Vom Jugendzentrum in die Charts - Interview mit Fettes Brot

Fettes Brot - Teenager vom Mars
1. Teenager vom Mars
2. K.L.A.R.O.
3. Mein Haus
4. Von der Liebe
5. Gegenmodell
6. Du bist The Shit
7. Alle hörn jetzt Schlager
8. Eure Autos
9. Boyfriend
10. Fettes Brot feat. Fatoni, Felix Brummer, Kryptic Joe - Meine Stimme
11. Ganz schön low
12. Emmely
13. Das letzte Lied auf der Welt
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Fettes Brot sind wieder da! Das neue Album "Teenager vom Mars" hat bei den Fans total eingeschlagen. Wir haben mit Björn, Boris und Martin über Ausserirdische, HipHop und Schweizer Musik diskutiert.
Ihr seid nicht besonders grosse Freunde von Schlagerfans. Das kommt im Song "Alle hörn jetzt Schlager" heraus. Was müsste man Euch bezahlen, dass Ihr einen Schlager-Song covern würdet?
Björn: Nicht alle Schlager-Songs sind Schrott. Zum Beispiel ist "Griechischer Wein" von Udo Jürgens ein Top-Song. Das Lied hat mehr Tiefgang, als man im ersten Moment ahnt.
Boris: Beim Song "Alle hörn jetzt Schlager" haben wir nicht unbedingt ein Problem mit den Protagonisten, sondern mit dem Inhalt der Lieder. In einer Zeit, in der die Welt in Aufruhr ist und es an allen Ecken brennt, finden wir es schwierig, dass sich die Leute in die Welt des Schlagers flüchten - einer Musikrichtung, die keinerlei Haltung zum Weltgeschehen einnimmt. Eine Musik, die ein kitschiges Schönwelt-Szenario vermittelt. Da werden rückständige Weltbilder verbreitet. Wir sagen jetzt etwas dazu. Es mag plakativ sein, doch manchmal muss man nun einmal deutliche Worte finden.
Im Song "Ganz schön low" nehmt Ihr ja auch Stellung zum aktuellen Weltgeschehen. Habt Ihr vor, das irgendwie speziell zu promoten, damit Ihr Euren Standpunkt möglichst in der Welt verbreiten könnt?
Boris: Nö, ich glaube, das passt ganz gut in unsere aktuelle Promotion mit dem neuen Album. Wir reden viel darüber und freuen uns, wenn die Menschen da etwas heraushören. Wir waren schon immer eine Band, die unterhalten wollte, aber auch eine klare Haltung hat, die sie vertritt.
Zum Albumtitel "Teenager vom Mars": Was war zuerst da: Der abgespacte Sound oder die Idee mit den Ausserirdischen?
Boris: Als wir etwa in der Hälfte der Album-Produktion waren, hatten wir die Idee zum Song "Teenager vom Mars". Wir fanden die Idee der Perspektive vom All auf die Erde sehr reizvoll. Es ist spannend, die Dinge so zu betrachten, als wäre man ein Ausserirdischer.
Björn: Wir haben uns gefreut zu merken, dass unter dieser Überschrift auch all die anderen Songs, die wir bis dahin gemacht hatten, Sinn machen. Das Konzept war nicht geplant, es ist einfach passiert. Man kann die Platte in einem Rutsch durchhören und befindet sich auf einer Reise, auch wenn es unterschiedliche musikalische Ansätze gibt.
Fühlt Ihr Euch noch wie Teenager?
Boris: Wir sind uns unserem Alter durchaus bewusst, auch wenn wir noch absolute Sex-Granaten sind. Aber im Zweifel sind wir immer für das Rebellische, Aufrührerische, für den Fehler, für die Lücke und für die Zweifel.
Martin: Während Erwachsene eher Gefühle vermitteln wie Sicherheit, Klarsicht, Struktur…
Boris: …Und Langeweile.
Martin: Wir möchten natürlich nicht zu sehr in diese Richtung gehen. Da schrillen die Alarmglocken!
Björn: Wenn ich mir Leute angucke, die jünger sind als ich und sich benehmen wie meine Eltern, dann kann es nur eines für mich geben: Ich muss in meinem Herzen immer noch ein Teenager sein. Ich weiss nicht, ob ich irgendwann einmal noch erwachsen werde. Vermutlich nicht und das ist wohl auch das Richtige für mich. Deswegen spielen wir gerne mit diesen Sichtweisen. Gewisse Dinge sind mir tatsächlich nicht begreiflich.
Martin: Unsere Kinder sind manchmal genervt davon, dass sie uns erziehen müssen.
Glaubt Ihr an Ausserirdische?
Björn: Du bist übrigens die Erste, die uns genau diese Frage zu unserer neuen Platte stellt. Darum freue ich mich, sie zu beantworten! Darüber hatte ich mir lange keine Gedanken mehr gemacht, bis zu dem Moment, als wir die Platten-Veröffentlichungs-Session in einer Sternwarte gefeiert haben. Dort haben wir mit einem Typen von der Sternwarte gesprochen und der hat uns nochmals erzählt, wie viele Sterne in einer Galaxie sind, wie viele Galaxien es so gibt, wie viele Galaxien in einer Milchstrasse sind und wie viele Milchstrassen es gibt. Das war der Moment, in dem mir wieder klar wurde: Wir können unmöglich allein sein! Es gibt mit Sicherheit Ausserirdische, wir wissen nur nicht wo. Der Typ hatte uns innerhalb weniger Minuten erklärt, wie klein wir sind und wie gross das Universum ist. Da war es für mich vollkommen logisch, dass es ausserirdisches Leben geben muss.
Boris: Ich bin da hin- und hergerissen. Es kann auch ein Zufall sein, dass Temperatur und alle lebensermöglichenden Umstände einfach nur hier stattfinden. Auch wenn es viel mehr Planeten gibt, als die, die wir kennen.
Björn: Auch ein beunruhigender Gedanke. Dass es nur hier so ist. Dass wir komplett alleine in diesem ganzen Universum sind.
Boris: Beides Scheisse.
Björn: Am Ende des Tages macht es keinen Unterschied, weil wir sind unter uns. Und das ist ja schon schwer genug.
Martin: Deshalb machen wir weiter Musik, weil solche Fragen nicht beantwortet werden können.
Björn: Und um die Angst zu betäuben.
Würde es Euch denn Angst machen, wenn es Ausserirdische geben würde?
Björn: Auf eine Art schon. Wenn man sich vorstellt, da gibt es noch andere Leute…
Martin: Leute! (lacht)
Björn: Oder aber wir sind noch einsamer. Das ist auch krass!
Boris: Aber wir haben den warmen Schoss einer Band.
Martin: Wie sich manche Leute in die heile Welt von Schlager zurückziehen, ziehen wir uns in die kreative Welt von Fettes Brot zurück. Das ist unsere Flucht.
Wenn Euch jemand anbieten würde, dass Ihr ins Weltall fliegen dürftet, würdet Ihr es tun?
Björn: Ja! Sofort!
Boris: Unter keinen Umständen!
Martin: Vielleicht!
Wieso nicht, Boris?
Boris: Ich würde mich verrückt machen. Die Vorstellung, so hoch von der Erde wegzufliegen. Wenn ich müsste, würde ich es machen. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, dann nicht. Was soll ich da? Hier ist genug zu tun. Mein Leben ist aufregend genug. Ich habe keinen Mangel an Adrenalinstössen in meinem Leben. Es ist eher grenzwertig viel.
Martin: Aber warum übernimmst Du nicht Verantwortung für den Rest der Menschheit und sagst: "Ich schaue mir das mal an und gucke, ob wir dahin gehen können, wenn unser Planet in Rauch aufgeht." Das find ich ein bisschen egoistisch von Dir.
Björn: Dann muss er ja!
Boris: Schön, dass Du das ansprichst! Aber es gibt ganz viele Leute, die da Bock darauf haben. Zum Beispiel Björn.
Björn: Ich! Ich! Ich!
Boris: Das ist ausserdem ein sehr pessimistischer Gedanke.
Martin: Die Sonne explodiert irgendwann. Das ist Dir auch klar, oder?
Boris: Da hilft auch kein Flug ins All.
Björn: Doch! Wir können ja einen anderen Planeten finden.
Boris: So weit kann man nicht fliegen!
Eure Musik ist einzigartig, weil Ihr HipHop mit modernen Musik-Stilen vermischt. Seid Ihr Euch musikalisch immer schnell einig, oder gibt's da intern auch mal eins aufs Dach?
Martin: Es gibt manchmal Lieder und Ansätze, bei denen wir erst mit der Zeit merken, dass es doch nicht so das Gelbe vom Ei ist. Gewisse Ideen können mit der Zeit an Schwung verlieren. Aber ich glaube, insgesamt sind wir uns immer ziemlich einig. Das ist wohl etwas, das uns auszeichnet: Dass wir eine Band sind, die Spass hat, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Wir hampeln gerne auf dem "Spielplatz Musik" herum. Wir sind mit der Zeit feiner und besser geworden. Wir haben viel dazugelernt, was das Songwriting angeht und haben gemerkt, was unsere Stärken und Schwächen sind.
Denkt Ihr, dass diese Offenheit für Neues der Grund ist, warum Ihr seit so vielen Jahren erfolgreich in diesem Business seid?
Boris: Wir hoffen es! Wir gehen aber auch genau aus diesem Grund extrem vielen Leuten auf die Nerven. Viele wollen klar strukturierte Musik, die verlässlich immer nach einem bestimmten Sound klingt. Uns ist das bewusst und das nehmen wir in Kauf, weil wir diese Vielfältigkeit brauchen, um atmen zu können. Das gefällt uns gut und wir möchten uns ja auch nicht einschränken. Früher hat uns das verletzt, wenn gesagt wurde: "Ihr macht ja gar keinen HipHop mehr!", weil wir natürlich mit dem Selbstverständnis angefangen haben, eine HipHop-Band zu sein. Und wir waren auch stolz darauf, ein Teil dieser Szene zu sein. Wir haben uns vom Jugendzentrum in die Charts hochgerappt. Inzwischen sagen wir: "Fettes-Brot-Musik klingt halt anders und individuell." Mittlerweile verletzen uns solche Aussagen nicht mehr.
Martin: Wir haben ein eigenes Genre aufgebaut.
Boris: Wer's mag, der mag's. Wer nicht, der soll kacken gehen.
Ärgern Euch die Musikkonsumenten von heute?
Björn: Der Musikmarkt hat sich in den letzten Jahren natürlich sehr verändert. Wir gehören aber nicht zu den Jammerlappen, die das dann betrauern und herumheulen. Wir gehören ja selbst zu den Menschen, die zwischendurch auch einmal schnell zack zack einen Song hören und ihn dann wieder vergessen. Das ist auch OK. Andererseits sind wir sicher auch Typen, die dieses Prinzip von Fan-Sein und Leidenschaft verinnerlicht haben. Ich glaube, das gibt es auch immer noch, dass man total Fan einer Band ist und alles von ihnen hören und wissen möchte. Wir glauben nach wie vor daran, dass es eine gute Sache ist, ein Album zu produzieren und Songs drauf zu packen, die eine Epoche des Band-Schaffens zeigen und Themen beinhalten, mit denen man sich während dieser Zeit beschäftigt hat.
Und all die Leute, die denken, sie müssten nichts mehr bezahlen für Musik?
Björn: Ich selbst stelle es ja auch fest. Wenn ich einen Spotify-Account habe und mir Sachen offline verfügbar machen kann, fehlt ein bisschen der Impuls, sich die Platte auch noch zu kaufen. Das ist eine Realität, der wir uns versuchen, angstfrei zu stellen. Wir müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Das heisst nicht, dass wir von unserem alten Konzept abweichen werden oder unsere Musik nicht mehr bei Spotify anbieten.
Boris: Wir kaufen auch noch Musik. Ich glaube, wir sind eine Band, die es geschafft hat, eine gewisse Solidarität zu entwickeln. Wir vertrauen unseren Fans, dass sie die Musik kaufen und auch an unsere Konzerte kommen. Es gibt viele, die kaufen sogar die Schallplatte oder die Box oder was auch immer. Wir geben uns dafür auch Mühe, diese Dinge liebevoll zu gestalten. Sei es ein Cover, eine Box oder was auch immer. Wir überlegen uns immer, woran unsere Fans Freude haben könnten und geben dieses gewisse Extra. Ich hoffe, dass sie das merken.
Was denkt Ihr heute, wenn Ihr Eure allerersten Songs und Alben hört?
Boris: Interessante junge Männer!
Björn: Gewisse Songs wie "Nordisch by Nature" sind sehr früh entstanden. Darauf reagieren die Menschen heute noch, das finde ich cool. Es gibt aber auch Songs aus dieser Schaffenszeit, da würde ich heute denken: Na jaa, das würde ich heute so nicht mehr sagen und es würde vielleicht auch etwas anders klingen. Man verändert sich ja auch. Die Hits von früher machen aber auch heute noch Spass.
Martin: Andere Songs sind wie Tagebucheinträge, die man heute wieder in die Finger kriegt und denkt: WOW, so habe ich damals gedacht? Das fand ich witzig?
Boris: Oder: Diesen Lippenstift habe ich damals getragen?
Martin: Es ist ein Zeitdokument. Ich finde es schön, so etwas zu haben. Für ein Tagebuch hatte ich leider nie Zeit.
Was hält Ihr von der neuen Deutschen HipHop-Generation? Casper, Cro, K.I.Z. …
Martin: Na, alles was mit C oder K beginnt ist cool.
Björn: Ist auf jeden Fall spannend. Alles finden wir nicht gut, aber wir haben immer ein offenes Ohr und sind interessiert daran, wie andere es machen. Wir denken auch nicht in Kategorien, sondern hören uns einfach mal an, wer gerade einen interessanten Sound hat und eine neue Sichtweise auf die Dinge mitbringt oder eine neue Rap-Technik. Es gibt so viele spannende Ansätze, gerade bei HipHop. Wir hören natürlich auch sehr gerne Musik, die nicht ins HipHop-Genre fällt. Bands wie Wanda, Die höchste Eisenbahn oder Bilderbuch. Auf unserem Mixtape im Sommer war ein Song von Skor, dessen Song "I dä Schwiiz" ich ganz toll finde. Ich habe den Text nicht verstanden, aber ich habe ihn gefühlt.
Boris: Die Emotionen zählen. Was da genau draufsteht, oder ob die Coolness-Polizei auftaucht, interessiert mich sehr wenig.
Björn: Es gab eine Zeit in der Rap-Musik auf Deutsch sehr viel langweiliger war, als es heute der Fall ist. Ich bin beeindruckt, wie viele verschiedene Spielarten es gibt.
Kennt Ihr auch andere Schweizer Künstler oder Bands?
Björn: Ein bisschen. Wir sind natürlich keine Experten. Ihr habt den Pluspunkt, dass Ihr Hochdeutsch versteht, wir Euer Schweizerdeutsch aber nicht verstehen können. Das sehe ich als Aufforderung an mich, wenn mir ein Rapper aus der Schweiz gefällt, mich der Sprache besser zu widmen. Es ist jedes Mal spannend, Dinge zu hören, die man bis anhin noch nicht gekannt hat. Es macht Spass, sich da hineinzuhören. Da kommen auch wir Nordlichter irgendwann mal hinein.
Boris: Es gibt ja auch Schweizer Künstlerinnen wie Sophie Hunger, die uns da sehr entgegenkommen und auf Hochdeutsch singen. Die halte ich übrigens für eine grossartige Texterin. Ich kenne noch nicht so viel von ihr, freue mich aber darauf, mich damit zu befassen.
Martin: Max Herre hat sich Sophie Hunger für ein Duett geschnappt. Er war uns voraus.
Ist das jetzt ein Aufruf, dass Ihr etwas mit Sophie Hunger machen möchtet?
Björn: Wir können uns mit ganz vielen Künstlern eine Zusammenarbeit vorstellen. Wir haben schon länger Kontakt zu Kutti MC, aber er hat leider aufgehört zu rappen.
Martin: Wir haben mit James Last Musik gemacht. Das bedeutet, dass wir relativ angstfrei sind, mit Menschen unterschiedlicher, altersmässiger, musiktechnischer und geografischer Herkunft Musik zu machen. Das hat aber nichts mit Wahllosigkeit zu tun. Es gibt viele Sachen, die wir richtig Scheisse finden, aber über die reden wir nicht. Das wäre vergeudete Zeit.
Björn: Wir haben viele Dinge in unserem Leben abgesagt, und es hat sich später immer als richtig herausgestellt. Das kriegt aber natürlich nie jemand mit.
Welcher Eurer neuen Songs wird der absolute Live-Knaller?
Martin: Im Moment habe ich ein gutes Gefühl bei "Mein Haus", ein Song der perfiderweise in jeder Haus-Doku im Fernsehen laufen wird. Das ist ein totaler Dancefloor-Kracher. Der geht ab.
Boris: Ansonsten ist es schwierig zu sagen, da unsere Proben für die neue Tour erst jetzt richtig losgehen. Erst da wird sich zeigen, welche Songs sich wie anfühlen werden. Da ist man oft selbst überrascht. Ich gehe aber stark davon aus, dass sich das komplette Album gut anfühlen wird.
Martin: Ich freue mich riesig darauf, gemeinsam mit den drei Gästen Fatoni, Felix Brummer und Kryptic Joe den Song "Meine Stimme" live zu performen.
Interview durchgeführt: Stella Nera
Redaktion: Stella Nera