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Interview mit Krokus / Chris von Rohr



Krokus - Dirty Dynamite
1. Hallelujah Rock N' Roll
2. Go Baby Go
3. Rattlesnake Rumble
4. Dirty Dynamite
5. Let The Good Times Roll
6. Help
7. Better Than Sex
8. Dög Song
9. Yellow Mary
10. Bailout Blues
11. Live Ma Life
12. Hardrocking Man
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…They did it again - im Falle von KROKUS ist es jedoch kein "oops", sondern ein deutliches WOW!
2 Jahre nach Veröffentlichung des platinveredelten Comeback-Albums "Hoodoo" meldet sich die Solothurner Rock-Legende lautstark mit dem neuen Album "Dirty Dynamite" zurück.
Seit 1976 veröffentlicht die erfolgreichste Schweizer Rockband aller Zeiten mit wechselnden Line-Ups regelmässig Platten - hitparade.ch hat hingehört und fragt nach bei Chris von Rohr, dem Band-Gründer, Bassisten und Produzenten.


hitparade.ch: Hi Chris. Schön, dass ihr zurück seid. Und wie! Aber zuerst: Wie geht es dir und in welcher Tätigkeit sitzt du mir gegenüber? Musiker, Philosoph, Produzent, Autor, Vater - oder als Mensch Chris von Rohr?
Chris: "Wann ist denn Mensch ein Mensch?!" Was für eine Frage! Würde sagen, als übernächtigter Interview-Dude mit leichtem Kater. Die letzte Nacht war lang - der Gesprächsmarathon mit der halben Welt zur Veröffentlichung des Albums zeigt erste Verschleissspuren. Ich werde aber mein Bestes geben, ihr habt das auch verdient. Aber ehrlich gesagt, würde ich heute lieber mit den Boys jammen - wir haben in letzter Zeit äusserst amüsante Proben, wo wir die neuen Songs livetauglich machen. Das macht mehr Spass als non stop reden.

hitparade.ch: "Dirty Dynamite" wurde letzte Woche nach getaner Arbeit auf die Menschheit losgelassen. Kannst du die Songs überhaupt noch hören?
Chris: Ich bin nicht der Typ, der ständig seine eigene Musik hört. Erst recht nicht, wenn du dir einen Song als Produzent gegen 2000x vom ersten Komponieren bis zum letzten Mastering reinziehen musst. Momentan ist also eine Phase der Abstinenz. Doch hie und da verfolgt mich ein Melodiefetzen oder ein Riff der neuen Songbabies. Ich werte das als ein gutes Zeichen und wir freuen uns alle, sie bald live rauszuhauen.

hitparade.ch: Du hast das Album - wie auch schon "Hoodoo" - produziert: Auf mich wirkt es erdiger, dreckiger, purer als der Vorgänger.
Chris: Genau das war das Ziel: Mehr Charakter in den Gitarren. Klarer, transparenter Sound - nicht irgendeine beliebige, überzüchtete 08/15-Verzerrung, die man fast auf jeder neuen Metal-CD hört. Wir achteten auch extrem darauf, dass sich nicht zu viele B-Songs auf dem Album ansiedeln und haben die Tunes lange hinterfragt und in verschiedenen Versionen aufgenommen. Neu ist auch, dass Rhythmus-Gitarrist Mark Kohler ein paar fette Riffs beisteuerte, Mandy Meyer das Sliderohr zückte und meine Wenigkeit das Lady-Madonna-Piano für "Dirty Dynamite" anheim suchte. Und natürlich wurde vermehrt am Drum-Groove gearbeitet. Insgesamt sehen wir es als klaren Schritt vorwärts. Song- wie soundtechnisch.

hitparade.ch: Aufgenommen habt ihr in London, Abbey Road Studios. Natürlich durch die Beatles zur Legende geworden. Schwingt da etwas Mystisches mit?
Chris: Klar hätten wir günstig in der Schweiz aufnehmen können, inklusive Kuhglockengebimmel. Logistisch wäre das die einfachste und billigste Sache gewesen. Es gibt Musiker, die ihr Geld für Golfstunden oder Scheidungen ausgeben, wir investierten in diese Produktion. Abgesehen davon hat Musik mit Emotionen zu tun. Und wie sollte es uns alte Rockdögs nicht inspirieren, wenn in einer Ecke der Verstärker von Keith Richards herumsteht, in der anderen Mikros von John Lennon und Ringo… und dazwischen die Wasserpfeife von Yoko Ono. Wir befanden uns in einer Umgebung, wo unsere Helden wie die Beatles, die Stones, The Who oder Hendrix kreativ waren. Die Räumlichkeiten dort sind nicht zu Tode renoviert, sondern strahlen eine angenehme Ursprünglichkeit aus. In solch einem Studio kann man nur 120 Prozent geben. Und drei Meilen weg starteten Krokus ihre internationale Karriere im "Hammersmith Odeon".
Auch für mich als Produzent war dies das Highlight meiner Karriere. Ein einmaliger Sommer war's. Sänger Marc und ich schaukelten uns buchstäblich in einen Rausch.

hitparade.ch: Abbey Road bleibt Thema; "Help" von den Beatles wird auf "Dirty Dynamite" gecovert - fast schon ein Markenzeichen von Krokus, ein Cover auf der Scheibe zu haben.
Chris: Es war uns echt ein Anliegen, diesen Song zu machen. Nicht nur wegen der Abbey-Studios; der Text ist schlicht umwerfend und die Melodie auch. Eben Beatles! Dazu konnte sich Marc mit Gastsänger Tommi Heart, ein Star in Japan, voll entfalten. Unser Challenge war, diese Nummer zu einem wahren Krokus-Song zu machen. Darum geht es, wenn du ein Lied coverst: Es muss diesen Eigen-Touch haben. Ich habe schon x junge Leute getroffen, die kannten diesen Song gar nicht und meinten: Hammer-Ballade von euch! Es war ein langer Weg, es so hinzukriegen, aber heute sind wir alle stolz, dass wir da etwas gewagt haben.

hitparade.ch: Allgemein zieht sich durch das Album ein roter Faden. Die Songs fügen sich passend zusammen, ohne dass es langweilig wird, im Gegenteil; es klingt sehr hungrig - rockig, bluesig. Ist es schwierig, in eurem doch eher eng abgesteckten Musikstil Songs zu schreiben, die sich nicht zu sehr ähneln? Nach so vielen Jahren Aktivität liegt ein sich Wiederholen doch schon fast auf der Hand.
Chris: Du kannst das Rad nicht neu erfinden und darum geht es auch nicht. Rock ist mittlerweile etabliert, wie zum Beispiel Blues. Die grosse, neue Revolution fand in den 60s statt. Heute geht es um das WIE, um die Interpretation. Am Schluss muss man einfach feststellen: "Das ist Krokus". Und wir denken, wer dieses Album hört, wird nicht sagen, dies ist AC/DC, Status Quo oder was weiss ich. Man wird klar sagen: "DAS tönt nach Krokus und das ist das Brett, das wir erwarten von dieser Band." Auch wenn es wie immer zwischendurch Parts hat, die auch von AC/DC oder ZZ Top sein könnten - und die haben sie von Chuck Berry oder Boogie Joe Schnäbi.

hitparade.ch: Wann habt ihr mit den Vorbereitungen für das Album begonnen, wie lange dauerte diesmal der Prozess? Das Ganze wirkt auf mich sehr frisch und unverbraucht.
Chris: Wir brauchten doppelt so lange wie bei "Hoodoo". Schlicht weil wir die Songs genauer unter die Lupe nahmen, den Wein länger gären liessen. Wir wollten diesmal deutlich mehr Songs machen, die auf der Bühne nahtlos an die grossen Hinkelsteine von Krokus aus den Big-4-Alben anschliessen können. Das braucht Zeit und Nerven. Heute sind wir froh, dass wir es so gemacht haben. Schon jetzt zanken wir uns darum, welche Songs wir wohl aus dem Live-Set werfen müssen wegen der neuen Knaller-Tunes.

hitparade.ch: Ihr agiert mittlerweile mit 3 Gitarristen - Mandy Meyer ist, nachdem er temporär 1981 Tommy Kiefer ersetzte, wieder zu euch gestossen.
Chris: Stillstand bedeutet auch in diesem Beruf Rückschritt. Wir wollten analog zum grossen Buffalo Bill wieder einmal einen neuen Indianer auf Tour präsentieren. Wir haben mit Mandy bereits letztes Jahr in Japan gespielt, mit grosser Freude. Danach kam Fernando mit der 3-Gitarren-Idee. Es ist schlicht genial! Nicht wie ich anfangs befürchtete: Too much noise, sondern es gibt eine ganz neue Farbe ins Ganze. Wir können jetzt noch besser variieren und mit mehr Dynamik spielen. Es macht Spass, drei Gitarren miteinander zu verweben. Wenn wir früher zweistimmige Sachen spielen wollten, fehlte die Rhythmus-Gitarre. Mit Meyer, der 1981 und von 2004 bis 2008 schon bei Krokus spielte, kann die Band ihre Klangfarben erweitern: Während Fern die urtypische, traditionelle, urchige Rock-Gitarre à la Chuck Berry oder Angus Young vertritt, ist Mandy eher der lyrische, melancholische Filigran-Techniker für die moll-lastigeren Songs. Das letzte Einhorn, wie wir ihn nennen, übernimmt damit jene Rolle, die in der erfolgreichen Anfangszeit der 1986 verstorbene Tommy Kiefer hatte.

hitparade.ch: Im Line-Up gegenüber "Hoodoo" gab es noch einen Wechsel - Freddy Steady ist nicht mehr in der Band. Auf dem Album wirkt Kosta Zafiriou (Unisonic, Pink Cream 69) mit.
Chris: Freddy spielte bereits auf dem "Hoodoo"-Album nicht mehr mit. Unsere immer höher gesteckten Ambitionen liessen sich einfach nicht mehr mit seinem 100%-Job, den er sonst noch hat, vereinbaren. Er wollte es lieber klein halten. Doch kein Instrument hat sich in den letzten 30 Jahren Rock so verändert wie das Schlagzeug. Das ist heute fast wie Spitzensport! Nebst den jungen, wilden Bands haben auch Oldies wie Motörhead, Whitesnake oder Ozzy Osbourne Atomkraftwerke auf den Drumstühlen sitzen. Fernando sagte es treffend: Wir suchten schon lange einen Drummer, der nicht nur begleitet, sondern uns alten Säcken voll in den Arsch tritt. Das kann nur ein Vollprofi bringen. In Karlsruhe jammten wir mit dem Helloween-Drummer und Mark Kohler meinte: Warum gönnen wir uns nicht einmal die A-Klasse? Ab sofort unterstützt uns Dani Löble von Helloween. Ein Weltklasse-Trommler und dazu ein Verrückter. Er trainiert jeden Morgen, wenn er nicht gerade auf Tour ist, drei Stunden im Fitness-Studio und nachmittags malträtiert er für weitere vier Stunden die Felle. Daneben arbeiten wir Flavio Mezzodi, ein Topdrummer aus Solothurn, ein. Unsere Besetzung soll so original wie möglich bleiben, aber nicht um jeden Preis. Wir wollen nicht als Old-Fart-Gerialtruppe zwischen Golfplatz und Massagesalon durch Europa tingeln. Die Fans sollen die besten Krokus aller Zeiten geboten bekommen. Unser Ziel ist es, den Jungspunden den Allerwertesten zu versohlen. Nicht mehr und nicht weniger.

hitparade.ch: Konzerte sind bereits angekündigt und ausverkauft in Solothurn und Zürich. Kommen noch mehr Termine dazu und gibt es eine internationale Tour?
Chris: Wir werden in der Schweiz drei grosse Festivals spielen und in Europa die grössten wie Hellfest Frankreich, Swedenrock, Loreley Deutschland, etc.! Auch Asien, Griechenland und Russland sind geplant. Angebote aus den vereinigten Staaten liegen auch vor - mal sehen, was Sinn macht.

hitparade.ch: Wie wichtig sind für dich anno 2013 Live-Konzerte noch? Ist das immer noch die Erfüllung der harten Arbeit oder präferierst du - gerade als Produzent - die Studioarbeit und das Album?
Chris: Studio ist knallharte Knochen- und auch Kopfarbeit. Da musst du immer alle Sinne beieinander haben, sonst verschwendest du Zeit und Geld. Es ist ein Scheiss-Puzzle, so gross wie der verdammte Petersplatz in Rom, und wenn du dann endlich das letzte Teil gefunden hast, bist du halb hinüber. I hate it und trotzdem mach ich's immer wieder. Aber Fakt ist:
Nichts geht über live!! Deswegen tun wir das alles.
In der Zeit der digitalen Demenz und der zunehmend unverbindlichen, antiseptischen Homogenisierung ist es eines der letzten grossen Abenteuer, mit einer Band handgemachten, puren, rotzigen Rock auf die Bühnen dieser Welt zu hämmern. Dieses Feeling kann dir nichts in der Welt bieten und bei dem Best of-Set, das wir heute zusammenstellen können, ist es schlicht eine Offenbarung für uns alle.

hitparade.ch: Wird "Dirty Dynamite" weltweit veröffentlicht? Gibt es einen US-Release?
Chris: Krokus ist klar international. Mehr als die Hälfte unserer Sales finden im Ausland statt. Wir verkaufen jedes Jahr zwischen 30'000 und 40'000 Einheiten unseres Back-Katalogs weltweit. Meines Wissens einzigartig für eine Rockband in diesem Land. Der ehrliche, handgemachte Hardrock ist nach wie vor gefragt und viele Junge, die die Schnauze voll haben von durch Computer gemachtem Pop-Synthie-Gesäusel, entdecken dieses Genre erst gerade für sich. Letzthin mailte mich ein Mann aus Kasachstan an. Er bekam zu Weihnachten das Krokus-Album "Metal Rendez-Vous" geschenkt und flippte völlig aus. Was will man mehr? Es freut uns, dass die ganze, jahrzehntelange Arschaufreisserei etwas Nachhaltiges hinterlassen hat in der Welt des Rock.

hitparade.ch: Welche Songs liegen dir persönlich diesmal am meisten am Herzen, die du als Kern-Tracks stellvertretend für das ganze Album siehst?
Chris: Es sind die fünf Songs, die wir auch live spielen werden: "Dirty Dynamite", "Rattlesnake Rumble", "Go Baby Go", "Hallelujah Rock N' Roll" und "Dög Song". Aber auch "Help" berührt mich noch heute. Es ist nicht nur ein genialer Song, da ist ein Feeling drin wie einst bei "Tokyo Nights". Marc, Mandy, Koki, Fernando und ich waren da auf einem anderen Stern - ein wunderbarer Moment.

hitparade.ch: Nach fast 40 Jahren Krokus-Veröffentlichungen; wo würdest du "Dirty Dynamite" im Krokus-Repetoire ansiedeln?
Chris: Nahtlos an die grossen 4: "Metal Rendez-Vous", "Hardware", "One Vice At A Time" und "Headhunter". Feeling, Songs und Sound stimmen einfach. Eigentlich das Album, das nach "Headhunter" hätte kommen sollen. Es war für uns eine grosse Genugtuung, nebst den paar üblichen CH-Frust- und Neid-Comments viele positive, internationale Reviews zu lesen. Eine sehr wohlwollende Kritik in der Musikbibel schlechthin, dem Rolling Stone - es steht da wörtlich: "Souverän und spassbetont! Da sind sie wieder, die perkussiven, abgestoppten, punktgenauen Riffs und Sänger Storace tönt tatsächlich nach der gleichen Gosse, in der auch schon Bon Scott gelegen hat." Wunderbar!

hitparade.ch: Chris von Rohr als Mensch hat sich ja seit den Anfängen der Band auch verändert - wie würde der damals 25-jährige Chris von Rohr dem heutigen Ich gegenüberstehen, was Einstellungen, Attitüde, Ansichten und vor allem Musikideen angeht?
Chris: Fassungslos und staunend! Vom Leben gepeitscht und gesegnet.
Ich glaube, der junge dö Röhr hatte zwar grosse Pläne und Visionen - aber was schlussendlich alles möglich wurde, davon träumte selbst ich als 25-Jähriger nicht.
Auf die Band bezogen: Mit all dem Frieden, den Erfahrungen, den Fähigkeiten und den neuen Erkenntnissen können wir alle erhobenen Hauptes in die letzte Runde reiten. Heute weiss hier jeder, was er kann und was nicht. Da ist Respekt, Demut und Freude. Jeder wird auf seinem Posten für das geschätzt, was er in diese Band bringt. Und für mich persönlich kam die Erkenntnis, dass es besser ist, wenn man den Pfeil der Wahrheit abschiesst, ihn vorher in Honig zu tunken.

hitparade.ch: Wunderbar. In diesem Sinne: Hallelujah Rock N' Roll!
Interview durchgeführt: Michael Honegger
Redaktion: Michael Honegger