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Interview mit Johannes Oerding

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Von einem Popstar-Image hat Johannes Oerding auf den ersten Blick nichts, weder Styling noch Allüren. Eigentlich sieht er eher so aus, als wäre er ein Typ aus seinem Publikum, der den Weg auf die Bühne gefunden hat. Sein zweites Album "Boxer" ist vorletzte Woche erschienen. Diese Woche war er in der Schweiz auf Promo-Tour und hat auch bei uns vorbeigeschaut.

hitparade.ch: Mit 17 Jahren wurdest du bei einem Stadtfest-Auftritt von einem Produzenten entdeckt, hast dann aber trotzdem dein Marketing Studium der Karriere vorgezogen. Erst 7 Jahre später hast du einen Plattenvertrag unterzeichnet. Wie unterscheidet sich die damalige Musik von deiner heutigen Musik?
Johannes Oerding: In den sieben Jahren ist viel passiert, ich habe jetzt wesentlich mehr Geschichten zu erzählen. Damals ging es vielleicht noch um die erste Liebe oder Probleme in der Familie. Heute kann ich auf eine viel breitere Basis zurückgreifen, dadurch klingen meine Lieder viel reifer. Dafür probierte ich mit 17 mehr aus, ich wusste noch nicht recht, in welche Richtung es gehen sollte.

hitparade.ch: Dann hast du dich mit 17 einfach noch nicht genug reif gefühlt für eine Musikkarriere?
Johannes Oerding: Das kann man so sagen. Der Grund, warum ich studieren wollte, war aber ein anderer. Ich komme aus einem kleinen Dorf, und dort war die Berufsmusik kein Thema, sondern eher Hollywood und unrealistisch. Es war einfach klar, dass man studieren geht und Musik höchstens hobbymässig macht. Erst während dem Studium merkte ich, wie sich die Leute für meine Musik interessierten und Musiker durchaus ein Beruf ist.

hitparade.ch: Deine Eltern waren anfangs nicht sehr begeistert von deinen Musik-Absichten. Wie gehen sie heute damit um?
Johannes Oerding: Meine Eltern meinten das ja nicht unbedingt böse. Wie viele andere Eltern waren sie halt einfach skeptisch und hatten Angst, dass ich den Drogen verfalle oder in der Gosse lande… Mittlerweile sind sie doch recht stolz, dass eines ihrer Kinder ein wenig aus der Reihe tanzt mit einem nicht so "normalen" Beruf. Ausserdem besuchen sie meine Konzerte möglichst oft, sofern es die Distanz zulässt.

hitparade.ch: Du warst bereits Support Act bei Megastars wie Ich+Ich, Stefanie Heinzmann oder Simply Red. Aber auch deine eigene Solotour war ausverkauft. Was hast du lieber gemacht?
Johannes Oerding: Gefühlsmässig sind die eigenen Konzerte natürlich viel toller. Da weiss ich, die Leute kommen wirklich wegen mir und wollen mich singen hören! Als Support hat man da ein viel schwereres Los, niemand rechnet mit dir. Darum sind der Ansporn und die Herausforderung umso grösser! Zudem konnte ich von den grossen Stars auch lernen und profitieren - eine wichtige Schule für mich. Musiker, die sich ernsthaft entwickeln wollen, sollten unbedingt als Support wichtige Erfahrungen sammeln.

hitparade.ch: Total hast du schon mehr als 200 Live Konzerte gespielt. Welches war bis jetzt dein Highlight?
Johannes Oerding: Ja, da gibt es eines von der Ich+Ich Tour. Dort spielten wir ein Konzert vor 30'000 Leuten im Timmendorfer Strand. Das spezielle war, dass Ich+Ich mich baten, ausnahmsweise nach ihnen zu spielen, weil sie früher weg mussten. Somit wurde ich quasi zum Hauptact. Die Leute wollten nach Ich+Ich gerade gehen, als ich die Bühne stürmte und sie zurückhielt. Ich spielte ein 2 ½ Stunden, das Publikum blieb bis zum Schluss und hat sogar mitgesungen.

hitparade.ch: Das war bestimmt eine wunderbare Bestätigung für dich!
Johannes Oerding: Allerdings! Aber dann gab es auch so was wie ein "Gegen-Highlight", was sich aber als gute Schule herausstellte. In Berlin spielte ich einmal vor drei Leuten. Aber eine dieser drei Personen war danach sehr wichtig für unsere Zukunft!

hitparade.ch: Letzten Freitag erschien dein zweites Soloalbum "Boxer", das wieder von Mark Smith und Sven Bünger produziert wurde. Wie hat sich deine Musik weiterentwickelt?
Johannes Oerding: Mit meinem ersten Album ging es mir vor allem darum, meinen eigenen Sound vorzustellen. Auf den Inhalt achtete ich mich etwas weniger. Mir war wichtig, wie ich klang. Bei "Boxer" musste ich meinen Sound nicht mehr neu definieren, die Akustikgitarre und meine Stimme waren klar. Der Inhalt stand für mich im Vordergrund!

hitparade.ch: Vor einiger Zeit wurde die Beziehung mit Ina Müller öffentlich, die unter anderem auch Erfolg in der Musikszene hat. Hat sie deine Musik beeinflusst?
Johannes Oerding: Ich war sehr überrascht darüber, dass mein Privatleben in der Öffentlichkeit ein Thema wurde. Werder Ina noch ich gaben je ein Statement dazu ab, das brauche ich auch nicht, da ich schon sehr viel Privates in meinen Liedern verarbeite.

hitparade.ch: Eure Alben sind beinahe zeitgleich erschienen. Habt ihr da gemeinsam oder zumindest gleichzeitig an Texten geschrieben oder arbeitete jeder für sich?
Johannes Oerding: Ich schreibe beinahe immer an neuen Liedern, selbst wenn ich unterwegs bin. Es kann dann jedoch gut sein, dass diese Songs auch erst aufs vierte Album kommen. Auf der jetzigen CD gibt es zum Beispiel einen Track, der schon vier Jahre alt ist. Ina hat da eine andere Vorgehensweise.

hitparade.ch: Das Album ist sehr abwechslungsreich, die Songs sind eher ruhig und die Texte bringen den Hörer zum Denken. Wie viel aus deinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen steckt in deinen Texten?
Johannes Oerding: Jeder dieser Songs hat mindestens seinen Ursprung in mir. Ich muss mit jedem Satz etwas verbinden können. Meistens sind es Geschichten, die ich selbst erlebt habe. Das erleichtert die Entstehung, weil ich die Erlebnisse einfach niederschreiben kann. Manchmal erzählen mir aber auch Freunde Dinge, die ich dann zu Liedern verarbeite, besonders wenn es Parallelen zu meinen Gedanken gibt. Das wichtigste ist, die Augen und Ohren offen zu halten!

hitparade.ch: "Reparier'n" heisst die Single zum Album. Wieso hast du diesen Song ausgewählt und wie ist er entstanden?
Johannes Oerding: Der Song entstand an einem typischen Durchhänger-Tag. Das kennt doch jeder! Ich bin einfach liegengeblieben, wie ein Auto, das kaputt ging. Ich ärgerte mich darüber, wie wir immer alle wie Maschinen funktionieren müssen. Gerade im kreativen Bereich kann ich nur arbeiten, wenn ich zwischendurch auch Pausen einlege!

hitparade.ch: Ein weiterer Song fällt speziell auf: "Morgen." Mit dem Problem, den inneren Schweinehund zu überwinden, kann sich fast jeder identifizieren. Bist du einer, der alles liegen lässt?
Johannes Oerding: Man kann durchaus sagen, dass der Song meiner Inkonsequenz gewidmet ist. Ich nehme mir viele Dinge vor und schieb sie dann vor mich her… Ausserdem hatte ich noch ein Gespräch mit einem Freund, in dem ich von ihm wissen wollte: "Wie nennt man eigentlich den Tag, an den man zu rauchen aufhört?". Er antwortete mit "Morgen!", was ich passend fand.

hitparade.ch: Es gibt aber auch rockige Songs wie zum Beispiel "Erste Klasse". Welche Art von Songs performst du am liebsten live?
Johannes Oerding: Live soll es eine richtige Show geben. Da darf es ruhig auch mal knallen und laut werden! Es ist wie eine Achterbahn, zwischendurch spiele ich auch nur mit der Gitarre, einige ruhigere Songs und dann geht's wieder richtig los… Ich glaube, das gefällt den Leuten, sie wollen ein wenig von allem und sie müssen nicht die ganze Zeit nur still sein.

hitparade.ch: Du hast vorhin dein Konzert-Highlight mit Ich+Ich erwähnt. Damals konntest du erst auf ein Album zurückgreifen. Wie hast du das Repertoire ergänzt?
Johannes Oerding: Ich schrieb viel viel mehr Songs als nur diese Dreizehn, die auf der CD sind. Wenn es nach mir ginge, wären 70 Titel auf der Platte! Live bringe ich also auch Lieder, die die Leute gar nicht kennen. Da wird zum Beispiel auch gejammt…

hitparade.ch: Auch Covers?
Johannes Oerding: Nein, nur eigene Songs!

hitparade.ch: Die Radiosender in Deutschland wollten deine Lieder lange nicht spielen. Wieso das?
Johannes Oerding: Das ist eine gute Frage, welche ich mir selbst auch oft stellte. Sich mit deutscher Musik in Deutschland durchzusetzen ist nicht einfach. Darum freut es mich umso mehr, dass es jetzt klappt!

hitparade.ch: Der Blick in die Schweizer Airplay-Listen zeigt, dass du hier bisher weitgehend ignoriert wirst. Wie wichtig ist dir der Erfolg in der Schweiz und in Österreich?
Johannes Oerding: Ich setzte mir noch nie Ziele, was den Erfolg angeht. Weder in Deutschland noch in anderen Ländern. Mir ist es wichtig, dass ich das was ich mache, gut mache. Wenn dann jemand kommt und mir erzählt, dass meine Musik in den Schweizer-Radios auf und ab gespielt wird, finde ich das natürlich super!

hitparade.ch: Deine Tour geht bald los - was sind deine weiteren Pläne in diesem Jahr?
Johannes Oerding: Ich plane meine eigene Parfum-Linie auf den Markt zu bringen. (lacht) Und natürlich ein Klamotten-Label gründen… Nein ernsthaft, meine weiteren Pläne: Live spielen! Die Tour ist im März und April, während im Sommer die Festivals anstehen. Und im Herbst bereits die nächste Tour, weil ich das einfach so gerne mache. Unter anderem dann auch Termine in der Schweiz. Währenddessen schreibe ich natürlich weiter Songs!

hitparade.ch: Kommen wir zur Top 10 der Schweizer Hitparade. Kannst du sie kommentieren?

10. Katy Perry - Firework
Ich bin kein grosser Katy Perry Fan. Aber die Nummer ist schon ein schöner Club-Hit!

9. Bruno Mars - Just The Way You Are
Einer meiner Lieblingssongs zurzeit. Habe ich kürzlich in einer Radiosendung auf meine Art rein akustisch gecovert. Ein ganz starker Sänger, der Bruno Mars!

8. Taio Cruz feat. Kylie Minogue - Higher
Zu sehr Eurodance-Plastik. Gefällt mir nicht so.

7. Milk & Szugar vs. Vaya Con Dios - Hey (Nah Nah Nah)
Das Original finde ich natürlich besser.

6. The Black Eyed Peas - The Time (Dirty Bit)
Hier kann ich schon den Original-Track nicht mehr hören, der lief früher immer in den Discos.

5. Israel IZ Kamakawiwo'ole - Over The Rainbow
Geile Nummer!

4. Duck Sauce - Barbra Streisand
Guter Club-Hit zum Tanzen.

3. Bruno Mars - Grenade
Just The Way You Are gefällt mir besser.

2. Adele - Rolling In The Deep
Irgendwie besonders, find ich ganz geil! Das ist eine gute Musikerin.

1. DiddyDirtyMoney feat. Skylar Grey - Coming Home
Das ist die Eins? Find ich okay, kann man hören.
Interview durchgeführt: Steffen Hung
Redaktion: Yvonne Zgraggen, Steffen Hung