Interview mit Ritschi"Es fühlt sich super an, wie schon lange nicht mehr!"
08.03.2019
hitparade.ch: Dein neues Album "Patina" erscheint pünktlich zu Deinem 40. Geburtstag, zum 20-jährigen Bühnen-Jubiläum und zum 10-jährigen Solo-Jubiläum. Ist das Album bewusst so konzipiert worden, dass es zu diesen Jubiläen passt, oder hast Du den Zufall genutzt?
Ritschi: Ich habe den Zufall genutzt. Es war einfach klar, dass im Jahr 2019 ein Album erscheinen soll. Und erst, als es darum ging, den Album-Titel zu wählen, wurde mir klar, was da alles zusammenkommt. "Umami" war auch im Rennen - aber aufgrund der Daten erwies sich "Patina" als sehr viel passender. Er passt zudem perfekt zum Album und bildet einen roten Faden.hitparade.ch: Welche Träume hattest Du vor 20 Jahren beim Start Deiner Karriere? Welche Wünsche haben sich erfüllt, welche nicht?
Ritschi: Als wir vor 20 Jahren unsere erste Band gegründet haben und das erste Mal auf diversen Bühnen gestanden sind, da habe ich stets davon geträumt, einmal als Vorgruppe einer berühmten Band auftreten zu können. Das war immer mein Traum. Bali, unser ehemaliger Plüsch-Drummer, sagte später in einem Interview, er habe immer davon geträumt, einmal bei Phil Collins Schlagzeug spielen zu dürfen. Dann blickte er in die Kamera und sagte: "Phil, i bruche Di im Fall nümme" (lacht). Damals wurde mir bewusst: "Krass, wir brauchen eigentlich gar nicht mehr Vorgruppe zu sein, wir sind selbst die grosse Band geworden." Das ist mir ziemlich eingefahren.hitparade.ch: Ihr wart nie eine Vorgruppe?
Ritschi: Nicht so richtig. Wir waren einmal am SnowpenAir, wo auch Deep Purple gespielt hat. Oder am Gurtenfestival zwischen Travis und Kings of Leon. Aber das ist ja nicht wirklich als Vorgruppe zu werten.hitparade.ch: Gibt es Dinge im Musikbusiness, die Du Dir anders vorgestellt hättest?
Ritschi: Man kann es sich nicht vorstellen, was es wirklich bedeutet. Von meinen Vorstellungen hat sich nichts erfüllt, ausser, dass mich die Leute auf der Strasse erkennen. Aber sonst fühlt sich das nicht anders an, als wenn Du Schreiner bist. Man hat immer das Gefühl, berühmt zu sein sei total cool. Aber im Endeffekt ist es genau das Gleiche, wie wenn man Dich als Schreiner im Dorf kennt. Mich kennt man halt als Musiker. Viel mehr ist es nicht. Dass ich seit 17 Jahren meine Leidenschaft leben kann, ist natürlich grossartig. Ein Privileg!hitparade.ch: Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du Dir heute die Musik anhörst, die Du vor 20 Jahren gemacht hast?
Ritschi: Das erste Plüsch-Album ist natürlich voller Erinnerungen. Dazu hat wohl jeder eine Assoziation. Das war riesig damals! Für mich ist dieses Album der Inbegriff einer tollen Zeit. Damals war alles neu, man lernte viele Leute kennen, trat zum ersten Mal im Fernsehen auf, durfte zum ersten Mal ins Studio mit einem Produzenten, man wurde zu Apéros eingeladen und durfte in die Loge des Stade de Suisse… es war eine unglaubliche Zeit! Jeden Tag passierten aufregende Dinge. Wenn ich die damalige Musik höre, läuft bei mir dieser Film ab. Und ich spüre, dass mir nichts peinlich ist, was ich damals gemacht habe.hitparade.ch: Dennoch: Nervt es Dich, dass Du, obwohl Du seit zehn Jahren solo unterwegs bist, in den Medien nach wie vor häufig als "ehemaliger Frontmann von Plüsch" bezeichnet wirst?
Ritschi: Es nervt nicht. Es nervt höchstens dann, wenn es nicht mehr aufhört. Wenn ich zum Beispiel extra von Interlaken nach Zürich an einen Medientermin fahre, und dann redet man eine Stunde lang nur über Plüsch, dann ist es schon nicht so cool. Aber nicht, weil ich ein Problem mit Plüsch habe, sondern weil ich dann merke, dass man sich nicht für mein jetziges Schaffen interessiert. Ich sehe es aber grundsätzlich als Kompliment, dass man diese Band nicht vergisst.hitparade.ch: Also, wir reden jetzt über das neue Album! Auf YouTube lesen bekannte Persönlichkeiten wie DJ Antoine oder Marc Amacher die Songtexte von "Patina" vor. Wie kamst Du auf diese Idee?
Ritschi: Ich wollte unbedingt, dass die Leute merken, dass ich mir grosse Mühe gebe bei den Texten. Oft konzentriert man sich zu wenig auf die Songtexte, dabei sind die genauso wichtig wie die Musik. Ich habe lange überlegt, wie ich den Fokus darauf lenken kann. Erst wollte ich selbst die Texte lesen. Dann wurde mir jedoch bewusst, dass das nicht funktionieren wird - dann kann ich sie ja genauso gut singen. Und als ich eines Tages durch mein Handy gescrollt habe, fiel mir auf, dass ich extrem viele Leute kenne. Als Erstes fragte ich Marco Rima. Er fand das super und bestärkte mich in meinem Vorhaben. Er liest den Text zu "Patina", was ja auch zu ihm selbst passt. Im Gegensatz zu mir hatte er ja wirklich einmal ein Sixpack (lacht). Und so habe ich immer mehr Leute angefragt und es ist der Hammer, wie sie alle mitgemacht haben. Ob Sportler, Musiker oder Politiker! Und es sind nicht die üblichen Verdächtigen, sondern es ist ein illustrer Kreis an spannenden Persönlichkeiten. Sogar Adolf Ogi hat mir ein Video zugesagt. Ich bin gespannt, ob er es wirklich macht.hitparade.ch: "I blibe drann" bezeichnest Du als der persönlichste Song. Kämpfst Du ab und zu mit Selbstzweifeln?
Ritschi: Ich denke, Selbstzweifel kennt jeder. Ich bin einfach so ehrlich, und gebe es zu. Es ist nicht so, dass mich Selbstzweifel übermannen. Das kommt vielleicht im Song so herüber, aber das liegt daran, dass ich die Gefühle in der Musik jeweils verstärke. Wenn dieser Song für mich steht, dann wäre es das Ich vor vier Jahren, als ich wirklich gezweifelt habe. Die Zweifel habe ich über Bord geworfen. Aber das Gefühl, allen anderen gelingt alles, nur mir nicht, kommt immer wieder einmal auf. Das hat auch mit dieser Scheinwelt in den Sozialen Medien zu tun. Da postet ja niemand: "Mein Konzert läuft nicht, kommt doch bitte vorbei". Nein, da postet man das Bild von der Ecke des Publikums, wo es am vollsten aussieht, und schreibt dazu, wie toll die Stimmung war.hitparade.ch: In "Höcher u verrückter" sprichst Du genau dieses Thema an.
Ritschi: Ja. Reichweite ist die neue Währung. Was das angeht, bin ich im Vergleich zu anderen mausarm. Das ist aber nicht schlimm. Es gibt viele Leute, die das schlimm finden, und dann wirds gefährlich. Das ist eine Scheinwelt, in der man das Gefühl hat, allen anderen läufts immer rund! Kein Wunder, man postet ja nur die tollen Dinge, weil man Anerkennung sucht.hitparade.ch: Gehen Dir Influencer auf die Nerven?
Ritschi: Es gibt Leute, die nerven damit wirklich. Es gibt aber auch welche, die grossartig sind. Es ist wie eine neue Kunstform. Neben Musik, Schauspielerei oder Malerei gibts jetzt auch Social-Media-Künstler. Influencer ist einfach ein schreckliches Wort. Mich beeindrucken eher Leute, die schlaue Dinge tun. Wenn ich beispielsweise eine handwerkliche Arbeit machen möchte, dann gehe ich auf YouTube und schaue mir an, wie andere das machen. Mühe habe ich mit jenen, die durch die Gegend spazieren und sich selbst feiern. Oder auch die, die gefährlichen Scheiss machen, nur um viral zu gehen, kann ich nicht ausstehen. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu alt für diesen Kram (lacht).hitparade.ch: Du sprichst aber auch das Problem an, dass die Leute sich über die Anzahl Likes definieren…
Wie hat Social Media die Schweizer Musikszene beeinflusst?
Die Schweizer Musikszene ist so vielfältig wie noch nie. Und das liegt daran, dass Künstler, die früher nie einen Plattendeal gekriegt hätten, durch die neuen Plattformen eine Chance bekommen, sich zu zeigen. Und das finde ich super an dieser Entwicklung. Was ich weniger toll finde ist die Tatsache, dass die Leute immer mehr glauben, Musik sei ein Allgemeingut, für das man nichts bezahlen muss. Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile. Zu meiner Zeit hat ein Major-Label darüber entschieden, ob Musik gut oder schlecht ist. Heute entscheidet das Publikum und die Reichweite.Wie hat Social Media die Schweizer Musikszene beeinflusst?
hitparade.ch: Der Song "Umami" zeigt, dass Du noch viel vorhast. Denkst Du, man kann Umami je erreichen?
Ritschi: Kürzlich sagte ein Journalist zu mir, das "mi" in "Umami" bedeute "Essenz". Und das passt gut zu diesem Song. Es geht um die Essenz des Lebens. Es geht um das Streben nach dem Ganzen. Dass man sich nicht mit süss, sauer oder salzig zufrieden gibt. Dass man sich nicht immer nur dem Alltagstrott widmet, sondern immer nach neuen Herausforderungen sucht. Ich denke, wenn man bereit ist loszulassen und sich Neuem zu widmen, dann hat man Umami erreicht. Nur wer loslässt, hat die Hände frei für Neues.hitparade.ch: In "Patina" nimmst Du Dein eigenes Älterwerden aufs Korn. Wärst Du denn eigentlich gerne nochmals 20?
Ritschi: Es kommt darauf an. Wenn es bedeutet, dass ich alles, was ich jetzt habe, aufgeben müsste, um nochmals 20 sein zu können, dann kann ich diese Frage klar mit Nein beantworten. Wenn ich jedoch einfach zurück in den Körper meines 20-jährigen Ichs könnte, dann würde ich dazu nicht Nein sagen (lacht). Ausser, dass ich übel Akne hatte damals, die möchte ich nicht zurück. 40 zu sein, hat auch Vorteile! Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, die mir beim Songwriting nützen und die mir die Angst nehmen in Situationen, in denen ich vor zehn Jahren noch eine Krise bekommen hätte. Mit 20 war ich nicht so selbstsicher. Heute vertraue ich auf meine Fähigkeiten. Das ist doch viel besser! Zurzeit habe ich einen Lauf, es fühlt sich so super an, wie schon lange nicht mehr.hitparade.ch: Demnächst startet Deine Tournee. Tourstart ist in der Mühle Hunziken in Rubigen. Was verbindet Dich mit der Location?
Ritschi: Ich hatte schon zahlreiche, tolle Auftritte in der Mühli. Normalerweise war sie der Abschluss der Tour. Diese Location hat extrem viel Charme und ist ein Garant, dass es Leute hat. Und das ist am Anfang einer Tour wichtig. Es hat tatsächlich nur noch wenige Tickets. Das ist ein super Gefühl, um zu starten!10 Blitz-Fragen zu 20 Jahre Ritschi:
1. Dein schlimmstes Konzert?
Rondo Pontresina. Vor mir trat eine HipHop-Band auf, nach mir Stress. Für mich interessierten sich die Leute logischerweise nicht. Die standen sogar mit dem Rücken zu uns. Nur eine kurze BeatBox-Session half, ein wenig Aufmerksamkeit zu kriegen, aber das war alles. Das ist mir zum Glück nie wieder passiert.
2. Dein schönster Moment?
Der schönste Moment in meiner Karriere ever war, als ich als Headliner am Sonntag auf der Hauptbühne am Gurtenfestival spielen durfte. Das war magisch. 14'000 Leute standen dicht gedrängt vor der Bühne. Ich bin ins Publikum gegangen, die haben mir Platz gemacht wie Moses bei der Meerteilung und so bin ich bis in die hintersten Reihen gelangt und wieder zurück. Das hat mich überwältigt. Das haben alle gespürt.
3. Nach welchem Konzert hattest Du den gemeinsten Kater?
Ich hatte noch nie einen Kater. Ich trinke keinen Alkohol. Früher hatte ich ab und zu eine Art Kater, als die Leute an den Konzerten noch rauchen durften. Das habe ich jeweils am nächsten Tag gemerkt. Am schlimmsten war das im Anker in Interlaken. Ich bin froh, dass das heute anders ist in geschlossenen Räumen.
4. Dein nervösester Moment?
Das war auch beim erwähnten Gurtenfestival. Dort bin ich fast ohnmächtig geworden und habe hyperventiliert. Diese Menschenmasse zu sehen, die für mich da ist, war krass. Diese Energie war krass.
5. Deine coolste Zusammenarbeit?
Thomas Fessler. Ist mein Mentor und inzwischen ein guter Freund. Songs zu schreiben habe ich mit Plüsch gelernt, aber auch von ihm.
6. Deine beste Entscheidung?
Die beste Entscheidung habe ich 2014 gefällt, als ich mich dazu entschlossen habe, weiter als Musiker zu arbeiten. Das habe ich nie bereut.
7. Der schlechteste Karriereschritt?
Die Entscheidung, "Öpfuboum u Palme" als erste Single meines ersten Solo-Albums herauszubringen, war nicht so gelungen. Danach musste ich gegen das Image ankämpfen, Kindermusik zu machen. Der Song ist mir jedoch wichtig, ich habe ihn für meinen Sohn geschrieben.
8. Dein aufwändigster Gig?
Christmas-Sessions in Basel. Da habe ich Marco Kunz, Marco Rima und Adrian Stern als Gastmusiker eingeladen und das war ein ziemlicher Aufwand, auch in der Vorbereitung. Es war aber dementsprechend auch ein wunderschönes Konzert.
9. Dein grösster Erfolg?
"Heimweh". Das ist wohl unumstritten. Mein persönlich grösster Erfolg ist, dass ich nach 20 Jahren noch immer als Musiker arbeiten kann. Aber der faktisch grösste Erfolg ist ganz klar "Heimweh".
10. Deine grösste Inspiration?
Mein Kumpel Chrigu. Ich bin seit 23 Jahren in einer Beziehung, schreibe aber immer wieder Songs über Singles, Liebeskummer und vieles mehr. Durch Chrigu erlebe ich diese Themen, die ich selbst nicht in meinen Leben habe (lacht). Er versorgt mich immer wieder mit Insider-Details.
Interview durchgeführt:
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Redaktion:
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
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