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Interview mit Marygold

Luzern hat eine lebendige Bandszene mit vielen talentierten Musikern, die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt sind. Viele Namen zirkulieren, Dada Ante Portas ist wohl der bekannteste, aber der heisseste Geheimtipp hört auf den Namen "Marygold". In der Schweizer Independent-Rock Szene hat man innigst auf deren neues Album gewartet, und man wird wahrlich nicht enttäuscht. Wir haben uns mit Philipe Burrell und der Patrik Zosso darüber unterhalten.

hitparade.ch: Diese Tage erscheint euer drittes Album, getauft auf "My Bow, My Arrow, My Target", das Coverbild zeigt eine Zeichnung, welches den Titel noch unterstreicht. Weshalb dieser Titel?
Marygold: Wir wollten im Gegenzug zu unserem letzten Albumtitel "Dare, Dare,... Surrender", welches eher auf Resignation hindeutet, eher etwas nach vorne blickendes. Die Titel widerspiegeln meist eine gewisse Grundstimmung unserer Band. Dieses Mal sind wir alle viel zielstrebiger an die Sache herangegangen und haben uns auch entschieden, das Ganze viel professioneller aufzuziehen. So ganz unter dem Motto: Wir haben ein Ziel und die Werkzeuge dazu, dieses Ziel zu erreichen. Unser Selbstvertrauen und unser Wille ist etwas gewachsen. Des Weiteren soll dieser Titel eine gewisse Direktheit und Erdigkeit symbolisieren, welche wir in unserer Musik zu erreichen versuchten.

hitparade.ch: Zweieinhalb Jahre sind seit dem Release "Dare, Dare,… Surrender" vergangen, wie lange habt ihr effektiv am neuen Werk gearbeitet? Ihr seid ja auch noch ständig etwas am Konzerte geben gewesen.
Marygold: Songs schreiben nicht eingerechnet, haben wir etwa ein Jahr an diesem Album aufgenommen und gebastelt. Wenn uns etwas nicht so ganz gepasst hat, haben wir es halt neu aufgenommen. Aber die meiste Zeit ging wohl fürs Raustüfteln von coolen Sounds drauf. Das ist auch das, was uns am meisten Spass macht. Glücklicherweise haben wir uns mittlerweile ein kleines "Studiowissen" angeeignet, so konnten wir viele Sachen selber machen, ansonsten hätten wir uns den Luxus einer solchen Produktionszeit wohl nicht leisten können....

hitparade.ch: Musikalisch bewegt ihr euch irgendwo zwischen Radiohead, Muse und anderen sehr stileigenen Bands der letzten Jahre. Ihr bezeichnet euch auch als Fans von eben diesen. Ihr lässt das musikalisch sehr gut erkennen, schafft aber eine Eigenständigkeit. Wovon lässt ihr euch sonst noch inspirieren ausser den genannten Bands?
Marygold: Jetzt weiss ich nicht, ob du noch mehr Bands aufgelistet haben willst oder ob du hören willst, dass die Kioskfrau, welche mir immer Zigis verkauft mich/uns beeinflusst (lacht). Nein, Spass bei Seite. Jeder Mensch wird von irgendwas beeinflusst, positiv und negativ. Wir werden im Allgemeinen von Kunstformen inspiriert, welche durch viel Leidenschaft, Ideenreichtum, Verspieltheit und Experimentierfreude entstehen. Sei das nun in der Musik, beim Tanz, Schauspielerei, Filmerei, was auch immer.

hitparade.ch: Worum geht es in euren Texten? Was beschäftigt euch, um darüber zu singen?
Marygold: Für die Texte bin ich alleine verantwortlich, und es wird mir von Seiten der Band nicht reingeredet. Ach... Meine eigenen Texte erklären… Ach... Tue ich gar nicht gern. Ich bin der Meinung, dass jeder, der sich für Texte interessiert, selbst ein Bild machen soll, und zwar nicht ein Bild von mir, sondern den jeweiligen Songtext so interpretieren soll, dass der Song für den jeweiligen Hörer einen eigenen Sinn macht.

hitparade.ch: Wenn man sich etwas durch die verschiedenen Musikmagazine liest, etwas auf einschlägigen Schweizer Musikwebsites rumsurft, wird Marygold eigentlich durchwegs gelobt und die Vorfreude, aber auch die Erwartung ans neue Album ist sehr hoch. Wie seid ihr damit umgegangen? Hat es einen gewissen Druck gegeben?
Marygold: Hierbei sind wir etwas extrem. Wir haben wirklich während den ganzen Aufnahmen nie einen Gedanken daran verschwendet, ob das neue Zeugs jemandem gefallen könnte oder nicht. Wir sind keine Pop-Band, welche sich an Norme halten muss. Wir haben den Luxus, frei zu basteln, was uns gefällt. Erst jetzt, wo wir keinen Einfluss mehr auf das Album haben, sind wir gespannt, ob es Leute gibt, welche das Album mögen werden. Mal schauen… (grinst). So ein Album ist eh "nur" eine Momentaufnahme einer Entwicklung/eines Prozesses, in welchem sich Marygold befindet.
Sobald das Album veröffentlicht wird, steht es ungeschützt da und wir sind natürlich als Band daran interessiert, wie die Reaktionen darauf ausfallen. Einerseits um zu sehen, wie die Leute auf unsere Musik/unsere Emotionen reagieren, andererseits auch um daraus zu lernen und uns weiterzuentwickeln... Natürlich muss man da als Band auch einen gewissen Selbstschutz aufbauen, nicht, dass du gleich bei jeder schlechten Kritik an den Weltuntergang glaubst.... Schliesslich ist man ja schon sehr stark emotional verbunden mit einer neuen Platte...

hitparade.ch: Euer Album ist sehr rau und lärmig produziert, man hat manchmal fast das Gefühl, direkt mit euch im Bandraum zu stehen. Will man dieses Gefühl explizit vermitteln und was waren die Ansprüche von euch für die Aufnahmen?
Marygold: Die Aufnahmen sollen rau und grobkörnig sein. Geschliffen, ganz ohne Kanten? Nein, das ist einfach nicht echt genug für uns. In der heutigen Zeit gibt es so viele Möglichkeiten bei Aufnahmen zu bescheissen, um ein "perfektes" Album zu kreieren. Unserer Meinung nach geht so die ganze Seele des Songs und des Sounds verloren. Lieber ein paar Fehler auf dem Album haben - das macht es menschlicher. Es muss einfach echt sein. Lieber eine echte Kirchenorgel aufnehmen als einen programmierten Orgelsound zu nehmen - weil es einfach mehr Spaß macht und für unsere Ohren besser klingt. Es gibt genug Platten, bei denen jede Stimme mit Auto-Tune perfekt angepasst wurde oder die Drums perfekt auf den Clicktrack zusammengeschnitten wurden. Aber hör dir die wirklich grosse Musik der letzten Jahre, oder gar Jahrzehnte, an, das sind nicht die Sachen, die im Moment gehyped werden und die perfekt produziert sind, sondern Sachen, welche leben und sich bewegen, mit Liebe zu den Sounds, den Songs und der musikalischen Aussage! Wir versuchen uns einfach ein kleines Stück in diese Richtung zu bewegen....

hitparade.ch: Was uns passive, hörende Liebhaberschaft zunehmend irritiert, ist, dass man bei den Bands immer mehr auf grössere und ganz grosse Namen setzt, wenn es um die Albumproduktion geht und dies dann in der Biographie auch sehr prominent platziert. Man könnte fast meinen, Schweizer Bands schaffen es nicht von alleine, gute Alben und Songs zu machen. Woher kommt dieser Trend und wie erklärt ihr eure Produktions-Zusammenarbeiten?
Marygold: Für uns Musiker ist es eine große Ehre mit gestandenen Musikern, Produzenten und Mischern zusammenzuarbeiten, da wir dabei natürlich immer unglaublich viel dazulernen können, alleine durchs Zusehen, wenn solche Leute ihre Arbeit verrichten. Daher von unserer Seite her als Wertschätzung der jeweiligen Personen, die Huldigung in der CD-Hülle und Bio. Wir sehen diese Leute als Mentoren an und wollen ihre über die Jahre gesammelte Musikweisheit in uns aufsaugen (lacht). Man muss sich die passenden Leute zusammensuchen, und dabei geht es mehr um die Musik und ein gemeinsames Verständnis derselben und weniger um nationale Eigenheiten. Hier ist die Musik wohl schon einen Schritt weiter als die Politik (lacht)

hitparade.ch: Was war für euch die Erkenntnis und die Erfahrung, mit den von euch als "leuchtende Namen" betitelten Produzenten zusammen zu arbeiten? Sind weitere gemeinsame Projekte geplant?
Marygold: Wir haben bewusst für die jeweiligen Instrumente Meister ihres Faches gesucht und fanden die auch. Es ist unglaublich, was für ein Ideenreichtum zusammenkommt, wenn man mit aussenstehenden Leuten zusammenarbeitet, welche das Ganze objektiv betrachten können. Das Objektive geht halt meist verloren, wenn man nur Bandintern an Songs und Sounds bastelt. Ich glaube diese Objektivität von den Produzenten zu spüren war die grösste Erkenntnis und Erfahrung. Ob wir wieder mal mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten, wissen wir noch nicht, denn es gibt noch so viele andere Leute von denen wir gerne lernen wollen.

hitparade.ch: Was darf der Konzertbesucher erwarten, wenn er im Saal steht und es heisst, "Marygold" treten hier und jetzt auf? Was kriegt er zu hören und zu sehen?
Marygold: Gut gespielte, ehrliche, kompromisslose Musik. Sicher keine seichte Unterhaltung. Er muss aber auch bereit sein, sich auf die Musik von Marygold einzulassen und sich damit auseinanderzusetzen.

hitparade.ch: Euer Konzertkalender ist schon reichlich gefüllt, rund ein dutzend Termine sind eingetragen bis Juni. Kommt da noch mehr hinzu und was ist sonst noch erwähnenswertes geplant?
Marygold: Wir wollen jetzt nach so langer Aufnahmezeit so viel wie möglich live spielen. Je mehr, umso besser. Nebenbei planen wir auch den Schritt ins Ausland. Aber wir hoffen natürlich, dass sich der Kalender noch weiter verdichtet...

hitparade.ch: Letzten Januar habt ihr euch in einer Band Light-Version auf Ricardo versteigern lassen, für ein Konzert, bei irgendjemandem zuhause. Wie und wo hat diese Aktion geendet am Ande der Auktion?
Marygold: Wir haben vier Daten eigentlich mehr als Witz auf Ricardo versteigert und alle vier Daten wurden ersteigert. Wir spielten dreimal in einem Wohnzimmer und einmal in der Küche eines Take-Away's. War ein echt lustiges Wochenende, aber auch sehr anstrengend.... Das ganze Material vom Auto ins Wohnzimmer im vierten Stock, ohne Lift, wieder ins Auto und wieder von vorne! War eine sehr spezielle Konzerterfahrung, auch weil man wirklich nahe am Publikum, oder zwischen dem Publikum, ist...

hitparade.ch: Werdet ihr wieder einmal eine solche Aktion starten?
Marygold: Durchaus denkbar. Wenn wir wieder mal Lust dazu haben wieso nicht.