Interview mit Fettes Brot"Mehr Liebe auf der Welt würde nicht schaden"
29.04.2019
hitparade.ch: Euer neues Studio-Album erscheint Anfang Mai. Gewöhnt man sich irgendwann an das Gefühl, Alben zu veröffentlichen, so wie man sich morgens die Schuhe anzieht?
Boris: Leider überhaupt nicht. Ein bisschen mehr so würde ich es mir wünschen. Es ist aber tatsächlich immer wieder von Neuem aufregend. Man möchte, dass den Menschen das gefällt und man ist empfindlich und vorsichtig. Es ist immer wieder ein neues Abenteuer, wenn ein neues Album herauskommt.hitparade.ch: Vorab habt Ihr "Du driftest nach rechts" veröffentlicht. Dort ging der Plan nicht ganz auf: Ihr habt damit heftige Reaktionen ausgelöst. Hattet Ihr damit gerechnet oder fühlt Ihr Euch missverstanden?
Boris: Nein, damit hatten wir natürlich gerechnet. Dass Leute aus dem rechtsradikalen Spektrum kein Fan dieses Songs sein werden, war uns klar. Das hat uns aber nur mehr gezeigt, wie notwendig es war, einen solchen Song zu schreiben. Wenn man sich ansah, was da für Kommentare unter dem YouTube-Video landeten, hat man sich teilweise schon erschrocken. Aber das muss man aushalten.hitparade.ch: Dabei handelt Euer Album von der Liebe! Der Song ist ja auch in eine Lovestory verpackt.
Boris: Wir haben diese Message absichtlich in eine Lovestory gepackt, um Klischees und die typischen Parolen zu vermeiden. Das Interessante ist: Niemand muss sich angesprochen fühlen bei dem Song - aber ganz viele wollen sich angesprochen fühlen und sind dann sehr sauer. Und wenn man sich die Kommentare anguckt, dann merkt man, dass das mit dem, was im Song passiert, gar nicht viel zu tun hat. Die wollen anderen erzählen, wie sie zu denken haben - und unser Song ist "nur" ein Auslöser.hitparade.ch: Die Scheibe heisst "Lovestory". Könnte Liebe die Lösung für alles sein?
Boris: Mehr Liebe könnte auf jeden Fall nicht schaden. Die Lösung für alles ist sie wahrscheinlich nicht, aber Liebe ist auf jeden Fall besser als Hass. Ein wärmeres Miteinander und die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können, würde der Welt nicht so schlecht tun.hitparade.ch: Mit "Ich liebe mich" macht Ihr Euch über den Social-Media-Selfie-Narzissmus lustig. Insbesondere im Video. Als Ihr angefangen habt, Musik zu machen, gab es diese Form der Selbstdarstellung noch nicht. Wie erlebt Ihr das aus Musiker-Sicht? Muss man sich heutzutage im Netz prostituieren, um an die Leute heranzukommen?
Boris: Ich muss sagen, bis zu einem gewissen Grad macht es mir Spass, da mitzumachen. Im Band-Zusammenhang jedenfalls. Privat mache ich das nicht. Es ist halt immer die Frage, wie weit man dabei geht. Wie ernst nimmt man das? Und wie viel Raum nimmt es im Leben ein? Wenn man das als kleines Spiel betrachtet und als Schlüsselloch-Blick in das Leben von anderen Leuten, ist es okay. Wenn es zu viel Raum einnimmt und dadurch das Leben bestimmt wird, kann es gefährlich werden. Dass wir uns prostituieren, das Gefühl habe ich nicht. Ich denke aber, für jüngere Künstler ist das Ganze viel wichtiger, weil sie so gestartet sind und dadurch eine viel höhere Follower-Zahl haben. Wenn Du einen Kanal hast, bei dem 17 Millionen Leute zugucken und Du weisst, alles was Du da postet, gucken sich so viele Menschen an, dann kann ich verstehen, dass das viel Raum einnimmt und man sich Gedanken darüber macht. Am Ende des Tages geht es um die Frage: Selbstliebe vs. Narzissmus. Wo ist da die Grenze? Es vermischt sich alles, man kann es nicht gut auseinanderhalten. Man sollte sich wohl lieber ein bisschen selbst in den Arm nehmen und nicht so viel Wert darauf legen, wie man von anderen bewertet wird. Das wäre gesund.hitparade.ch: Amen!
Boris: Ich meine das nicht einmal so moralisch. Es geht mir ja auch so! Ich musste auch erst lernen, dass ich diese ganzen Kommentare im Internet nicht lesen sollte. Ich lese mir meist die ersten fünf oder sechs Kommentare durch, dann höre ich auf. Das tut einem nicht gut. Das Gehirn funktioniert ja auch komisch, denn da kannst du 50 positive Kommentare zu deinem neuen Album lesen - und plötzlich kommt ein negativer Kommentar. Und genau dieser Kommentar ist es, den du dir merkst. Und da habe ich keinen Bock drauf.hitparade.ch: Der Song "Ich liebe mich" erinnert mich ein wenig an Deichkind. War das bewusst so gedacht?
Boris: Ach, echt? Das war mir jetzt nicht bewusst. Wir sind mit der Band befreundet. Daher kann es schon sein, dass da irgendetwas Einfluss genommen hat. War aber nicht so geplant.hitparade.ch: Im Song "Deine Mama" verliebt sich der Protagonist in die Mutter einer jungen Frau. Ihr seid ja nun auch nicht mehr 20. Findet Ihr die Mütter Eurer weiblichen Fans inzwischen interessanter?
Boris: Es wäre jetzt rein rechnerisch möglich. Wir sind in der Lebensphase, in der es mit beiden legal wäre.hitparade.ch: Die schönste Zeit des Lebens also!
Boris (lacht): Absolut! Es ist eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem eigenen Älterwerden. Mir gefällt es, an dieses Thema mit einer solchen Leichtigkeit heranzugehen.hitparade.ch: Und auch der Humor kommt bei Euch nie zu kurz. Im Song "IKEA" singt Ihr: "Ich nenn dich Ikea, weil es mich wahnsinnig macht, dich aufzubauen." Wo kommen solche Ideen her?
Boris: Bei diesem Song kann ich es Dir genau sagen. Die Idee dazu kam mir, als ich im Fitnessstudio auf dem Stepper war (lacht). Die Ideen kommen oftmals wie von selbst - so, dass man das Gefühl hat, man hat es sich nicht selbst ausgedacht, es kam von aussen. Mir tuts immer gut, wenn ich körperlich in Bewegung bin. Und am besten läufts, wenn wir einen spielerischen Ansatz haben. Für dieses Album waren wir in einer alten Dorfschule kurz vor Sylt. Das Haus stand voller Instrumente. Dort waren wir zu sechst - also wir drei und drei aus unserer Band - und haben einfach losgejammt. Jeder hatte Ideen und wir haben uns einfach ausgetobt. In einer solchen Umgebung fällt es mir viel leichter. Da denkt man noch nicht ans Endprodukt, sondern lässt einfach mal alles passieren. Man geniesst einfach die Musik - und genau da ist Platz für vermeintliche Quatsch-Ideen, die sich am Ende als die stärksten Lines herausstellen.hitparade.ch: Wenn wir schon bei kreativen Ideen sind: Die braucht Ihr auch für Eure Radiosendung "Was Wollen Wissen". Warum habt Ihr Euch dazu entschieden, soetwas zu machen?
Boris: Wir wollten etwas machen, worauf wir uns nicht vorbereiten müssen (lacht). Das bot sich an. Jeder bringt zwei bis drei Songs mit, der Rest entsteht spontan. Es gab ja die Sendung "Was wollen Sie wissen?" Mit Dr. Erwin Marcus beim NDR, wo man anrufen und Fragen stellen konnte. Wir wollten das weiterführen - und in die Absurdität abgleiten. Die Idee entstand, nachdem wir eine Image-Kampagne für den Norddeutschen Rundfunk gemacht haben. Für Umsonst sangen wir "Nordisch By Nature" an verschiedenen Locations - vom Bio-Bauernhof bis zum Altersheim - und der Slogan dazu war: "NDR - Das Beste am Norden". Wir hatten daher etwas gut beim Sender und so bekamen wir unsere eigene Radiosendung.hitparade.ch: Nun habt Ihr ein Buch herausgebracht zu Eurer Sendung mit den besten Fragen. Welche war bisher Deine Lieblingsfrage?
Boris: Eine bestimmte nicht. Ich finde es immer schön, wenn die Leute witziger sind als wir. Dann muss man sich anstrengen, um mithalten zu können. Das macht dann natürlich am meisten Spass.hitparade.ch: Welche Frage würdest Du denn gerne beantwortet haben?
Boris: Ich habe keine mehr! Ich bin so im Antwort-Modus, da kann ich jetzt keine Fragen stellen.hitparade.ch: Wenn Du im Antwort-Modus bist, dann stelle ich gerne eine Frage: Wie kommen eigentlich diese Fusseln in den Bauchnabel?
Boris: Wir sind grosse Fans von Bauchnabel-Fusseln! Es ist zu unserem Hobby geworden, diese zu sammeln und einen Pullover draus zu stricken. Dafür sind die Fussel da.hitparade.ch: Und ich dachte immer, da entstehen die Schafe.
Boris: Ach so! Nein nein. Schick uns mal ein paar Fussel zu, dann kriegst Du zu Weihnachten einen Schal oder so.hitparade.ch: In der Show "Late Night Berlin" hast Du gesagt, Eure Livekonzerte werden die Partys des Jahres. Worauf dürfen wir uns freuen?
Boris: Wir werden wieder mit unserer Live-Band unterwegs sein, das wird klasse. Ich denke, was unsere Konzerte legendär macht, ist, dass wir so viel Spass daran haben. Das überträgt sich auf die Leute. Wir proben gewissenhaft. Wir werden neue Songs spielen, aber die ganzen Klassiker werden natürlich auch nicht fehlen.hitparade.ch: Dann hängt es Euch nicht zum Hals heraus, immer wieder "Jein", "Emanuela" oder "Nordisch By Nature" zu spielen?
Boris: Nein, echt nicht. Wenn man auf der Bühne steht und einen solchen Song anstimmt und man sieht die Freude der Leute, wie der Laden ausrastet und welche Energie zurückkommt, dann ist das ein sehr sehr grosser Spass!Interview durchgeführt:
Bettina Wyss-Siegwart
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Redaktion:
Bettina Wyss-Siegwart
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