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Interview mit Schandmaul





Schandmaul - die wohl bekannteste Mittelalter-Folk-Rock-Live-Band im deutschsprachingen Raum - sind im Zürcher Volkshaus aufgetreten. Wir haben Birgit und Matthias vor dem Konzert zu einem Interview getroffen.

hitparade.ch: Wie habt ihr eure Liebe zur Folk-Rock-Musik und zur Mittelaltermusik entdeckt?
Birgit: Es gab im Endeffekt keinen Plan oder eine Idee. Der Schandmaul-Stil ist eigentlich ein Zufallsprodukt. Es haben sich verschiedene Musiker zusammen getan, zunächst erstmal nur für ein Projekt oder nur ein Konzert. Jeder Musiker hat einen bestimmten Hintergrund mitgebracht. Einer kam aus der Klassik, ein anderer aus dem Folkbereich, der nächste aus dem Deutschrock. Aus diesen ganzen Einflüssen hat sich dann dieser Stil ergeben. Es gab also keinen Plan nach dem Motto "man macht jetzt eine Mittelalter-Folkgruppe".

hitparade.ch: Hat sich das mit den Dudelsäcken und Schalmeien dann erst entwickelt oder habt ihr das vorher schon gespielt?
Birgit: Bei mir war es so, dass ich schon vorher Mittelaltermärkte oder Bankette mit diversen Partnern gespielt habe und ich habe dann diese Instrumente mitgebracht.

hitparade.ch: Welchen Einfluss hat diese Liebe auf euer Leben auch abseits der Musik?
Matthias: Das kann ich ganz gut beantworten, denn anders als die Birgit bin ich nicht von Anfang an mit dabei. Ich bin jetzt seit 6 ½ Jahren dabei und, da kann ich nur für mich sprechen, es hat mein Leben komplett über den Zaun geworfen. Natürlich nicht negativ gemeint, ich wollte schon immer auch Musik machen. Aber wie unser Leben sich entwickelt hat und wie es heute ist, wie wir heute hier sitzen, sowas kann man sich vorher nicht vorstellen und das verändert das Leben schon auf verschiedene Art und Weise.
Birgit: Vielleicht sollte man dazu auch noch sagen, dass es von Anfang an auch nicht geplant war Profimusiker zu werden. Die meisten von uns haben ganz normale Berufe gelernt. Der letzte hat soweit ich mich erinnere erst 2005 mit seinem bürgerlichen Beruf aufgehört. Bis dahin haben wir noch Berufe gehabt, da lief es noch so: Montag bis Donnerstag Büro, Freitag bis Sonntag Konzert. Wir sind jetzt natürlich froh, dass wir ausschließlich von der Musik leben können. Das hat unser Leben natürlich komplett verändert.

hitparade.ch: Wo bezieht ihr eure Instrumente? Macht ihr die selber wie Corvus Corax oder andere Mittelalter-Folk Bands?
Matthias: Ich habe meine zwei Bässe von einem deutschen Bass-Bauer. Eine Gitarre oder ein Schlagzeug baut man sich nicht eben mal selber. Solche Sachen kauft man sich einfach.
Birgit: Wir haben unsere Instrumentenbauer, von denen wir die Instrumente beziehen. Da gibt es nicht so viele in Deutschland. Ich habe jetzt drei Dudelsackbauer, mit denen ich gerne zusammen arbeite. Und die Anna hat einen Drehleierbauer, mit dem sie gern zusammen arbeitet. Wir müssen eben sehr langfristig planen, weil wir mindestens ein Jahr auf die Instrumente warten, wenn wir sie bestellt haben. Man muss schon sehr im Voraus wissen, was man geändert haben möchte oder worum man sein Repertoire erweitern möchte. Es dauert eben etwas.
Matthias: Da muss man zu den Mädels noch dazusagen, dass sie es wirklich viel schwerer haben. Ich meine, mein Bass ist auch aufwendig, aber einer für 500 Euro würde es dann auch tun. Aber Birgit spielt nun mal keine Instrumente, die eigentlich für einen Rock'n'roll Zirkus gebaut sind. Da sind eben auch noch ganz andere Voraussetzungen zu beachten, dass man das bei einem Konzert dann auch mit benutzen kann. Es ist da eben nicht ganz so einfach wie bei einer Gitarre, Kabel rein, Verstärker an, fertig. So einfach geht es dann bei deren Instrumenten nicht.

hitparade.ch: Musstet ihr euch das Instrument selber anlernen oder habt ihr irgendwo einen Lehrer gefunden, der solche Instrumente noch beherrscht?
Matthias: Ich hatte Zeit meines Lebens Musikunterricht. Jetzt nur die letzten zwei Jahre nicht mehr, ansonsten haben mir immer irgendwelche Lehrer beigestanden bei eigentlich allen Instrumenten, die ich dann gespielt habe. So geht es wohl auch den meisten von uns. Stefan, der Schlagzeuger, hat sich wohl als Einziger autodidaktisch alles angeeignet. Die meisten haben auch Musik studiert.

hitparade.ch: 2000 wurdet ihr mit dem deutschen Folkförderpreis ausgezeichnet. Inwiefern hat euch dieser Preis motiviert, weiterzuarbeiten?
Birgit: Einen Preis zu gewinnen, ist immer eine Riesen Motivation. Weil es einfach Lob und Anerkennung bedeutet. Es hat uns zwar gewundert, dass wir ausgerechnet den Deutschen Folkpreis gewinnen, weil wir uns ja nicht wirklich als Folkband gesehen haben. Es war verwunderlich, aber auch sehr schön. Aber ansonsten hat der Preis jetzt nicht die Welt verändert. Es hat uns nicht mehr als ein bisschen Presse eingebracht. Wir haben dann konsequent weitergearbeitet und das hat sich eher bezahlt gemacht.

hitparade.ch: Von welchen Bands wurdet ihr hauptsächlich beeinflusst?
Matthias: Ich glaube nicht, dass es eine oder mehrere Bands gibt bzw. gab, die Schandmaul wirklich beeinflusst haben. Es ist vielmehr so, wie die Birgit am Anfang schon gesagt hat. Wir kommen alle aus unterschiedlichen Bereichen. Es gibt vielleicht ein paar CDs, die jeder von uns im Plattenregal hat, ansonsten hören wir privat wirklich ganz, ganz unterschiedliche Musik und jeder hat daraus seine persönliche Inspirationsquelle. Das vermischt sich in Schandmaul dann alles.
Birgit: Genau. Beziehungsweise in unserem ersten Jahr haben wir auch Songs gecovert. Das war um beim ersten Konzert das Programm abzurunden. Unter anderem auch von der Band, die heute als Vorband spielt.

hitparade.ch: Mittlerweile konntet ihr zwei Alben in den Top 10 der deutschen Albumcharts platzieren. Hättet ihr euch zu Beginn eurer Karriere erwartet, dass diese Art von Musik je einen kommerziellen Erfolg haben würde?
Birgit: Am Anfang auf keinen Fall. Wenn uns dann jemand hätte voraussagen wollen, da hätten wir gesagt, der spinnt.

hitparade.ch: Wenn ihr behauptet "im Grunde machen wir Weltmusik", was meint ihr genau damit?
Birgit: Das hat irgendjemand mal gesagt, aber das stimmt gar nicht. Weltmusik ist ja eigentlich ein feststehender musikalischer Begriff, der in Deutschland für eine Mischform aus afrikanischer oder südamerikanischer Musik steht. Das was gemeint ist, ist, dass viele Stile ineinander fließen.
Matthias: Stefan hat das wohl mal gesagt, aber er hat das so gemeint, wie es Birgit gerade gesagt hat. Er wollte wohl ausdrücken, dass wir alles zulassen und uns nicht auf dem Status Rockband ausruhen, sondern wir sind da wirklich offen und vereinen viele Stile.

hitparade.ch: Wie ist der Kontakt und das Verhältnis zu anderen Bands (Corvus Corax, In Extremo) aus diesem Genre? Tauscht ihr euch da mal aus, holt ihr euch da irgendwo Ideen oder macht ihr wirklich ganz euren eigenen Stil?
Matthias: Ich würde sagen letzteres. Natürlich quatscht man auch mal mit Bands und beobachtet, was die so machen, aber wir probieren schon unsere eigene Suppe zu kochen. Bisher sind die Ideen auch noch nie ausgegangen.
Birgit: Wir begegnen uns natürlich auf Festivals, auf denen wir gemeinsam spielen. Da rede ich dann zum Beispiel über solche Sachen wie "wie machst du das, wenn es feucht und heiß ist". Über solche Sachen tauscht man sich da aus. Aber musikalisch machen wir unser eigenes Ding.

hitparade.ch: Das neue Album trägt den Titel "Anderswelt". Wie ist dieser in Bezug auf die Songs zu interpretieren?
Birgit: Zunächst gibt es einen Song, der diesen Titel trägt. Der beschreibt die klassische Anderswelt, die keltische, mythologische Anderswelt. Das Feen- und Totenreich der Kelten. Ansonsten ist für den Zuhörer die Möglichkeit gemeint, in eine andere Welt entführt zu werden. Das wollten wir damit ausdrücken. Wir erzählen Geschichten, die fantastisch, traurig, dramatisch, mystisch sind und wir möchten die Zuhörer einfach entführen. Natürlich nur, wenn er das will.

hitparade.ch: Woher nehmt ihr die Inspiration für eure Texte und entstehen diese in Gemeinschaftsproduktion oder in Einzelarbeit?
Birgit: Die Texte entstehen als einziges in Einzelarbeit. Da sind die Inspirationsquellen total unterschiedlich. Das können Bücher, Gedichte oder einfach nur persönliche Erlebnisse sein. Eben alles was man so im Alltag erlebt. Natürlich fließt auch unsere Erfahrung ein. Was aber gemeinschaftlich entsteht, sind die Songs. Irgendjemand kommt mit einem Gerüst, einer groben Idee und jedes Bandmitglied bringt sich in die Arrangements mit ein.

hitparade.ch: Woher habt Ihr die Ideen zu solchen Texten wie Wolfsmensch? Sind dass immer irgendwelche Sagen und Mythen oder lässt ihr eure eigene Phantasie spielen?
Birgit: Bei solchen Sachen lassen wir teilweise wirklich unsere Fantasie spielen. Auf dem letzten Album gab es weniger fantastische Geschichten, sondern einfach mehr bloße Gefühlszustände, die beschrieben wurden. Diesmal sind es jetzt zufällig mehr Geschichten.

hitparade.ch: Inwiefern würdet ihr sagen, dass ihr euch im Vergleich zum ersten Album weiterentwickelt habt?
Matthias: Ich glaube, wir haben schon ein paar Stufen genommen. Aber man entwickelt sich ja von Album zu Album, von Jahr zu Jahr, von Konzert zu Konzert, von Probe zu Probe. Man entwickelt sich ja als Band immer weiter. Und das ist auch gut so. Wenn man stehen bleibt und jede Platte nur ein Abklatsch von der Vorherigen ist, dann würde es uns wohl auch keinen Spaß mehr machen. Man entwickelt sich auch als Mensch weiter.
Birgit: Jetzt konkret zu deiner Frage. Auf dem neuen Album ist die größte Weiterentwicklung, dass jeder erstmal mehr an die Grenzen dessen gegangen ist, was sein Instrument oder auch die Stimme leisten kann. Wir wollten das mehr ausschöpfen, auch um zu sehen, was man alles damit machen kann. Und wir haben auch mehr Liebe zu den Details der Arrangements gesteckt.
Matthias: Was wir mittlerweile gelernt haben, was vielleicht früher etwas chaotischer war: Jeder hat immer gespielt und bei uns werden dann wirklich so viele Frequenzen abgedeckt, dass es leicht im Kuddelmuddel endet. Und dann wird es eben schwierig, dass wirklich auch jeder gehört wird. Da geht ganz gern mal etwas unter. Da haben wir probiert, dass jeder zu seinem Recht kommt. Jetzt ist alles etwas aufgeräumter. Aber dafür braucht man ein paar Jahre.

hitparade.ch: "Weltverbesserer" oder Unterhaltungsmusiker - wie seht ihr euch?
Birgit: Wir dachten lange Zeit, dass es pure Unterhaltung ist. Bis wir dann gemerkt haben, dass viele Mails kamen, in denen stand, dass wir verschiedenen Menschen über eine schwere Zeit hinweggeholfen haben. Wir haben einige mit tödlichen Krankheiten, die schleppen sich nur von einem Konzert zum nächsten. Die leben um das nächste Konzert miterleben zu können. Insofern sind wir keine geplanten Weltverbesserer, aber sind es irgendwie dann doch. Dieses Feedback bekommt man von den Leuten und das bedeutet uns wahnsinnig viel.

hitparade.ch: Was macht ihr an eurem Fantreffen in Koblenz mit euren Fans, gibt es da irgendwelche Neuigkeiten?
Matthias: Das Fantreffen hat sich für uns sehr etabliert. Dieses Mal machen wir es zum ersten Mal auf einem Schiff, was wir angemietet haben. Neben Grillen und Reden spielen wir dann immer ein bisschen unplugged ohne viel Aufwand. Das war die letzten Jahre immer ganz lustig. Ich denke, dieses Jahr wird auch wieder gut werden mit der Bootstour.

hitparade.ch: Was dürfen wir an eurem 10 jährigen Jubiläumskonzert von euch erwarten?
Matthias: Hoffentlich viel (lacht). Wir werden mit Sicherheit lang spielen, aber bisher waren wir in der Planung noch mehr mit dem Album und jetzt mit der Tour beschäftigt. Das Programm steht noch nicht, wir wissen noch nicht, welche Songs wir spielen. Aber es ist auf alle Fälle ein Tag, der jetzt schon für eine gewisse Aufregung sorgt.
Birgit: Es wird wohl eher ein Tag werden, der repräsentativ für die letzten 10 Jahre steht. Ein Querschnitt der Songs der letzten 10 Jahre. Es ist sehr viel Drumherum geplant. Es gibt eine Party danach. Das alles kann man mit einer Karte dann kaufen. Es sind eigentlich viele Aktionen für die Fans an 2 ½ Tagen geplant. Bis jetzt sind schon über 5000 Karten verkauft, das ist schon recht außergewöhnlich für uns.

hitparade.ch: Was hat es mit dem Soloprojekt von Anna auf sich?
Birgit: Dazu muss man auch sagen, dass ja jeder sein Soloprojekt hat. Das ist auch wichtig, einen musikalischen Ausgleich zu Schandmaul zu haben. Schandmaul hat ganz klar Priorität, aber jeder hat doch noch seine eigenen Interessen und freut sich, wenn er das dann irgendwo umsetzen kann.
Matthias: In einer Band spielt man eigentlich nur für die Band und von daher möchte man sich eben einfach mal mit seinen eigenen Vorlieben austoben. Da sind solche Nebenprojekte ganz dankbare Sachen.

hitparade.ch: Wie seht ihr euch in 10 Jahren?
Matthias: Hoffentlich gesund und munter.

hitparade.ch: Zur Top 10 der Schweizer Hitparade, was kennt ihr und könnt kommentieren?

10. Kelly Rowland - Work
Matthias: Die hat doch früher mit Beyonce Destiny's Child gemacht. Von daher denke ich mal, dass es so R'n'B Style ist.

7. Mariah Carey - Touch My Body
Matthias: Die kennt man. Ist aber nicht so meins.
Birgit: Da möchte ich jetzt was zu sagen. Mariah Carey empfinde ich persönlich als Beleidigung, weil alles wofür Emanzipation jemals gekämpft hat, ins Lächerliche gestellt wird. Wer seine Videos immer mit so einem Röckchen machen muss, die Brust ständig raushängt und sich eigentlich immer nur räkelt, bei sowas muss ich kotzen.

6. Mark Ronson feat. Amy Winehouse - Valerie
Matthias: Amy Winehouse ist ein Knaller. Die Platte habe ich, sogar so ziemlich kurz nach der Veröffentlichung. Dann kamen ja erst ihre Skandale, die ihr die Presseschübe eingebracht haben. Skandale bringen wohl doch manchmal was. Da müssen wir auch mal dran arbeiten. Wir sind viel zu brav. Auf alle Fälle ist die Frau eine Granate, die kann was.

2. Duffy - Mercy
Matthias: Die kenne ich jetzt nur aus der Chartbeobachtung, weil die immer vor uns war in den Trends (lacht). Wie die gute alte Amy auch.

1. Madonna & Justin - 4 Minutes
Matthias: Madonna und Justin Timberlake finde ich grandios. Ich habe nur zwei Platten von ihr. Aber ich finde es beachtlich, wie eine Frau seit 25 Jahren so mit Vollgas ihren Weg geht. Das auch durchzieht und mit Erfolg. Ich bewundere diese Frau schon lang. Auf die Mucke von Justin stehe ich nicht so ganz, aber der kann schon auch was. Der steht da schon mit Recht. Er produziert ja jetzt mittlerweile auch selber. Finde ich einfach cool.