Interview mit Michael von der Heide"Ich mache jeden Tag das, was ich liebe"
07.10.2019
hitparade.ch: "Rio Amden Amsterdam" ist bereits Dein zwölftes Album. Wenn Du Dir heute Dein erstes Album "Michael von der Heide" anhörst - was empfindest Du rückblickend?
Michael von der Heide: Ich habs mir tatsächlich vor diesen Aufnahmen angehört. Eifach aus nostalgischen Gründen. Nach wie vor ist es für mich surreal: Dieses erste Album war so toll für mich. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in Tränen ausgebrochen bin, als ich es zum ersten Mal, frisch gepresst, in den Händen hielt. Wenn ich es mir anhöre, staune ich darüber, wie mutig und frech ich damals gewesen bin. Und ich bin dankbar dafür, wie viele tolle Musiker bereits damals mitgewirkt haben. Zudem auch dafür, wie schnell dieses Werk damals Anklang gefunden hat. Ich bin mir sicher, dass wenn heute ein junger Musiker genau das Gleiche machen würde, das nicht funktionieren würde.hitparade.ch: Du denkst also, der Erfolg war eine Frage des Zeitgeistes?
Michael von der Heide: Ja, auch! Zurzeit gibt es wohl keinen Platz mehr für so etwas. Man hatte damals mehr Zeit, man konnte sich ausprobieren. Dieser Druck "Entweder so, oder Du bist sofort wieder draussen", den gabs damals nicht.hitparade.ch: Kannst Du die Gefühle, die Du mit den Songs verbindest, heute noch nachvollziehen?
Michael von der Heide: Ja, das kann ich schon. Auch wenn man gewisse Sachen heute anders erzählen würde, sind die Gefühle von damals auch heute authentisch. Ein Song damals hiess "Erfolg" und ist bis heute textlich einer der pikantesten. Das würde ich noch immer so singen. Jedoch habe ich es damals sehr theatralisch und hysterisch gesungen. Das passte zu meinem damaligen Ich und zu meinem Alter. Das war echt! Aber wenn ich es heute höre, dann denke ich: "Okay, es hätte auch bescheidener sein dürfen(lacht)."hitparade.ch: Das heisst, zu bist inzwischen "gemässigter" geworden?
Michael von der Heide: Wahrscheinlich schon. Ein Journalist schrieb einst, dass "le fou" (das Irre) langsam der Vergangenheit angehöre. Aber auf der Bühne lebe ich diese Verrücktheit nach wie vor aus. Auf der Platte weniger. Gerade dieses neue Album, gemeinsam mit diesen grossartigen Musikern, habe ich versucht, aus einem Guss zu machen, ohne Ausbrecher.hitparade.ch: Du hast für "Rio Amden Amsterdam" mit hochkarätigen Jazz-Musikern gearbeitet. Du hast Dir damit einen Traum erfüllt. Seit wann war das in Deinem Kopf?
Michael von der Heide: Schon sehr lange. Ich wurde oft nach meinen Plänen gefragt und immer wieder sagte ich ganz kokett: "Ich mache mal ein Jazz-Album". Das hat sich immer so wichtig und gut angefühlt. Die Reaktion war jedoch immer: "Was, Du? Jazz?". Naja (lacht). Der Musikgeschmack verändert sich mit den Jahren – und der Horizont erweitert sich. Ich habe immer mehr Jazz-Musik gehört und war regelmässig von den Musikern beeindruckt. Es ist einfach eine andere Schiene. In der Live-Band habe ich zwei junge Musiker, einer aus Neuseeland, der andere aus der Ukraine. Der eine fragte mich nach der ersten Probe: "Improvisierst Du auch ab und zu?" Und ich meinte nur: "Da kannst Du Dich darauf gefasst machen." Er glaubte mir das erst nicht, doch er ist dann ganz schön auf die Welt gekommen (lacht). Vielleicht bin ich der geborene Jazzer.hitparade.ch: Wie hast Du Dir die Musiker zusammengesucht?
Michael von der Heide: Mit dem Ukrainer habe ich im Theater Basel gespielt, gemeinsam mit Noëmi Nadelmann. Er war im Orchester und er fiel mir auf, er war super. Jedoch war es ein klassisches Orchester und ich wusste ja nicht, was er sonst noch so kann. Als ich ihn ansprach, da sagte er: "I'm a jazzer". Da war für mich klar, dass ich mit ihm zusammenarbeiten möchte. Und sonst frage ich oft die Musiker, wen sie kennen und mit wem sie gerne spielen. Es ist wichtig, dass die Band ein gutes, harmonisches Team ist, das Spass hat.hitparade.ch: Heidi Happy war stark involviert bei Deiner neuen Scheibe. Wie kam es zu dieser innigen Zusammenarbeit?
Michael von der Heide: Wir kennen uns seit zehn Jahren und verstehen uns prächtig, wir teilen uns zudem ein Atelier in Berlin. Ich hatte einen Text und entschied mich, Heidi diesen Text zu schicken. Einfach, weil es mich interessierte, was sie daraus machen würde. Das war "Abschied von der Nacht". Als sie mir den Song zurückschickte, selbst eingesungen, war ich sprachlos. Es stellte mir alle Nackenhaare auf. Eigentlich hatte sie es eingesungen, damit ich es nachher singen würde. Doch es wäre eine Schande gewesen, ihre Stimme da nicht einzubinden. So wurde ein Duett daraus. Und da das alles so wunderbar funktionierte, schickte ich ihr weiteres Material, das sie arrangierte. So arbeiteten wir stets via Skype, da sie auf Tour war. Wir trafen uns schliesslich erst im Studio.hitparade.ch: Wird sie bei der Tour dabei sein?
Michael von der Heide: Sie kommt als Special Guest an die Plattentaufe. Daniela Simmons übrigens auch! Das wird ein toller Abend!hitparade.ch: Ein Song, der sofort auffällt, ist: "Zuhause konnte ich es noch". Ist dieser Song autobiografisch?
Michael von der Heide: Klar! Dieses Gefühl kenne ich sehr gut. Zwar nicht unbedingt auf der Bühne, aber sonst im Leben. Das Publikum und das Adrenalin helfen mir jeweils sehr. Obwohl ich oft fand, dass ich zuhause im Badezimmer super sang, auf der Bühne jedoch empfand ich es oft so, als wäre nur 60 Prozent von meinem Können vorhanden. Auch Prüfungsangst kenne ich aus der Schulzeit. Jedoch das mit dem "goldenen Lied" ist in Ordnung: Da hat mir Paola geschrieben: "Das stimmt nicht. Du konntest es! Nicht nur zuhause (lacht)!"hitparade.ch: "In dieser Stadt" ist ein Klassiker von Hildegard Knef. Du hast sie im Projekt "Hildegard" bereits einmal besungen. Wie ist Deine Verbindung zu ihr?
Michael von der Heide: Als Kind sah ich sie oft im Fernsehen. Sie ist mir damals speziell aufgefallen. Man sah immer nur die schönen Schlagersängerinnen, ganz zart und elegant. Und sie war so richtig "schnodrig" mit ihrer verrauchten Stimme. Sie war wunderschön, aber zu dieser Zeit etwas verlebt. Ihre Texte fielen zudem auch auf. Sie schrieb auch fast alle Songs selbst, wenn auch "In dieser Stadt" nicht. Und sie schrieb Bücher. Sie war eine Ikone und Pionierin! Und deswegen finde ich es wichtig, dass sie musikalisch weiterlebt. Und dazu möchte ich beitragen.hitparade.ch: Es gibt noch etwas, das beim neuen Album auffällt: das Booklet! Man sieht Dich unten ohne! Was hat es damit auf sich?
Michael von der Heide: Michel Polnareff hat in den 70er Jahren mit einem ähnlichen Bild einen grossen Skandal ausgelöst. Er kassierte sogar eine Busse dafür! Mein Foto ist eine Hommage an dieses Bild. Mein Fotograf Patrick Mettraux macht regelmässig kunstvolle Aktfotografie und wollte schon oft solche Bilder von mir machen, ich habe aber immer abgelehnt. Der Grund: Bodyshaming! Ich hielt mich für zu alt und für zu dick dafür. Nun habe ich aber in den beiden letzten Jahren "Cabaret" gespielt im Bernhard Theater Zürich. Ich musste viel tanzen (lacht)… Jetzt kann ich mich doch noch zeigen. Ich dachte einfach: "Jetzt oder nie! So knackig wirst Du nie wieder sein!"hitparade.ch: Und dann sogar ins CD-Booklet!
Michael von der Heide: Es ist dann wirklich cool und lustig geworden, also wollte ich es nicht in der Schublade verstauben lassen. Zudem ist es ja einfach ein witziges Bild, es ist ja nicht ein erotisches Foto. Zudem entblösse ich mich auf dem Album ja auch.hitparade.ch: Deine Texte sind voller Poesie und Tiefgang. Wie schreibst Du? Man stellt sich vor, Du sitzt am Ufer eines Sees und betrachtest den Sonnenuntergang und die Wellen, kaust auf einem Grashalm und schreibst Deine Ideen nieder. Wie ist es in Wirklichkeit?
Michael von der Heide: Es ist tatsächlich so! Es kommt Deiner Vorstellung ziemlich nahe. Zumindest die ersten Ideen sammle ich in der Natur. Entweder am Wasser, im Wald oder ab und zu auf dem Balkon. Ganz altmodisch habe ich immer mein Buch dabei. Vollendet werden die Texte dann aber im Büro. Wenn ich im Wald bin, spaziere ich oft und spreche mir die Texte aufs Handy. In Bewegung kommen mir meist viele Ideen.hitparade.ch: Du gehörst zu den Urgesteinen der Schweizer Musikszene. Wie empfindest Du die heutige Schweizer Musikkultur? Wer inspiriert Dich?
Michael von der Heide: Ich interessiere mich natürlich sehr dafür, was zurzeit läuft. Auch kommerziell interessiert mich, was bei wem so läuft. Wir haben viele sehr starke Künstler momentan. Aktuell sind es aber eher die Instrumentalisten, die mir auffallen und die mich inspirieren.hitparade.ch: Du gehörst zu den Schweizer Künstlern, die es mit ihrer Musik schon früh über die Grenze ins Ausland geschafft haben. Wie erlebst Du den Stolz oder Nichtstolz der Schweiz?
Michael von der Heide: Ich kenne beide Gefühle. Ich bin aber sehr zufrieden im Moment (lacht). Wenn man beleidigt wird und dünnhäutig ist, dann muss man sich wieder bewusstmachen, dass man es ja überhaupt an diesen Punkt schaffen muss. Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen, die begabter sind als ich, und die es nicht ins Ausland geschafft haben. Ich hatte viel Glück und bin ein fleissiger Mensch. Und sicher habe ich meine musikalischen Qualitäten. Das darf man nicht vergessen.hitparade.ch: Hättest Du Dir den grossen Welterfolg gewünscht?
Michael von der Heide: Ich war ein Jahr in Frankreich. Damals wollte Sony France mit mir ein Album aufnehmen. Damals dachten wir, es wäre alles möglich. Ich habe viele Demos aufgenommen und pendelte von Studio zu Studio. Mein Manager sah mich an einem Punkt, an dem ich nicht war. Man sah mich in einer extremeren Künstlerecke, als ich mich selbst zugehörig fühlte. Ich traute mich damals nicht zu sagen, dass eine leichtere Kost eventuell besser für mich gewesen wäre. Und so kamen wir nicht weiter. Dann ging ich nach Hause und tat Dinge, die besser zu mir passten. Ich spielte mit Adi Stern zusammen, nahm ein Duett mit Nina Hagen auf und arbeitete mit Anette Humpe zusammen. Es wäre vielleicht etwas möglich gewesen, auch von der Zeit her. Damals tickte die Musikindustrie noch etwas anders. Aber so, wie es gekommen ist, ist es sehr gut. Das Thema ist abgehakt – und seither geht es mir besser. Ich bin mit mir im Reinen. Ich arbeite mit so tollen Menschen zusammen und mache jeden Tag das, was ich liebe.hitparade.ch: So wie ich Dich erlebe, bist Du ein Mensch voller Ideen. Gibt es noch grosse musikalische Wünsche, die Du Dir selbst erfüllen willst?
Michael von der Heide: Ich kann nicht sagen, dass ich keine Wünsche mehr habe, aber ich habe mir mit diesem Album, mit diesen Jazz-Musikern, auf jeden Fall einen grossen Wunsch erfüllt. Was noch in meinem Kopf schwirrt wäre ein kleines, feines Album, nur mit Flügel, Kontrabass und Schlagzeug aufzunehmen. Das wollte ich ursprünglich bei diesem Album schon machen, aber weder der norwegische Produzent noch Heidi Happy konnten die Finger von Horns und Streichern lassen (lacht). Und damit hatten sie mich! Daher kommt das vielleicht noch.Interview durchgeführt:
Bettina Wyss-Siegwart
Bettina Wyss-Siegwart
Redaktion:
Bettina Wyss-Siegwart
Bettina Wyss-Siegwart
Linktipps:
Ins neue Album reinhören - Wir verlosen 3 Alben | |
Künstlerportal von Michael von der Heide |