Interview mit Rainhard Fendrich
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Drei Wochen verweilte der Liedermacher Rainhard Fendrich mit seinem neuen Album "Hier + jetzt" auf Platz 1 der österreichischen Charts. Im Moment tourt er mit seinen neuen Songs, sowie natürlich seinen grossen Hits quer durch das deutschsprachige Europa. Wir trafen ihn bei einer Verschnaufpause und unterhielten uns mit ihm.
hitparade.ch: Du hast in einem Interview aus Anlass des neuen Albums "Hier + jetzt" erzählt, dass die Entstehungsgeschichte der neuen Platte schwierig war. Wie kam es zu der Konstellation, dass Du die Lieder via Telefon einsingen musstest?
Rainhard Fendrich: Das ist nicht ganz richtig so. Die Geschichte war die: Ich trage immer ein Gedankenbuch mit mir herum, in das ich spontan meine Ideen und Texte hineinschreibe. Viele der Lieder der neuen Platte sind im Flugzeug entstanden, weil das oft "wasted time" ist. Dadurch, dass ich hauptwohnsitzlich auf Mallorca lebe, meine Freundin in Berlin lebt und ich in Deutschland und Österreich viel zu tun habe, ist das Buch ein nützlicher Platz, um Gedanken festzuhalten. Dabei ist ein Grundstock meiner neuen Kompositionen entstanden. Da wir mit der Produktion des neuen Albums ein wenig in Verzug gekommen sind und meine Bandmitglieder teilweise Hochschulprofessoren und Profimusiker sind, somit ebenfalls ihre Verpflichtungen haben, konnten wir die Songs nicht gemeinsam einspielen. Wir machten daraufhin die Not zur Tugend und haben uns übers Internet Playbacks hin und her geschickt. Auf Mallorca habe ich meine Akustik-Gitarren eingespielt und gesungen. In Graz wurden die E-Gitarren aufgenommen; in München kam das Schlagzeug dazu, in Wien Keyboards und Bass. Gemischt wurde die Geschichte dann in Bremen. Das ist zwar eine interessante Erfahrung, aber ich möchte das nicht mehr machen, weil der Spass-Faktor beim Musizieren verloren geht. Wir merken jetzt auf der Tournee erst, wie viel besser und leichter die Nummern live und gemeinsam klingen.
hitparade.ch: Das Album entstand in Zusammenarbeit mit Tato Gomez und Christian Kolonovits als langjährigen Weggefährten, aber ohne Harold Faltermeyer, mit dem Du zwei Alben produziert hast. Was sind die Hintergründe dafür? Ist bald wieder mit der Paarung Fendrich-Faltermeyer zu rechnen?
Rainhard Fendrich: Ich habe mich von Harold nicht getrennt, weil wir nicht mehr miteinander können, sondern im Gegenteil: weil wir zu gut miteinander können. Unsere Musical-Projekte, die uns sehr am Herzen liegen, haben dazu geführt, dass sich der Sound meiner Solo-Sachen und derjenige des Musicals vermischt haben, so dass sich das eine nicht mehr vom andern trennen liess. Der Produzent der neuen Platte bin ich. Da ich jedoch keine Noten kann und arrangementmässig nicht so auf der Höhe bin, war Christian Kolonovits für ein Lied zuständig. Dies aber rein zufällig, weil das ein Lied aus seiner Feder war. Die anderen Titel entstanden mit Tato Gomez als Alter Ego und mit Johnny Bertl, dem Macher von "Falco meets Amadeus" und dem langjährigen Gitarristen Ludwig Hirschs.
hitparade.ch: Auf Deinem neuen Album findet sich auch das Lied "Nimm mir einfach nur die Angst", ein Duett mit Deiner Lebenspartnerin Ina Nadine Wagler. Wer musste vor der Aufnahme wen eher überzeugen, da mitzumachen?
Rainhard Fendrich: Ich sie. Denn sie ist eine sehr stolze Frau, was ich auch sehr an ihr schätze. Sie führt ihr eigenes Leben und arbeitet als Musicaldarstellerin. Wir haben uns auf der Bühne kennen gelernt und unsere Stimmen harmonieren auch sehr gut miteinander.
Der Hintergrund des Songs ist aber noch ein anderer: Wir haben gemeinsam in einer Berliner Zeitung einen Artikel mit der Überschrift "George W. Bush plant den begrenzten Atomkrieg" gelesen. Diese Aussage zu hören nach Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl, nach diesen panzerbrechenden Munitionen, die mit Uran angereichert sind, denen nach Desert Storm ja sogar die eigenen Leute zum Opfer fielen; die Konfrontation mit diesen Umständen war Anlass für uns, einen Wunsch zu äussern, den man heute nicht mehr erfüllen kann: nämlich das angstfreie Leben. Wir hatten diesen inspirierenden Input eigentlich eher von einer gemeinsamen Ideologie her und nicht explizit, weil Ina nun meine Freundin ist.
hitparade.ch: Du hast in einer Filmdokumentation einmal gesagt, man schreibe als Künstler ein Leben lang eine Geschichte in der Hoffnung, dass sie irgendwen interessiere. Was charakterisiert Rainhard Fendrich 2006, das Interesse weckt?
Rainhard Fendrich: Für sich selber Werbung zu machen, ist immer sehr schwierig. Interessant ist, dass ich nicht mehr gewillt bin, den Soundtrack der Spass-Gesellschaft zu liefern. Es gibt für einen Liedermacher Stoff ohne Ende. Das neue Album ist mein Versuch, zu schauen, ob das Publikum wieder Texte hören will, die unbequem sind, die sich kritisch mit unserer Zeit beschäftigen.
Ich bemerke generell, dass die Tendenz zum Lied wieder da ist. Konstantin Wecker hat wieder volle Häuser, Georg Danzer bekommt wieder mehr Publikum und Klaus Hoffmann geht wieder auf Tournee. Eine Bewusstseinsveränderung zeichnet sich ab. Die Beschäftigung mit dem Zeitgeist ist ja auch bei uns allen irgendwie drin - wir sind sozusagen gleichzeitig darauf gekommen, dass wir etwas zu sagen haben. Der Erfolg meines Albums ist der Erfolg der nicht unriskanten Idee, kompromisslose Lieder zu schreiben.
hitparade.ch: Nach der Entstehung des vorletzten Albums "aufLeben" hast Du erwähnt, dass Du damals plötzlich wieder die kreative Lust verspürtest, zu musizieren, Lieder zu schreiben. Hält dieser kreative Höhenflug also auch bei der neuen Platte an?
Rainhard Fendrich: Er ist anders. Man muss sich mit jedem Album neu erfinden. Bei "aufLeben" habe ich natürlich in erster Linie mit dem Lebensgefühl der Insel Mallorca, auf der ich lebe, gespielt. Dieser mehr oder weniger kritiklosen Lebensfreude, die uns so sehr von den südländischen Völkern unterscheidet. Auf Mallorca heisst es "Mañana es mañana" - lassen wir morgen morgen sein. Dass Italien als Land überhaupt noch funktioniert mit dem Chaos, das in der Politik herrscht, hat damit zu tun, dass dieses Volk einfach lebensbejahend ist. Das hat ein Zusammengehörigkeitsgefühl, hat einen Nationalstolz, was uns irgendwie abgeht, ohne gleich chauvinistisch zu sein. Das südländische Lebensgefühl musikalisch umzusetzen, war meine Ambition bei "aufLeben". Beim jetzigen Album ist die Musik für mich das Transportmittel der Geschichten, die ich erzählen will.
hitparade.ch: Eine dieser Geschichten ist diejenige der "Piroshka", deren Lied wohl zu den eindringlichsten des Albums zählt. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Rainhard Fendrich: Das ist ein gutes Beispiel, wie Lieder aus Beobachtungen entstehen. Dadurch, dass meine Freundin in Berlin wohnt, kenne ich die Stadt natürlich sehr gut. Es gibt im Ostteil die Oranjenburgerstrasse, eine total renovierte Strasse, in welche viele Investoren teure Restaurants gesteckt haben. Es gibt dort aber auch einen Strassenstrich mit wahnsinnig attraktiven Frauen, die alle bei "Germany's Next Top Model" mitmachen könnten. Gleichzeitig habe ich eine Reportage über Schlepperbanden gesehen, die in die Ukraine fahren und hübsche Mädchen holen. Fast jede zweite Russin hat eine klassische Tanzausbildung und es ist leicht, die Frauen mit dem Versprechen, als Tänzerin arbeiten zu können, nach Europa zu holen. Am Ende tanzen sie dann aber auf dem Tisch, stehen an der Strasse und das ganze endet dann am Bahnhof Zoo, wo sie für einen Schuss arbeiten. "Piroshka" ist mittendrin eine berührende Milieuschilderung.
hitparade.ch: Das Lied "V.I.P." ist Falco gewidmet. Hast Du ganz bewusst versucht, ihn auch stimmlich ein wenig zu imitieren?
Rainhard Fendrich: Das war ein Lied, das ich eigentlich für ihn geschrieben habe. Er war damals in einer künstlerischen Krise und schrieb nur noch ernste Lieder wie "Muss ich denn sterben, um zu leben" oder "Out of the dark - into the light". Sehr jenseitsorientierte, apokalyptische Texte also. Er kam zu mir und wünschte sich, dass ich ihm ein heiteres Lied schreibe im Stile von "Schickeria". Dazu ist es wegen dieses schrecklichen Unfalls dann aber leider nicht mehr gekommen. Das Lied hat lange in der Lade gelegen.
hitparade.ch: Das neue Album wirkt auf den interessierten Hörer sehr anregend. Man hört Texte, die sich nicht plakativ verstehen lassen, sondern erst durch eine bewusste Auseinandersetzung ihre Dichte entfalten. Was antwortest Du aber einem Kritiker, der Dich nach einem Titel wie "Brüssel" als europafeindlichen Populisten beschimpft?
Rainhard Fendrich: Ein solcher Kritiker demaskiert sich ziemlich offenkundig als Dummkopf, weil er nicht sieht, dass ich einer bin, der Europa nicht kritisiert, sondern dass ich lediglich wiedergebe, wie das, was ich in Brüssel sehe, auf mich wirkt.
Ich bin kein EU-Gegner. Im Gegenteil, ich bin ein absoluter EU-Befürworter, weil ich - zum Beispiel hinsichtlich der Reisefreiheit - sehr davon profitiere. Bevor ich aber ein gemeinsames Europa mache, brauche ich eine Verfassung. Ich komme nicht erst zusammen und mache erst dann die Verfassung. So wie es auf den Zuschauer wirkt, scheint es unglaubwürdig und lächerlich: dieses Sich-Gegenseitig-Photographieren-Lassen, diese Bagelei untereinander, das Tolerieren eines Berlusconi, der wirklich in fast schon faschistischer, diktatorischer Art und Weise eine Regierung und die Medien an sich kettet. Deshalb finde ich in dem Lied zu diesem satirischen Motiv der Auster, dass eigentlich keiner wirklich daran interessiert ist, ein gemeinschaftliches Europa voranzubringen, sondern jeder sein Süppchen kocht. Mein Lied ist kein Lösungsangebot, sondern es sind Gedanken von jemandem, der vorm Fernseher sitzt und niederschreibt, was er empfindet.
hitparade.ch: Dein Privatleben ist mindestens so bekannt wie deine Musik. Wie gehst Du damit um? Inwiefern denkst Du, dass private Enthüllungen Auswirkungen auf den Erfolg haben?
Rainhard Fendrich: Eigentlich überhaupt nicht. Der Fehler, den ich mache, ist, dass ich ein sehr offenherziger Mensch bin. Es ist nicht so, dass ich mit meinem Privatleben an die Öffentlichkeit gehe nach dem Motto "Kinder, ich hab' euch was zu sagen." Meine Popularität in Österreich lockt die Klatschkolumnisten aber mittlerweile an. Ich mache dann häufig den Fehler, offen zu reden. Dann wird ein Wort auf die Briefwaage gelegt und explodiert. Die Lehre, die ich daraus gezogen habe ist: Wenn in einem Interview mit einem Journalisten meine künstlerische Tätigkeit nicht Gesprächsstoff genug bietet, dann hat einer von uns beiden den Beruf verfehlt. Deswegen werde ich das auch in Zukunft abblocken. Ich bin ein sehr leutseliger Mensch und sage auch die Wahrheit, nur halt häufig relativ undiplomatisch. Grundsätzlich zeigt das Verhalten der Journalisten aber auch das immense Interesse an meiner Person in Österreich, womit man auch umgehen muss.
hitparade.ch: Mit "I Am From Austria" hast du laut Publikumsabstimmung den größten Austropop-Hit der letzten Jahrzehnte gelandet. Spürt man bereits in der Entstehungsphase eines Titels, dass da etwas am Entstehen ist, dass die Masse begeistern wird?
Rainhard Fendrich: Nein, das spürt man nie. Das war purer Zufall.
hitparade.ch: Du hast 2002 gemeinsam mit Udo Jürgens das Duett "Ich glaube" aufgenommen. Neulich habt ihr beide bei Sony BMG neue Alben veröffentlicht. Dein Werk heisst "Hier + jetzt" - "Jetzt oder nie" dasjenige Udos…
Rainhard Fendrich: Ja, es hat auch die gleichen Farben auf dem Plattencover… (lacht)
hitparade.ch: Findet da eine akute Annäherung statt?
Rainhard Fendrich: Nein, auch das ist ein reiner Zufall. Wenn ich das Album vom Udo zuerst gesehen hätte, hätte ich meines anders gemacht. Wie ich es das erste Mal sah, dachte ich "Wahnsinn, das is' ja genau das selbe!"
hitparade.ch: Ist Udo ein Künstler, dessen Schaffen Du interessiert beobachtest?
Rainhard Fendrich: Er ist nach wie vor ein Idol für mich; ein Idol an Kraft und Konstanz. Er ist ein Zeichen, dass ich noch mindestens zwanzig Jahre erfolgreich Musik machen kann, wenn ich mich anstrenge.
hitparade.ch: Am 3. April steht Dein Konzert in Zürich auf dem Programm. Hat man inmitten einer anstrengenden Tournee noch die Gelegenheit, sich auf die jeweilige Gaststätte einzustellen?
Rainhard Fendrich: Nein, hat man leider nicht.
hitparade.ch: Hast Du aber Erinnerungen an die Schweiz oder an Zürich?
Rainhard Fendrich: Ich hab voriges Jahr zwei Wochen hier verbringen dürfen, weil ich für Österreich "Deal Or No Deal" aufgezeichnet habe. Und da hab' ich Zürich als eine Stadt höchster Lebensqualität kennen gelernt. Das war ein sehr warmer Juni und wir sind nach den Aufzeichnungen um den Zürichsee gegangen und es war traumhaft schön. Zürich ist eine Multi-Kulti-Stadt, durchaus vergleichbar mit Berlin. Es ist eine Stadt, in der ich wirklich gern leben würde, wäre ich Schweizer.
hitparade.ch: Udo ist nicht Schweizer und lebt trotzdem hier… Könntest Du Dir vorstellen, hier hin zu ziehen?
Rainhard Fendrich: Nun, wenn ich schon wo anders lebe als in Wien, dann muss das Meer in sichtbarer Nähe sein. Mein Umzug nach Mallorca war ja ein Ausbruch aus einer Stadt und Zürich ist halt auch eine Stadt und schön wie Wien. Mich hat es nun aber in den Süden gezogen und Zürich ist da noch zu mitteleuropäisch, weshalb ich dann den Ort Mallorca gewählt habe.
hitparade.ch: Wieviel Zeit bleibt Dir denn, um in Mallorca zu leben?
Rainhard Fendrich: Sehr wenig Zeit. Genausowenig, wie ich früher in Wien war. Das Leben eines Sängers ist das Leben aus dem Koffer. Ich bin meistens unterwegs.
hitparade.ch: Wie wichtig ist Dir nach über zwanzig Alben noch der Blick auf die Hitparade?
Rainhard Fendrich: Die Hitparade ist ein Barometer. Deswegen freue ich mich auch sehr, in Österreich drei Wochen Nummer 1 zu sein. Aber, es zeigt ja nicht a priori, ob die Qualität ankommt. Man könnte beispielsweise gezielt Verkaufsstrategien anwenden. Ich empfinde gute Hitparadenplatzierungen weiterhin als einen grossen Sympathiebeweis des Publikums.
hitparade.ch: Den thematischen Bogen zur aktuellen Hitparade, die wir unseren Interviewpartnern jeweils vorlegen, haben wir perfekt bewältigt. Welche der folgenden Songs kennst Du und wie gefallen sie Dir?
10. Madonna - Hung Up
Rainhard Fendrich: Die Madonna ist mit ihren bald fünfzig Jahren ein unglaubliches Energiebündel.
US5… Simple Plan… Ch!pz… Chris Brown… Mattafix… Bob Sinclar… Kenne ich leider alles nicht.
1. Eros Ramazzotti & Anastacia
Rainhard Fendrich: Den Eros kenne ich natürlich. Das ist Nummer 1? Ich finde es rein von der Komposition her ein schwaches Lied, das ganz vom Charisma der zwei Stimmen lebt. Ich hab' ihren Auftritt bei "Wetten dass..?" gesehen. So ein Lied kann natürlich nur mit zwei so starken Stimmen funktionieren. Eros hat eine derart unverwechselbare Grundenergie. Das Lied an sich ist eine reine Koketterie. Wenn das irgendjemand anders singt, ist es nicht gut.
hitparade.ch: Bei hitparade.ch besteht die Möglichkeit Deine Songs zu bewerten. Was denkst Du, welcher Song in der Gunst der Surfer am besten abschneidet?
Rainhard Fendrich: Keine Ahnung. Das kann man als Künstler schwer einschätzen.
hitparade.ch: Es sind "Weus'd a Herz hast wia a Bergwerk" und "Engel".
Rainhard Fendrich: Das freut mich sehr. Das "Bergwerk" ist mittlerweile über 20 Jahre alt. Und "Engel" ist ein ganz neuer Titel von mir. Wenn ein neues Lied in unserer Zeit so bewertet wird, ist das ein grosses Kompliment. Dankeschön!
hitparade.ch: Wir danken Dir für das Gespräch und wünschen Dir viel Erfolg für die Tournee!
hitparade.ch: Du hast in einem Interview aus Anlass des neuen Albums "Hier + jetzt" erzählt, dass die Entstehungsgeschichte der neuen Platte schwierig war. Wie kam es zu der Konstellation, dass Du die Lieder via Telefon einsingen musstest?
Rainhard Fendrich: Das ist nicht ganz richtig so. Die Geschichte war die: Ich trage immer ein Gedankenbuch mit mir herum, in das ich spontan meine Ideen und Texte hineinschreibe. Viele der Lieder der neuen Platte sind im Flugzeug entstanden, weil das oft "wasted time" ist. Dadurch, dass ich hauptwohnsitzlich auf Mallorca lebe, meine Freundin in Berlin lebt und ich in Deutschland und Österreich viel zu tun habe, ist das Buch ein nützlicher Platz, um Gedanken festzuhalten. Dabei ist ein Grundstock meiner neuen Kompositionen entstanden. Da wir mit der Produktion des neuen Albums ein wenig in Verzug gekommen sind und meine Bandmitglieder teilweise Hochschulprofessoren und Profimusiker sind, somit ebenfalls ihre Verpflichtungen haben, konnten wir die Songs nicht gemeinsam einspielen. Wir machten daraufhin die Not zur Tugend und haben uns übers Internet Playbacks hin und her geschickt. Auf Mallorca habe ich meine Akustik-Gitarren eingespielt und gesungen. In Graz wurden die E-Gitarren aufgenommen; in München kam das Schlagzeug dazu, in Wien Keyboards und Bass. Gemischt wurde die Geschichte dann in Bremen. Das ist zwar eine interessante Erfahrung, aber ich möchte das nicht mehr machen, weil der Spass-Faktor beim Musizieren verloren geht. Wir merken jetzt auf der Tournee erst, wie viel besser und leichter die Nummern live und gemeinsam klingen.
hitparade.ch: Das Album entstand in Zusammenarbeit mit Tato Gomez und Christian Kolonovits als langjährigen Weggefährten, aber ohne Harold Faltermeyer, mit dem Du zwei Alben produziert hast. Was sind die Hintergründe dafür? Ist bald wieder mit der Paarung Fendrich-Faltermeyer zu rechnen?
Rainhard Fendrich: Ich habe mich von Harold nicht getrennt, weil wir nicht mehr miteinander können, sondern im Gegenteil: weil wir zu gut miteinander können. Unsere Musical-Projekte, die uns sehr am Herzen liegen, haben dazu geführt, dass sich der Sound meiner Solo-Sachen und derjenige des Musicals vermischt haben, so dass sich das eine nicht mehr vom andern trennen liess. Der Produzent der neuen Platte bin ich. Da ich jedoch keine Noten kann und arrangementmässig nicht so auf der Höhe bin, war Christian Kolonovits für ein Lied zuständig. Dies aber rein zufällig, weil das ein Lied aus seiner Feder war. Die anderen Titel entstanden mit Tato Gomez als Alter Ego und mit Johnny Bertl, dem Macher von "Falco meets Amadeus" und dem langjährigen Gitarristen Ludwig Hirschs.
hitparade.ch: Auf Deinem neuen Album findet sich auch das Lied "Nimm mir einfach nur die Angst", ein Duett mit Deiner Lebenspartnerin Ina Nadine Wagler. Wer musste vor der Aufnahme wen eher überzeugen, da mitzumachen?
Rainhard Fendrich: Ich sie. Denn sie ist eine sehr stolze Frau, was ich auch sehr an ihr schätze. Sie führt ihr eigenes Leben und arbeitet als Musicaldarstellerin. Wir haben uns auf der Bühne kennen gelernt und unsere Stimmen harmonieren auch sehr gut miteinander.
Der Hintergrund des Songs ist aber noch ein anderer: Wir haben gemeinsam in einer Berliner Zeitung einen Artikel mit der Überschrift "George W. Bush plant den begrenzten Atomkrieg" gelesen. Diese Aussage zu hören nach Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl, nach diesen panzerbrechenden Munitionen, die mit Uran angereichert sind, denen nach Desert Storm ja sogar die eigenen Leute zum Opfer fielen; die Konfrontation mit diesen Umständen war Anlass für uns, einen Wunsch zu äussern, den man heute nicht mehr erfüllen kann: nämlich das angstfreie Leben. Wir hatten diesen inspirierenden Input eigentlich eher von einer gemeinsamen Ideologie her und nicht explizit, weil Ina nun meine Freundin ist.
hitparade.ch: Du hast in einer Filmdokumentation einmal gesagt, man schreibe als Künstler ein Leben lang eine Geschichte in der Hoffnung, dass sie irgendwen interessiere. Was charakterisiert Rainhard Fendrich 2006, das Interesse weckt?
Rainhard Fendrich: Für sich selber Werbung zu machen, ist immer sehr schwierig. Interessant ist, dass ich nicht mehr gewillt bin, den Soundtrack der Spass-Gesellschaft zu liefern. Es gibt für einen Liedermacher Stoff ohne Ende. Das neue Album ist mein Versuch, zu schauen, ob das Publikum wieder Texte hören will, die unbequem sind, die sich kritisch mit unserer Zeit beschäftigen.
Ich bemerke generell, dass die Tendenz zum Lied wieder da ist. Konstantin Wecker hat wieder volle Häuser, Georg Danzer bekommt wieder mehr Publikum und Klaus Hoffmann geht wieder auf Tournee. Eine Bewusstseinsveränderung zeichnet sich ab. Die Beschäftigung mit dem Zeitgeist ist ja auch bei uns allen irgendwie drin - wir sind sozusagen gleichzeitig darauf gekommen, dass wir etwas zu sagen haben. Der Erfolg meines Albums ist der Erfolg der nicht unriskanten Idee, kompromisslose Lieder zu schreiben.
hitparade.ch: Nach der Entstehung des vorletzten Albums "aufLeben" hast Du erwähnt, dass Du damals plötzlich wieder die kreative Lust verspürtest, zu musizieren, Lieder zu schreiben. Hält dieser kreative Höhenflug also auch bei der neuen Platte an?
Rainhard Fendrich: Er ist anders. Man muss sich mit jedem Album neu erfinden. Bei "aufLeben" habe ich natürlich in erster Linie mit dem Lebensgefühl der Insel Mallorca, auf der ich lebe, gespielt. Dieser mehr oder weniger kritiklosen Lebensfreude, die uns so sehr von den südländischen Völkern unterscheidet. Auf Mallorca heisst es "Mañana es mañana" - lassen wir morgen morgen sein. Dass Italien als Land überhaupt noch funktioniert mit dem Chaos, das in der Politik herrscht, hat damit zu tun, dass dieses Volk einfach lebensbejahend ist. Das hat ein Zusammengehörigkeitsgefühl, hat einen Nationalstolz, was uns irgendwie abgeht, ohne gleich chauvinistisch zu sein. Das südländische Lebensgefühl musikalisch umzusetzen, war meine Ambition bei "aufLeben". Beim jetzigen Album ist die Musik für mich das Transportmittel der Geschichten, die ich erzählen will.
hitparade.ch: Eine dieser Geschichten ist diejenige der "Piroshka", deren Lied wohl zu den eindringlichsten des Albums zählt. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Rainhard Fendrich: Das ist ein gutes Beispiel, wie Lieder aus Beobachtungen entstehen. Dadurch, dass meine Freundin in Berlin wohnt, kenne ich die Stadt natürlich sehr gut. Es gibt im Ostteil die Oranjenburgerstrasse, eine total renovierte Strasse, in welche viele Investoren teure Restaurants gesteckt haben. Es gibt dort aber auch einen Strassenstrich mit wahnsinnig attraktiven Frauen, die alle bei "Germany's Next Top Model" mitmachen könnten. Gleichzeitig habe ich eine Reportage über Schlepperbanden gesehen, die in die Ukraine fahren und hübsche Mädchen holen. Fast jede zweite Russin hat eine klassische Tanzausbildung und es ist leicht, die Frauen mit dem Versprechen, als Tänzerin arbeiten zu können, nach Europa zu holen. Am Ende tanzen sie dann aber auf dem Tisch, stehen an der Strasse und das ganze endet dann am Bahnhof Zoo, wo sie für einen Schuss arbeiten. "Piroshka" ist mittendrin eine berührende Milieuschilderung.
hitparade.ch: Das Lied "V.I.P." ist Falco gewidmet. Hast Du ganz bewusst versucht, ihn auch stimmlich ein wenig zu imitieren?
Rainhard Fendrich: Das war ein Lied, das ich eigentlich für ihn geschrieben habe. Er war damals in einer künstlerischen Krise und schrieb nur noch ernste Lieder wie "Muss ich denn sterben, um zu leben" oder "Out of the dark - into the light". Sehr jenseitsorientierte, apokalyptische Texte also. Er kam zu mir und wünschte sich, dass ich ihm ein heiteres Lied schreibe im Stile von "Schickeria". Dazu ist es wegen dieses schrecklichen Unfalls dann aber leider nicht mehr gekommen. Das Lied hat lange in der Lade gelegen.
hitparade.ch: Das neue Album wirkt auf den interessierten Hörer sehr anregend. Man hört Texte, die sich nicht plakativ verstehen lassen, sondern erst durch eine bewusste Auseinandersetzung ihre Dichte entfalten. Was antwortest Du aber einem Kritiker, der Dich nach einem Titel wie "Brüssel" als europafeindlichen Populisten beschimpft?
Rainhard Fendrich: Ein solcher Kritiker demaskiert sich ziemlich offenkundig als Dummkopf, weil er nicht sieht, dass ich einer bin, der Europa nicht kritisiert, sondern dass ich lediglich wiedergebe, wie das, was ich in Brüssel sehe, auf mich wirkt.
Ich bin kein EU-Gegner. Im Gegenteil, ich bin ein absoluter EU-Befürworter, weil ich - zum Beispiel hinsichtlich der Reisefreiheit - sehr davon profitiere. Bevor ich aber ein gemeinsames Europa mache, brauche ich eine Verfassung. Ich komme nicht erst zusammen und mache erst dann die Verfassung. So wie es auf den Zuschauer wirkt, scheint es unglaubwürdig und lächerlich: dieses Sich-Gegenseitig-Photographieren-Lassen, diese Bagelei untereinander, das Tolerieren eines Berlusconi, der wirklich in fast schon faschistischer, diktatorischer Art und Weise eine Regierung und die Medien an sich kettet. Deshalb finde ich in dem Lied zu diesem satirischen Motiv der Auster, dass eigentlich keiner wirklich daran interessiert ist, ein gemeinschaftliches Europa voranzubringen, sondern jeder sein Süppchen kocht. Mein Lied ist kein Lösungsangebot, sondern es sind Gedanken von jemandem, der vorm Fernseher sitzt und niederschreibt, was er empfindet.
hitparade.ch: Dein Privatleben ist mindestens so bekannt wie deine Musik. Wie gehst Du damit um? Inwiefern denkst Du, dass private Enthüllungen Auswirkungen auf den Erfolg haben?
Rainhard Fendrich: Eigentlich überhaupt nicht. Der Fehler, den ich mache, ist, dass ich ein sehr offenherziger Mensch bin. Es ist nicht so, dass ich mit meinem Privatleben an die Öffentlichkeit gehe nach dem Motto "Kinder, ich hab' euch was zu sagen." Meine Popularität in Österreich lockt die Klatschkolumnisten aber mittlerweile an. Ich mache dann häufig den Fehler, offen zu reden. Dann wird ein Wort auf die Briefwaage gelegt und explodiert. Die Lehre, die ich daraus gezogen habe ist: Wenn in einem Interview mit einem Journalisten meine künstlerische Tätigkeit nicht Gesprächsstoff genug bietet, dann hat einer von uns beiden den Beruf verfehlt. Deswegen werde ich das auch in Zukunft abblocken. Ich bin ein sehr leutseliger Mensch und sage auch die Wahrheit, nur halt häufig relativ undiplomatisch. Grundsätzlich zeigt das Verhalten der Journalisten aber auch das immense Interesse an meiner Person in Österreich, womit man auch umgehen muss.
hitparade.ch: Mit "I Am From Austria" hast du laut Publikumsabstimmung den größten Austropop-Hit der letzten Jahrzehnte gelandet. Spürt man bereits in der Entstehungsphase eines Titels, dass da etwas am Entstehen ist, dass die Masse begeistern wird?
Rainhard Fendrich: Nein, das spürt man nie. Das war purer Zufall.
hitparade.ch: Du hast 2002 gemeinsam mit Udo Jürgens das Duett "Ich glaube" aufgenommen. Neulich habt ihr beide bei Sony BMG neue Alben veröffentlicht. Dein Werk heisst "Hier + jetzt" - "Jetzt oder nie" dasjenige Udos…
Rainhard Fendrich: Ja, es hat auch die gleichen Farben auf dem Plattencover… (lacht)
hitparade.ch: Findet da eine akute Annäherung statt?
Rainhard Fendrich: Nein, auch das ist ein reiner Zufall. Wenn ich das Album vom Udo zuerst gesehen hätte, hätte ich meines anders gemacht. Wie ich es das erste Mal sah, dachte ich "Wahnsinn, das is' ja genau das selbe!"
hitparade.ch: Ist Udo ein Künstler, dessen Schaffen Du interessiert beobachtest?
Rainhard Fendrich: Er ist nach wie vor ein Idol für mich; ein Idol an Kraft und Konstanz. Er ist ein Zeichen, dass ich noch mindestens zwanzig Jahre erfolgreich Musik machen kann, wenn ich mich anstrenge.
hitparade.ch: Am 3. April steht Dein Konzert in Zürich auf dem Programm. Hat man inmitten einer anstrengenden Tournee noch die Gelegenheit, sich auf die jeweilige Gaststätte einzustellen?
Rainhard Fendrich: Nein, hat man leider nicht.
hitparade.ch: Hast Du aber Erinnerungen an die Schweiz oder an Zürich?
Rainhard Fendrich: Ich hab voriges Jahr zwei Wochen hier verbringen dürfen, weil ich für Österreich "Deal Or No Deal" aufgezeichnet habe. Und da hab' ich Zürich als eine Stadt höchster Lebensqualität kennen gelernt. Das war ein sehr warmer Juni und wir sind nach den Aufzeichnungen um den Zürichsee gegangen und es war traumhaft schön. Zürich ist eine Multi-Kulti-Stadt, durchaus vergleichbar mit Berlin. Es ist eine Stadt, in der ich wirklich gern leben würde, wäre ich Schweizer.
hitparade.ch: Udo ist nicht Schweizer und lebt trotzdem hier… Könntest Du Dir vorstellen, hier hin zu ziehen?
Rainhard Fendrich: Nun, wenn ich schon wo anders lebe als in Wien, dann muss das Meer in sichtbarer Nähe sein. Mein Umzug nach Mallorca war ja ein Ausbruch aus einer Stadt und Zürich ist halt auch eine Stadt und schön wie Wien. Mich hat es nun aber in den Süden gezogen und Zürich ist da noch zu mitteleuropäisch, weshalb ich dann den Ort Mallorca gewählt habe.
hitparade.ch: Wieviel Zeit bleibt Dir denn, um in Mallorca zu leben?
Rainhard Fendrich: Sehr wenig Zeit. Genausowenig, wie ich früher in Wien war. Das Leben eines Sängers ist das Leben aus dem Koffer. Ich bin meistens unterwegs.
hitparade.ch: Wie wichtig ist Dir nach über zwanzig Alben noch der Blick auf die Hitparade?
Rainhard Fendrich: Die Hitparade ist ein Barometer. Deswegen freue ich mich auch sehr, in Österreich drei Wochen Nummer 1 zu sein. Aber, es zeigt ja nicht a priori, ob die Qualität ankommt. Man könnte beispielsweise gezielt Verkaufsstrategien anwenden. Ich empfinde gute Hitparadenplatzierungen weiterhin als einen grossen Sympathiebeweis des Publikums.
hitparade.ch: Den thematischen Bogen zur aktuellen Hitparade, die wir unseren Interviewpartnern jeweils vorlegen, haben wir perfekt bewältigt. Welche der folgenden Songs kennst Du und wie gefallen sie Dir?
10. Madonna - Hung Up
Rainhard Fendrich: Die Madonna ist mit ihren bald fünfzig Jahren ein unglaubliches Energiebündel.
US5… Simple Plan… Ch!pz… Chris Brown… Mattafix… Bob Sinclar… Kenne ich leider alles nicht.
1. Eros Ramazzotti & Anastacia
Rainhard Fendrich: Den Eros kenne ich natürlich. Das ist Nummer 1? Ich finde es rein von der Komposition her ein schwaches Lied, das ganz vom Charisma der zwei Stimmen lebt. Ich hab' ihren Auftritt bei "Wetten dass..?" gesehen. So ein Lied kann natürlich nur mit zwei so starken Stimmen funktionieren. Eros hat eine derart unverwechselbare Grundenergie. Das Lied an sich ist eine reine Koketterie. Wenn das irgendjemand anders singt, ist es nicht gut.
hitparade.ch: Bei hitparade.ch besteht die Möglichkeit Deine Songs zu bewerten. Was denkst Du, welcher Song in der Gunst der Surfer am besten abschneidet?
Rainhard Fendrich: Keine Ahnung. Das kann man als Künstler schwer einschätzen.
hitparade.ch: Es sind "Weus'd a Herz hast wia a Bergwerk" und "Engel".
Rainhard Fendrich: Das freut mich sehr. Das "Bergwerk" ist mittlerweile über 20 Jahre alt. Und "Engel" ist ein ganz neuer Titel von mir. Wenn ein neues Lied in unserer Zeit so bewertet wird, ist das ein grosses Kompliment. Dankeschön!
hitparade.ch: Wir danken Dir für das Gespräch und wünschen Dir viel Erfolg für die Tournee!
März 2006