ist also nicht so, dass man da einfach Tabula Rasa macht. Während der Entstehung des Albums ändern die einzelnen Songs immer wieder ihre Positionen.

hitparade.ch: Gibt es Songs auf dem neuen Album, die Ihr speziell hervorheben möchtet, weil sie vielleicht eine speziellere oder persönlichere Bedeutung für Euch haben?
Andreas Meurer: Die Favoriten wechseln oft. Aber ich drücke beim Abhören des Albums keinen Song weiter. Das ist ein gutes Zeichen. Zurzeit höre ich gerne "Lass es raus" und "Europa", ein Lied, das sich mit der Flüchtlingsdramatik im Mittelmeer befasst. Auch mit der Single komme ich gut klar, obwohl ich den Song nun schon tausend Mal gehört habe.
Campino: Schwierig, wenn man monatelang an einer Platte gearbeitet hat, unmittelbar danach eine Position zu beziehen. Es ist wie es ist. Das Beste, was wir gerade geben konnten. Das macht uns ruhig. Und jetzt schauen wir, wie das Ganze ankommt und wie die Leute reagieren werden. Wir wollen da nicht durch Eigenlob auffallen.

hitparade.ch: Man hat die Qual der Wahl, wenn man sich das Album kaufen will, denn es gibt vier verschiedene Editionen. Wem würdet Ihr welche Version empfehlen?
Campino: Heutzutage lassen sich alle etwas einfallen, um finanzielle Einbrüche auf dem Markt zu kompensieren. Im Grunde gibt es kaum noch einen Anreiz für den normalen Konsumenten, eine Platte zu kaufen. Viele ziehen sich die Sachen im Netz umsonst herunter. Dass man für Fans versucht, etwas Besonderes zu machen und eine Belohnung dafür zu finden, dass sie die Treue haben, doch noch eine Scheibe zu kaufen, das drückt sich dann in Sonder-Editionen aus. Unser neues Album heisst "Ballast der Republik", das ist unser Hier und Jetzt, daran wollen wir gemessen werden. Ein Riesenvergnügen war es aber auch, die Platte "Die Geister, die wir riefen" aufzunehmen. Die braucht aber nicht Jeder, der sich nur für Musik der Toten Hosen interessiert, denn da sind wir ja eigentlich nur Katalysator. Wir covern Lieder von anderen Leuten. Deswegen wollten wir die Entscheidung den Leuten selbst überlassen, ob sie einfach "nur" unser neues Album wollen oder bereit sind, in die Tiefen der deutschsprachigen Musik-Szene einzutauchen.

hitparade.ch: Wie habt Ihr denn diese Songs ausgewählt? Ihr seid ja durch 300 Jahre Deutsches Liedergut gegangen... Wieviel Zeit habt Ihr in diese Jubiläums-Bonus-CD investiert?
Campino: Wir haben die Düsseldorfer Proberäume geplündert und Songs von "Male", "Kraftwerk" und "Mittagspause" nachgespielt. Ausserdem haben wir die Finger ausgestreckt, um noch völlig andere Dinge zu finden. Beispielsweise Gedicht-Interpretationen von Hermann Hesse und Erich Kästner.

hitparade.ch: Seit 20 Jahren sind ja sämtliche Eurer Studio-Alben auf Platz 1 in Deutschland eingestiegen. Was erwartet Ihr bei "Ballast der Republik"?
Campino: Wir sind immer schon sportiv eingestellt gewesen und wenn Du so oft belohnt und verwöhnt wurdest mit Deinen Chart-Positionen, wirst Du sicherlich registrieren, wenn es plötzlich heisst "Das neue Album ist nur auf die 26 eingestiegen." Das möchten wir verhindern. Aber eigentlich nur mit dem konservativen Mittel, Qualität abzuliefern. Man kann die Qualität einer Platte aber nicht an der Chart-Position messen. Ob da Madonna oder Britney Spears auf der 1 sind, oder Unheilig oder Silbermond, das sagt nicht aus, wer die bessere Platte gemacht hat. Es gibt viele grossartige Künstler, die nie in diese Chart-Bereiche kommen.

hitparade.ch: Ist man nach so langer Zeit eigentlich noch immer nervös vor einem Album-Release?
Andreas Meurer: Klar! Da bastelt man herum im Studio und weiss überhaupt nicht, wo man steht. Deshalb wird man auf einmal unsicher.
Campino fängt an zu lachen
Campino: Sorry, wenn ich unterbreche, aber ich muss gerade lachen, weil ich eben noch dieses Plädoyer für Qualität gehalten habe, aber auch ich muss zugeben, dass mich der Tag der Chart-Platzierung nervös macht. Ich kann mich also nicht freisprechen von diesem ganzen Quatsch (lacht). Vorhin hat die Vernunft gesprochen und jetzt die Realität.

hitparade.ch: Auf Eurer Website gibt es massenweise Informationen über Euch. Ihr habt ja auch eine Plattform, auf der Euch Fans schon seit 9 Jahren Fragen stellen können, die Ihr persönlich beantwortet. Gibt es überhaupt noch Fragen, bei denen Ihr denkt: "WOW, das ist eine gute Frage! Die hat uns noch nie Jemand gestellt"?
Campino: Gute Fragen gibt es ständig, das ist eine Sache der Betrachtung. Ich weiss auch nicht, ob unsere Antworten immer so toll sind (lacht). Aber es geht uns ja allen gleich: An manchen Tagen empfinden wir alles als blöd, an anderen Tagen dieselben Sachen als super. Wir sind vom Leben nicht gelangweilt und wir sind auch von Fragen nicht gelangweilt. Ich glaube, das gehört zu den grossen Übungen im Leben: Dass man sich eine Neugier beibehält und auch bereit ist, immer wieder über neue Dinge zu staunen. Wer keine Lust mehr hat auf Wunder, der soll zuhause bleiben. Der rostet wahrscheinlich schneller ein, als Menschen, die bemüht sind, ihre Antennen noch auszustrecken. Das ist meine Art der Betrachtung des Lebens.

hitparade.ch: Ihr gehört zu den grössten Bands in Deutschland. Wie ist das, wenn Ihr privat unterwegs seid und beispielsweise einkaufen geht? Wird man da alle 10 Sekunden angeprochen und muss für Fotos herhalten, oder üben sich die Leute in Zurückhaltung?
Campino: Bezahlen müssen wir an der Kasse auch (lacht). Wenn ich in Düsseldorf unterwegs bin, dann oft an Orten, an denen ich mich regelmässig aufhalte. Daher funktioniert das gut.
Andreas Meurer: Wir gehen ja alle unsere Bahnen und die Leute gewöhnen sich dann an Dich. Wenn Du einen Laden zum ersten Mal betrittst, dann wird schon von der Fleischtheke gerufen: "Ulla, hol mal den Fotoapparat!" (lacht). Aber wenn Du da zum zehnten Mal einkaufst, dann wirst Du behandelt wie jeder Andere auch, das ist gut so. Im Grunde nehmen wir das gar nicht mehr so wahr. Wir können tatsächlich unseren Alltag leben wie jeder Andere auch.

hitparade.ch: Ihr gebt ja auch nicht viel von Eurem Privatleben preis...
Campino: Es gibt Leute, die ein stärkeres Bedürfnis haben, über sich und ihr Privatleben zu reden und die vielleicht auch eher bereit sind, das zu Markte zu tragen, irgendwo in den Schlagzeilen zu bleiben. Wir haben da eher zugemacht. Wenn die Yellow Press auf uns zukam, hat sie bei uns nur verschlossene Türen vorgefunden. Also haben sich diese Reporter gesagt, nehmen wir halt ein paar Andere, die erzählen uns mehr. Für mich war es immer sehr wichtig, eine Linie ziehen zu können. Wir geben ja schon sehr viel und wir erzählen auch viel. Aber es muss eine Marke geben, hinter der man sich zurückziehen kann. Es muss ja nicht analysiert werden, warum ich mir jetzt einen gelben Teppich in mein Zimmer gelegt habe und keinen grünen (lacht).

hitparade.ch: Ihr habt dieses Jahr ja nicht nur das 30-jährige Jubiläum der Toten Hosen, sondern auch das 20-jährige Bühnen-Jubiläum in Argentinien. Wie bereitet man sich auf ein Konzert im nicht deutschsprachigen Raum vor? Und wie fühlt sich das an?
Campino: Argentinien - das ist für uns schon etwas Besonderes. Dass da 10'000km von zuhause eine Fan-Gemeinde entsteht und immer weiter wächst und sich bemüht, uns auch in unserer Sprache zu verstehen, das ist uns sehr nahegegangen. Das haben wir auch in Polen und Ungarn so erlebt. Tausende Leute kamen zu unseren Konzerten und wir wurden unglaublich wohlwollend aufgenommen. Diese Begeisterung war fast schon märchenhaft für uns. Und es ist jedes Mal so, wenn ich in das Flugzeug nach Südamerika steige, dass ich denke: "Lieber Gott, lass es nochmals so sein wie beim letzten Mal. Hoffentlich haben die uns nicht vergessen." Und nein, sie haben uns nicht vergessen (lacht). Wir spielen im Ausland auch mehrere englische und spanische Lieder.

hitparade.ch: Ganz speziell bei Euch waren ja auch diese Magic Mystery Tour Gigs, die Überraschungsauftritte. Gab es auch schon solche Aktionen in der Schweiz?
Andreas Meurer: Wir werden heute Abend ein solches Wohnzimmer-Konzert spielen. Auf dem Dachboden eines Hauses in der Berner Altstadt. Ich kann mich gut erinnern, das ist etwa 15 Jahre her, da haben uns ein paar Jungs in der Schweiz ihr Wohnzimmer zur Verfügung gestellt. Und weil sie Schiss hatten, dass der Boden einbricht, hatten sie Stützbalken in den Keller montiert. Trotzdem ist er abgesackt.

hitparade.ch: Früher seid Ihr auch unter Pseudonymen aufgetreten, damit Ihr vor einem überschaubaren Publikum auftreten konntet. Ist so etwas heutzutage überhaupt noch möglich mit dem Internet? So etwas verbreitet sich sicher wie ein Lauffeuer, oder?
Andreas Meurer: Wenn wir jetzt ein kleines Konzert in diesem Stil wollen, dann personalisieren wir die Tickets, um den Schwarzmarkt zu verhindern. Man kann das schon regeln. Wir sind in der glücklichen Situation, Beides tun zu dürfen: Kleine Konzerte und auch grosse Konzerte spielen!

hitparade.ch: Kommen wir zur Top 10 der Schweizer Alben, könnt ihr sie kommentieren?

Züri West - Göteborg
Campino: Züri West ist eine Schweizer Combo, die hat einen ziemlich guten Ruf. Ich habe mich da nicht tief eingearbeitet, aber ich glaube, dass die in Ordnung sind.

Unheilig - Lichter der Stadt
Unheilig... Der Graf ist ja einer der bekanntesten Schweizer (lacht). Also aus Deutschland kann der nicht kommen. Der Graf hat eine Lehre gemacht als Akustiker und Hörgeräte-Hersteller. Da fragt man sich schon: Ist der gerade auf der Suche nach neuen Kunden? (lacht). Im Ernst: Er ist ein lieber Kerl, wir mögen ihn.

Adele - 21
Andreas Meurer: Adele, das ist eine tolle Platte. Ich glaube, da sind wir uns einig.
Campino: Die ist bei uns Beiden im Plattenregal zu finden, habe ich schon hundertmal gehört. Besonders das erste Stück auf der Scheibe, das ist einfach unschlagbar.

Silbermond - Himmel auf
Campino: Silbermond, Gitarrenmusik und schöner Gesang. Andere Generation. Junge Menschen machen Musik (lacht).
Andreas Meurer: Die Platte habe ich aber nicht gehört.

Madonna - MDNA
Campino: Den Titel finde ich gut. Sie hat schon viele tolle Platten gemacht und ich werde mir das Album auf jeden Fall anhören. Aber ich habe den Eindruck, dass sie mit diesem Album nicht ganz so gut ankommt wie sonst.

Remady & Manu-L - The Original
Campino: Finde ich vom Namen her schon total scheisse (lacht), weil er mich irgendwie an "Man United" erinnert. Und ich hasse Man United. (lacht). Das kann ich leider nicht vorurteilsfrei bewerten.

Rebecca Ferguson - Heaven
Andreas Meurer: Also, ich kenn's nicht.
Campino: Sie schaut da ganz nachdenklich. Vielleicht sollte sie mal zum Arzt.

Stefanie Heinzmann - Stefanie Heinzmann
Andreas Meurer: Das ist eine Nette!. Ich habe ihre neue Platte aber noch nicht gehört.
Campino: Aber der Titel ist originell! Stefanie Heinzmann bringt jetzt endlich ein Album mit dem Titel "Stefanie Heinzmann" heraus. Wir hätten unseres auch einfach nur "Die Tote Hosen" nennen sollen.
Andreas Meurer: Das machen wir bei der nächsten Platte!

Michel Teló - Na balada
Campino: Das ist ja dieser Vogel aus Brasilien. Der schafft es mit einem portugiesischen Text, die Welt zu erobern, ohne dass die Leute so genau wissen, was der da eigentlich singt. Ich finde so etwas zur allgemeinen Sprachverständigung immer super.
Interview durchgeführt: Bettina Siegwart, Steffen Hung
Redaktion: Bettina Siegwart