Interview mit Matthias Reim
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Mit seinem neuen Album "Sieben Leben" im Gepäck trat Matthias Reim am 4. Februar am Berner Barstreet Festival nach fast 20 Jahren erstmals wieder in der Schweiz auf. Wir haben den Sänger, der mit "Verdammt - ich lieb' dich" Musikgeschichte geschrieben hat, zu einem Gespräch getroffen.
hitparade.ch: Herzlich willkommen in der Schweiz! Du trittst heute nach längerer Zeit wieder einmal hier auf. Wie fühlst Du Dich, wieder einmal hier in der Schweiz zu sein?
Matthias Reim: Ich freu mich sehr. Es ist nach 19 Jahren mein erstes Konzert in der Schweiz und kommt zum rechten Moment, nämlich mitten hinein in die unerklärliche und unfassbare Wiederauferstehung meiner Person auf allen Ebenen. Zwischenzeitlich war ich einzig auf Promotionsreisen mit meinen Plattenfirmen hier sowie privat recht häufig, weil mein Bruder in Konstanz wohnt. Wenn ich ihn besuche, fliege ich häufig über Zürich an.
hitparade.ch: Welche Erinnerungen hast Du an Dein letztes Konzert auf Schweizer Boden?
Matthias Reim: Wir spielten damals im ausverkauften Zürcher Hallenstadion. Ich erinnere mich gut daran, dass man damals, um zur Bühne zu kommen, unter den Zuschauerrängen durch musste. Das waren Holzböden und die krachten aufgrund des Publikums höllisch. Das klang wie ein Gewitter. Da wär ich echt fast gestorben vor Lampenfieber. Aber es war ein sehr schönes Konzert.
hitparade.ch: Nachdem die letzten Tourneen einen Schwerpunkt im Osten Deutschlands hatten, ziehst Du jetzt dann wieder durch ganz Deutschland. Spielst in grossen Hallen von München bis Bremen und von Köln bis Berlin.
Matthias Reim: Ja, jetzt greifen wir an und sind bereit. Plötzlich ist so viel passiert: das Album hat super eingeschlagen und ist immer noch in den Charts. Dazu kommt, dass ich ja seit heute ahnen kann, dass ich nächste Woche mit meinem Buch sogar in den Bestsellerlisten lande - und damit sogar Keith Richards' Biographie geschlagen habe.
hitparade.ch: Vor wenigen Tagen erst wurde Deine Autobiographie "Verdammt, ich leb noch" veröffentlicht.
Matthias Reim: Als ich mal mit der Arbeit am Buch anfing, hätte ich echt nicht mit einer solch positiven Resonanz gerechnet. Es freut mich riesig, dass die Menschen diese Geschichte über meinen Weg ins Schlamassel und zurück so annehmen. Mein Buch - und das war mir besonders wichtig - ist kein Fanbuch. Ich erzähle darin nicht, bei welcher Gelegenheit mir welcher Song eingefallen ist. Vielmehr ist es ein Buch über mein Leben bis "Verdammt - ich lieb' dich", nach "Verdammt - ich lieb' dich", von ganz oben bis ganz unten ins völlige Desaster und schliesslich mit einem Happy-End. Bücher sollten immer ein Happy-End haben. Ich hätte auch mit Sicherheit keins geschrieben, wenn meine Geschichte nicht so ausgegangen wäre.
hitparade.ch: Du hast vor vielen Jahren Literatur studiert. Ist es von da her ein besonderes Gefühl, wenn man ein Flair für Bücher hat, jetzt ein eigenes Buch in den Händen zu halten?
Matthias Reim: Ja, es ist ein besonders Gefühl. Und als die Idee kam, hab ich noch geschmunzelt und gesagt "Was ein Quatsch!" Ich möchte nicht einer der vielen Prominenten sein, die glauben, irgendeinen Blabla in ein Buch pressen zu müssen. Als ich wieder ein freier, ein völlig neuer Mensch wurde vor einem Jahr und meine Schuldenprobleme bewältigt hatte, realisierte ich erst, was für eine unglaubliche Geschichte ich da erlebt habe. Hätte jemand einen fiktiven Roman geschrieben über die Branche und über einen Musiker mit meiner Geschichte, hätten ihm die Verleger das ganze wohl um die Ohren geschlagen und gesagt "so ein Schwachsinn passiert nicht!" Meine Geschichte ist so unglaubwürdig, fast surreal, dass sie es wert ist, erzählt zu werden. Die Qualität des Buchs liegt meines Erachtens in der Selbstironie, mit der es geschrieben ist. Letztlich nehme ich darin nämlich nur jemanden auf die Schippe, nämlich mich selber.
hitparade.ch: Ein Buch ist auch die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Mit welchen Gefühlen blickst Du als Musiker auf die letzten 20 Jahre zurück?
Matthias Reim: Als Musiker habe ich alle Seiten erlebt. Ich hatte gigantische Triumphzüge und unfassbare Niederlagen. Dass ich die in einem erneuten Erfolgslauf beenden darf, ist für mich das Glück meines Lebens. Wäre der Erfolg nicht zurückgekehrt, hätte ich vermutlich weiterhin ohne grosse Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit Platten gemacht. Ich wäre dann so langsam ausgerollt wie so viele Kollegen, wo einfach nichts Spektakuläres mehr passiert. Dass die Menschen und ihre Begeisterung plötzlich so zurückkommen, ist ein Geschenk, das ich nochmals bekomme vom lieben Gott. Ich glaube halt, der hat einfach erkannt, dass ich ein wirklich feiner Kerl bin. (lacht)
hitparade.ch: Welches Fazit ziehst Du als Mensch?
Matthias Reim: Dass Du das, was Du gibst, auch zurück kriegst. Ich habe immer versucht, mit allen Menschen gleich höflich umzugehen - ob mit der Putzfrau oder dem Ministerpräsidenten. Wenn jemand um ein Autogramm bittet, kriegt er das auch. Ich versuche auch jedem sein Foto zu geben, auch wenn ich überhaupt keine Zeit mehr hab. Einmal hab ich sogar einen Flieger deswegen verpasst. Dass ich nur schwer "nein" sagen kann, ist mein Problem, aber letzten Endes auch mein Glück. Du kannst es immer von beiden Seiten beleuchten - letzten Endes glaube ich, dass jedes Ende für mich doch auch einen neuen Anfang gebracht hat.
hitparade.ch: Wir würden in diesem Interview gerne eine kurze Werkschau mit Dir machen - von Deinen Anfängen bis zur Gegenwart. Es fing ja nicht alles mit "Verdammt - ich lieb Dich" an. Vor Deinem grossen Hit warst Du als Komponist für deutsche Disco- und Schlagerproduktionen tätig. Gibt es Dinge, die Du in dieser allerersten Karrierephase gelernt hast?
Matthias Reim: Ja, das waren meine Lehrjahre. Und auch da hab ich viel Glück gehabt. Denn wer kriegt schon als Provinzkomponist mit einem kleinen Pipi-Studio in irgendeiner Provinzstudentenstadt die Türen geöffnet in die Hansa-Tonstudios an der Berliner Mauer? Ich kriegte damals die Tür aufgemacht und die Jobs zugeschoben. Mensch, ich hatte damals schon so ein Glück!
hitparade.ch: Danach platzte aus heiterem Himmel der grosse Erfolg rein mit "Verdammt - ich lieb Dich"…
Matthias Reim: Ja, "Verdammt - ich lieb Dich" kam zu einer Zeit, wo ich das mit dem Sänger- und Popstarwerden eigentlich schon längst aufgegeben hatte. Da war ich über 30 und hatte mich im deutschsprachigen Zirkus bei den Künstlern als Komponist und Produzent recht gut etabliert. Wenn ich Songs geschrieben hatte, hörten die sich die an und nahmen die auch. Das war schon okay so. Nebenbei habe ich für mich immer mal wieder Lieder aufgenommen nach dem Motto "Naja, wer weiss, wofür's gut ist". So landeten im Laufe der Zeit einige Songs in der Schublade, die eigentlich ziemlich cool waren. Hätte mein damaliger Produktionspartner Bernd Dietrich bei "Verdammt - ich lieb' dich" nicht den Druck auf mich ausgeübt und gesagt: "Du probierst das aus!", hätte ich das Ding als Sänger nicht noch einmal lanciert.
hitparade.ch: Gab es Zeiten, in denen Du "Verdammt - ich lieb' Dich" verflucht hast, weil es Dich reduziert und künstlerisch eingeschränkt hat?
Matthias Reim: Ich habe es zeitweise verflucht, aber da war ich ein dummer Junge. Denn eigentlich hatte ich mit dem Song das schönste Geschenk, das man bekommen kann: einen Superhit, der nie wirklich alt geworden ist, den heute noch die Teenies feiern, der an Aktualität nie verloren hat und den mittlerweile so viele Menschen über Generationen hinweg einfach lieben. Ich habe mich manchmal geärgert, weil ich immer nur an "Verdammt - ich lieb' dich" gemessen wurde. Aber hör mal, jetzt im Ernst: wenn Dein Name mit einem der grössten Hits aller Zeiten direkt verbunden ist - geiler geht's doch wirklich nicht! Auch heute noch freuen sich die Leute am Konzert auf den Moment, wo ich rausgehe und singe "Ich ziehe durch die Strassen bis nach Mitternacht…". Spätestens in diesem Augenblick sind alle Arme oben. Generationen von 15 bis 65 sind vereint, feiern, gehen mit einem Grinsen im Gesicht raus und sagen "war das ein geiler Abend!".
hitparade.ch: Letztlich ein deutschsprachiger Klassiker…
Matthias Reim: Ja - und den zu haben ist ein Privileg und kein Fluch. Ich sehe das heute viel entspannter als früher, weil ich mir nichts mehr beweisen muss. Wie kannst Du so etwas Unwahrscheinliches, historisch Einmaliges toppen wollen? Ich wünsche mir, weiterhin tolle Songs zu schreiben, mehr nicht.
hitparade.ch: Das Album "Sieben Leben" ist das neueste Ergebnis - Dein mittlerweile 14. Studioalbum.
Matthias Reim: Auf dieser Platte habe ich endlich wieder sehr viel selber geschrieben, weil meine Birne wieder frei war. Und mit "Du bist mein Glück" enthält es eine der schönsten Nummern, die ich je geschrieben habe. Das positive Lebensgefühl, das darin zum Ausdruck kommt, entspricht voll und ganz meiner aktuellen Gefühlslage. Es ist einfach toll, dass die Menschen das Lied so angenommen haben. Es war sogar eine Airplay-Nummer-1. Alles kommt wieder!
hitparade.ch: Besondere Herzstücke der Platte sind zwei mit Azuquita sowie mit der Rock-Legende Bonnie Tyler. Wie kamen diese Kooperationen zu Stande?
Matthias Reim: Die Nummer "Junto a ti" mit Azuquita entstand, weil wir im Oberbayern auf Mallorca gerne gemeinsam Party machen und ich den Typen mag. Das Kollidieren von Spanisch und Deutsch hat uns einfach Spass gemacht. Mit der Flamenco-Rhythmik kriegt die Nummer eine ansteckende Leichtigkeit.
Als ich die Nummer "Salty Rain" komponierte, ahnte ich, dass das eine riesen Rock-Ballade werden könnte. Aufgrund der Monotonie, die mit den Stimmlagen entstanden ist, brauchte ich ein zweites Element, das nach oben fliegt. Wir entschieden spontan, halt ein Duett draus zu machen. Da hab ich Frau Tyler angerufen und gesagt: "Komm mal rüber!" Sie entgegnete: "Schick mir den Song!" Ich hab ihr dann das mp3 geschickt, worauf sie eine Stunde später anrief: "Geile Nummer! Ich komme!" Eine solche Kooperation freut mich natürlich riesig. Du schreibst eine Nummer und ein Weltstar, eine Legende wie Bonnie Tyler kommt zu Dir nach Mallorca geflogen, checkt im Gästehaus ein, macht sich's gemütlich, lässt sich eine Flasche Rotwein geben und sagt "Wann fangen wir an?"
hitparade.ch: Du hast erwähnt, dass Du auf der neuen Platte wieder viel selber geschrieben hast. Es gab ja auch eine Zeit, in der Du etwas weniger an der Komposition Deiner Songs und deren Produktion beteiligt warst, wo Du Dich vom kreativen Aspekt her also etwas zurückgenommen hattest.
Matthias Reim: Songs geschrieben habe immer, doch Mitte der 2000er waren es nur sehr wenige Titel. Ich hatte damals so viele Sorgen. Irgendwann wirkt sich das einfach auch auf Deine Psyche aus. Ich drehte mich im Kreis. Entweder waren die Antennen eingefahren oder sie waren ausgefahren und die Gewitterwolken darüber haben den Empfang unmöglich gemacht.
hitparade.ch: War es für Dich schwierig, diese reduzierte kreative Mitgestaltung zu akzeptieren? Schliesslich hattest Du in den 90ern Deine Alben komplett selber komponiert, produziert und arrangiert…
Matthias Reim: Nein, denn ich hatte - Gott sei Dank - mit Joachim Horn-Bernges einen fantastischen Autoren an meiner Seite, der mir - gemeinsam mit dem einen oder anderen Co-Autor - vieles abgenommen hat. In der Zeit, wo mir nichts eingefallen ist, hatte der einfach grossartige Ideen, beispielsweise "Sowieso für Dich das letzte" oder "Ich liebe dich". Im Wissen, einen der besten Songwriter Deutschlands an meiner Seite zu haben, konnte ich diese Verantwortung auch guten Gewissens abgeben. Eine Zeit lang hatte der einfach auch den goldrichtigen, präzisen Satz für mich. Beispielsweise "Ich hatte mal ein Haus - ich lebte echt in Saus und Braus" beim Lied "Egal was soll's". Das war eine das Publikum umhauende Ehrlichkeit in der Offenbarung. Alles, was ich heute habe, hätte ich nicht, wenn mir diese Talfahrt nicht widerfahren wäre. Hätte ich in dieser Zeit nicht solche Lieder gehabt, würde ich auch den heutigen Erfolg nicht erleben können.
hitparade.ch: Gibt es Lieder, über die Du sagen würdest, sie waren für Dich - trotz des nur relativen kommerziellen Erfolgs - besonders wichtig?
Matthias Reim: Ich glaube, dass ich eigentlich in jeder Karrierephase immer wieder gute Songs geschrieben habe. Es gibt zwei, drei Songs, die ich immer wieder höre. Das sind häufig eher stille Sachen, auf die ich aber bis heute stolz bin. "Im Himmel geht es weiter" ist für mich eine absolute Übernummer, oder auch "Atemzug". Bei der Nummer "Zeit" habe ich mit Pink-Floyd-Elementen gearbeitet und eine brachiale Endsituation geschildert. Diese Nummer fand ich tierisch. Leider habe ich sie nicht optimal abgemischt, denn die Stimme ist zu leise. Da hab ich durch die schwache Produktion die ganze Intensität des Songs eigentlich versaut. Ich glaube fast, dass ich mir den einen oder anderen Song aus jener Zeit nochmal vornehmen sollte…
hitparade.ch: Wenn man Deine Hitparadenplatzierungen in den letzten zehn Jahren anschaut, ist von einem "Comeback" keine Spur, sondern eine grosse Konstanz festzustellen.
Matthias Reim: Das verblüfft mich auch. Obwohl es um mich in den letzten Jahren etwas still geworden ist, ging doch immer jedes Album in die Top 10. Gemessen daran, bin ich auf dem deutschen Markt eigentlich einer der ganz Grossen. Dass man das nicht so wahrnimmt, mag auch daran liegen, dass ich nicht so gerne über die roten Teppiche gehe. Ich mach das, wenn ich wirklich muss, versuche es aber zu vermeiden. Es ist nicht meine Art, im Blitzlichtgewitter zu stehen. Auch an den Echo, wo ich wohl nominiert sein werde, weiss ich noch nicht, ob ich hingehe. Eigentlich sitze ich lieber mit Freunden in einer Kneipe bei einem Bierchen oder zwei als da stundenlang zuzusehen, wie die Branche sich selber feiert. Diese Unbescheidenheit ist nicht mein Ding.
hitparade.ch: Nach dem Erfolgserlebnis der überwundenen Schulden und den Erfolgen mit Album und Buch hätte man guten Grund zu sagen: jetzt lehn ich mich zurück und atme erst mal durch. Hast Du für die zweite Jahreshälfte - nach der grossen Tournee - Urlaub vorgesehen? Oder geht es dann gleich weiter mit neuen Projekten?
Matthias Reim: Dann gibt's Open-Airs! Ich möchte gerne an sieben bis zehn Open Airs spielen. Ich liebe es, auf irgendeiner Wiese Bier aus Plastikbechern zu saufen und zu sagen: so jetzt rocken wir die Menge! Diese wilde Atmosphäre finde ich geil.
hitparade.ch: Gibt's auch Open-Air-Auftritt ein der Schweiz?
Matthias Reim: Wir haben uns bisher nicht getraut. Wir können noch nicht ganz einschätzen, was in der Schweiz passiert. Für die Techniker, die Musiker und das ganze Equipment sind solche Auftritte mit einem grossen Aufwand verbunden und deshalb auch ein kleines Risiko. Wir werden jetzt heute Abend mal schauen, was hier in Bern passiert. Ich kann noch nicht ganz einschätzen, wie gut die Schweizer mich und meine Songs wirklich kennen. In Dresden, Rostock, Berlin oder Oberhausen weiss ich, dass da Tausende stehen, die schon vom ersten Moment an jedes Wort mitsingen. Wie das bei den Schweizer ist, wollen wir sehen. Wenn wir den Reim-Virus auch hier verbreiten können, dann wären wir ja blöd, wenn wir nicht bald wieder kämen.
hitparade.ch: Na dann, viel Spass heute Abend! Und vielen Dank fürs Interview!
hitparade.ch: Herzlich willkommen in der Schweiz! Du trittst heute nach längerer Zeit wieder einmal hier auf. Wie fühlst Du Dich, wieder einmal hier in der Schweiz zu sein?
Matthias Reim: Ich freu mich sehr. Es ist nach 19 Jahren mein erstes Konzert in der Schweiz und kommt zum rechten Moment, nämlich mitten hinein in die unerklärliche und unfassbare Wiederauferstehung meiner Person auf allen Ebenen. Zwischenzeitlich war ich einzig auf Promotionsreisen mit meinen Plattenfirmen hier sowie privat recht häufig, weil mein Bruder in Konstanz wohnt. Wenn ich ihn besuche, fliege ich häufig über Zürich an.
hitparade.ch: Welche Erinnerungen hast Du an Dein letztes Konzert auf Schweizer Boden?
Matthias Reim: Wir spielten damals im ausverkauften Zürcher Hallenstadion. Ich erinnere mich gut daran, dass man damals, um zur Bühne zu kommen, unter den Zuschauerrängen durch musste. Das waren Holzböden und die krachten aufgrund des Publikums höllisch. Das klang wie ein Gewitter. Da wär ich echt fast gestorben vor Lampenfieber. Aber es war ein sehr schönes Konzert.
hitparade.ch: Nachdem die letzten Tourneen einen Schwerpunkt im Osten Deutschlands hatten, ziehst Du jetzt dann wieder durch ganz Deutschland. Spielst in grossen Hallen von München bis Bremen und von Köln bis Berlin.
Matthias Reim: Ja, jetzt greifen wir an und sind bereit. Plötzlich ist so viel passiert: das Album hat super eingeschlagen und ist immer noch in den Charts. Dazu kommt, dass ich ja seit heute ahnen kann, dass ich nächste Woche mit meinem Buch sogar in den Bestsellerlisten lande - und damit sogar Keith Richards' Biographie geschlagen habe.
hitparade.ch: Vor wenigen Tagen erst wurde Deine Autobiographie "Verdammt, ich leb noch" veröffentlicht.
Matthias Reim: Als ich mal mit der Arbeit am Buch anfing, hätte ich echt nicht mit einer solch positiven Resonanz gerechnet. Es freut mich riesig, dass die Menschen diese Geschichte über meinen Weg ins Schlamassel und zurück so annehmen. Mein Buch - und das war mir besonders wichtig - ist kein Fanbuch. Ich erzähle darin nicht, bei welcher Gelegenheit mir welcher Song eingefallen ist. Vielmehr ist es ein Buch über mein Leben bis "Verdammt - ich lieb' dich", nach "Verdammt - ich lieb' dich", von ganz oben bis ganz unten ins völlige Desaster und schliesslich mit einem Happy-End. Bücher sollten immer ein Happy-End haben. Ich hätte auch mit Sicherheit keins geschrieben, wenn meine Geschichte nicht so ausgegangen wäre.
hitparade.ch: Du hast vor vielen Jahren Literatur studiert. Ist es von da her ein besonderes Gefühl, wenn man ein Flair für Bücher hat, jetzt ein eigenes Buch in den Händen zu halten?
Matthias Reim: Ja, es ist ein besonders Gefühl. Und als die Idee kam, hab ich noch geschmunzelt und gesagt "Was ein Quatsch!" Ich möchte nicht einer der vielen Prominenten sein, die glauben, irgendeinen Blabla in ein Buch pressen zu müssen. Als ich wieder ein freier, ein völlig neuer Mensch wurde vor einem Jahr und meine Schuldenprobleme bewältigt hatte, realisierte ich erst, was für eine unglaubliche Geschichte ich da erlebt habe. Hätte jemand einen fiktiven Roman geschrieben über die Branche und über einen Musiker mit meiner Geschichte, hätten ihm die Verleger das ganze wohl um die Ohren geschlagen und gesagt "so ein Schwachsinn passiert nicht!" Meine Geschichte ist so unglaubwürdig, fast surreal, dass sie es wert ist, erzählt zu werden. Die Qualität des Buchs liegt meines Erachtens in der Selbstironie, mit der es geschrieben ist. Letztlich nehme ich darin nämlich nur jemanden auf die Schippe, nämlich mich selber.
hitparade.ch: Ein Buch ist auch die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Mit welchen Gefühlen blickst Du als Musiker auf die letzten 20 Jahre zurück?
Matthias Reim: Als Musiker habe ich alle Seiten erlebt. Ich hatte gigantische Triumphzüge und unfassbare Niederlagen. Dass ich die in einem erneuten Erfolgslauf beenden darf, ist für mich das Glück meines Lebens. Wäre der Erfolg nicht zurückgekehrt, hätte ich vermutlich weiterhin ohne grosse Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit Platten gemacht. Ich wäre dann so langsam ausgerollt wie so viele Kollegen, wo einfach nichts Spektakuläres mehr passiert. Dass die Menschen und ihre Begeisterung plötzlich so zurückkommen, ist ein Geschenk, das ich nochmals bekomme vom lieben Gott. Ich glaube halt, der hat einfach erkannt, dass ich ein wirklich feiner Kerl bin. (lacht)
hitparade.ch: Welches Fazit ziehst Du als Mensch?
Matthias Reim: Dass Du das, was Du gibst, auch zurück kriegst. Ich habe immer versucht, mit allen Menschen gleich höflich umzugehen - ob mit der Putzfrau oder dem Ministerpräsidenten. Wenn jemand um ein Autogramm bittet, kriegt er das auch. Ich versuche auch jedem sein Foto zu geben, auch wenn ich überhaupt keine Zeit mehr hab. Einmal hab ich sogar einen Flieger deswegen verpasst. Dass ich nur schwer "nein" sagen kann, ist mein Problem, aber letzten Endes auch mein Glück. Du kannst es immer von beiden Seiten beleuchten - letzten Endes glaube ich, dass jedes Ende für mich doch auch einen neuen Anfang gebracht hat.
hitparade.ch: Wir würden in diesem Interview gerne eine kurze Werkschau mit Dir machen - von Deinen Anfängen bis zur Gegenwart. Es fing ja nicht alles mit "Verdammt - ich lieb Dich" an. Vor Deinem grossen Hit warst Du als Komponist für deutsche Disco- und Schlagerproduktionen tätig. Gibt es Dinge, die Du in dieser allerersten Karrierephase gelernt hast?
Matthias Reim: Ja, das waren meine Lehrjahre. Und auch da hab ich viel Glück gehabt. Denn wer kriegt schon als Provinzkomponist mit einem kleinen Pipi-Studio in irgendeiner Provinzstudentenstadt die Türen geöffnet in die Hansa-Tonstudios an der Berliner Mauer? Ich kriegte damals die Tür aufgemacht und die Jobs zugeschoben. Mensch, ich hatte damals schon so ein Glück!
hitparade.ch: Danach platzte aus heiterem Himmel der grosse Erfolg rein mit "Verdammt - ich lieb Dich"…
Matthias Reim: Ja, "Verdammt - ich lieb Dich" kam zu einer Zeit, wo ich das mit dem Sänger- und Popstarwerden eigentlich schon längst aufgegeben hatte. Da war ich über 30 und hatte mich im deutschsprachigen Zirkus bei den Künstlern als Komponist und Produzent recht gut etabliert. Wenn ich Songs geschrieben hatte, hörten die sich die an und nahmen die auch. Das war schon okay so. Nebenbei habe ich für mich immer mal wieder Lieder aufgenommen nach dem Motto "Naja, wer weiss, wofür's gut ist". So landeten im Laufe der Zeit einige Songs in der Schublade, die eigentlich ziemlich cool waren. Hätte mein damaliger Produktionspartner Bernd Dietrich bei "Verdammt - ich lieb' dich" nicht den Druck auf mich ausgeübt und gesagt: "Du probierst das aus!", hätte ich das Ding als Sänger nicht noch einmal lanciert.
hitparade.ch: Gab es Zeiten, in denen Du "Verdammt - ich lieb' Dich" verflucht hast, weil es Dich reduziert und künstlerisch eingeschränkt hat?
Matthias Reim: Ich habe es zeitweise verflucht, aber da war ich ein dummer Junge. Denn eigentlich hatte ich mit dem Song das schönste Geschenk, das man bekommen kann: einen Superhit, der nie wirklich alt geworden ist, den heute noch die Teenies feiern, der an Aktualität nie verloren hat und den mittlerweile so viele Menschen über Generationen hinweg einfach lieben. Ich habe mich manchmal geärgert, weil ich immer nur an "Verdammt - ich lieb' dich" gemessen wurde. Aber hör mal, jetzt im Ernst: wenn Dein Name mit einem der grössten Hits aller Zeiten direkt verbunden ist - geiler geht's doch wirklich nicht! Auch heute noch freuen sich die Leute am Konzert auf den Moment, wo ich rausgehe und singe "Ich ziehe durch die Strassen bis nach Mitternacht…". Spätestens in diesem Augenblick sind alle Arme oben. Generationen von 15 bis 65 sind vereint, feiern, gehen mit einem Grinsen im Gesicht raus und sagen "war das ein geiler Abend!".
hitparade.ch: Letztlich ein deutschsprachiger Klassiker…
Matthias Reim: Ja - und den zu haben ist ein Privileg und kein Fluch. Ich sehe das heute viel entspannter als früher, weil ich mir nichts mehr beweisen muss. Wie kannst Du so etwas Unwahrscheinliches, historisch Einmaliges toppen wollen? Ich wünsche mir, weiterhin tolle Songs zu schreiben, mehr nicht.
hitparade.ch: Das Album "Sieben Leben" ist das neueste Ergebnis - Dein mittlerweile 14. Studioalbum.
Matthias Reim: Auf dieser Platte habe ich endlich wieder sehr viel selber geschrieben, weil meine Birne wieder frei war. Und mit "Du bist mein Glück" enthält es eine der schönsten Nummern, die ich je geschrieben habe. Das positive Lebensgefühl, das darin zum Ausdruck kommt, entspricht voll und ganz meiner aktuellen Gefühlslage. Es ist einfach toll, dass die Menschen das Lied so angenommen haben. Es war sogar eine Airplay-Nummer-1. Alles kommt wieder!
hitparade.ch: Besondere Herzstücke der Platte sind zwei mit Azuquita sowie mit der Rock-Legende Bonnie Tyler. Wie kamen diese Kooperationen zu Stande?
Matthias Reim: Die Nummer "Junto a ti" mit Azuquita entstand, weil wir im Oberbayern auf Mallorca gerne gemeinsam Party machen und ich den Typen mag. Das Kollidieren von Spanisch und Deutsch hat uns einfach Spass gemacht. Mit der Flamenco-Rhythmik kriegt die Nummer eine ansteckende Leichtigkeit.
Als ich die Nummer "Salty Rain" komponierte, ahnte ich, dass das eine riesen Rock-Ballade werden könnte. Aufgrund der Monotonie, die mit den Stimmlagen entstanden ist, brauchte ich ein zweites Element, das nach oben fliegt. Wir entschieden spontan, halt ein Duett draus zu machen. Da hab ich Frau Tyler angerufen und gesagt: "Komm mal rüber!" Sie entgegnete: "Schick mir den Song!" Ich hab ihr dann das mp3 geschickt, worauf sie eine Stunde später anrief: "Geile Nummer! Ich komme!" Eine solche Kooperation freut mich natürlich riesig. Du schreibst eine Nummer und ein Weltstar, eine Legende wie Bonnie Tyler kommt zu Dir nach Mallorca geflogen, checkt im Gästehaus ein, macht sich's gemütlich, lässt sich eine Flasche Rotwein geben und sagt "Wann fangen wir an?"
hitparade.ch: Du hast erwähnt, dass Du auf der neuen Platte wieder viel selber geschrieben hast. Es gab ja auch eine Zeit, in der Du etwas weniger an der Komposition Deiner Songs und deren Produktion beteiligt warst, wo Du Dich vom kreativen Aspekt her also etwas zurückgenommen hattest.
Matthias Reim: Songs geschrieben habe immer, doch Mitte der 2000er waren es nur sehr wenige Titel. Ich hatte damals so viele Sorgen. Irgendwann wirkt sich das einfach auch auf Deine Psyche aus. Ich drehte mich im Kreis. Entweder waren die Antennen eingefahren oder sie waren ausgefahren und die Gewitterwolken darüber haben den Empfang unmöglich gemacht.
hitparade.ch: War es für Dich schwierig, diese reduzierte kreative Mitgestaltung zu akzeptieren? Schliesslich hattest Du in den 90ern Deine Alben komplett selber komponiert, produziert und arrangiert…
Matthias Reim: Nein, denn ich hatte - Gott sei Dank - mit Joachim Horn-Bernges einen fantastischen Autoren an meiner Seite, der mir - gemeinsam mit dem einen oder anderen Co-Autor - vieles abgenommen hat. In der Zeit, wo mir nichts eingefallen ist, hatte der einfach grossartige Ideen, beispielsweise "Sowieso für Dich das letzte" oder "Ich liebe dich". Im Wissen, einen der besten Songwriter Deutschlands an meiner Seite zu haben, konnte ich diese Verantwortung auch guten Gewissens abgeben. Eine Zeit lang hatte der einfach auch den goldrichtigen, präzisen Satz für mich. Beispielsweise "Ich hatte mal ein Haus - ich lebte echt in Saus und Braus" beim Lied "Egal was soll's". Das war eine das Publikum umhauende Ehrlichkeit in der Offenbarung. Alles, was ich heute habe, hätte ich nicht, wenn mir diese Talfahrt nicht widerfahren wäre. Hätte ich in dieser Zeit nicht solche Lieder gehabt, würde ich auch den heutigen Erfolg nicht erleben können.
hitparade.ch: Gibt es Lieder, über die Du sagen würdest, sie waren für Dich - trotz des nur relativen kommerziellen Erfolgs - besonders wichtig?
Matthias Reim: Ich glaube, dass ich eigentlich in jeder Karrierephase immer wieder gute Songs geschrieben habe. Es gibt zwei, drei Songs, die ich immer wieder höre. Das sind häufig eher stille Sachen, auf die ich aber bis heute stolz bin. "Im Himmel geht es weiter" ist für mich eine absolute Übernummer, oder auch "Atemzug". Bei der Nummer "Zeit" habe ich mit Pink-Floyd-Elementen gearbeitet und eine brachiale Endsituation geschildert. Diese Nummer fand ich tierisch. Leider habe ich sie nicht optimal abgemischt, denn die Stimme ist zu leise. Da hab ich durch die schwache Produktion die ganze Intensität des Songs eigentlich versaut. Ich glaube fast, dass ich mir den einen oder anderen Song aus jener Zeit nochmal vornehmen sollte…
hitparade.ch: Wenn man Deine Hitparadenplatzierungen in den letzten zehn Jahren anschaut, ist von einem "Comeback" keine Spur, sondern eine grosse Konstanz festzustellen.
Matthias Reim: Das verblüfft mich auch. Obwohl es um mich in den letzten Jahren etwas still geworden ist, ging doch immer jedes Album in die Top 10. Gemessen daran, bin ich auf dem deutschen Markt eigentlich einer der ganz Grossen. Dass man das nicht so wahrnimmt, mag auch daran liegen, dass ich nicht so gerne über die roten Teppiche gehe. Ich mach das, wenn ich wirklich muss, versuche es aber zu vermeiden. Es ist nicht meine Art, im Blitzlichtgewitter zu stehen. Auch an den Echo, wo ich wohl nominiert sein werde, weiss ich noch nicht, ob ich hingehe. Eigentlich sitze ich lieber mit Freunden in einer Kneipe bei einem Bierchen oder zwei als da stundenlang zuzusehen, wie die Branche sich selber feiert. Diese Unbescheidenheit ist nicht mein Ding.
hitparade.ch: Nach dem Erfolgserlebnis der überwundenen Schulden und den Erfolgen mit Album und Buch hätte man guten Grund zu sagen: jetzt lehn ich mich zurück und atme erst mal durch. Hast Du für die zweite Jahreshälfte - nach der grossen Tournee - Urlaub vorgesehen? Oder geht es dann gleich weiter mit neuen Projekten?
Matthias Reim: Dann gibt's Open-Airs! Ich möchte gerne an sieben bis zehn Open Airs spielen. Ich liebe es, auf irgendeiner Wiese Bier aus Plastikbechern zu saufen und zu sagen: so jetzt rocken wir die Menge! Diese wilde Atmosphäre finde ich geil.
hitparade.ch: Gibt's auch Open-Air-Auftritt ein der Schweiz?
Matthias Reim: Wir haben uns bisher nicht getraut. Wir können noch nicht ganz einschätzen, was in der Schweiz passiert. Für die Techniker, die Musiker und das ganze Equipment sind solche Auftritte mit einem grossen Aufwand verbunden und deshalb auch ein kleines Risiko. Wir werden jetzt heute Abend mal schauen, was hier in Bern passiert. Ich kann noch nicht ganz einschätzen, wie gut die Schweizer mich und meine Songs wirklich kennen. In Dresden, Rostock, Berlin oder Oberhausen weiss ich, dass da Tausende stehen, die schon vom ersten Moment an jedes Wort mitsingen. Wie das bei den Schweizer ist, wollen wir sehen. Wenn wir den Reim-Virus auch hier verbreiten können, dann wären wir ja blöd, wenn wir nicht bald wieder kämen.
hitparade.ch: Na dann, viel Spass heute Abend! Und vielen Dank fürs Interview!
Interview durchgeführt: staetz
Redaktion: staetz