Interview mit Sina"Emma ist ein Ort der Geborgenheit"
01.02.2019
hitparade.ch: Herzliche Gratulation zum Outstanding Achievement Award (Preis für Lebenswerk) bei den Swiss Music Awards! Was bedeutet Dir eine solche Auszeichnung?
Sina: Ich freue mich sehr darüber. Es ist eine Bestätigung meiner Arbeit der letzten 25 Jahre. Das ist natürlich etwas Besonderes, das ich sehr schätze.hitparade.ch: Bist Du bereit für eine grosse Rede?
Sina: Das mache ich mit links (lacht). Nein, im Ernst: Ich sehe mich schon mit den Knien schlottern. Ich werde mir sicher einen Spickzettel machen, damit ich beim Bedanken niemanden vergesse. Das wird mich beruhigen.hitparade.ch: Du agierst bei den Swiss Music Awards als Mentorin - welchen Tipp gibst Du heutigen Musikern, die von der Musik leben möchten?
Sina: Die Zeiten haben sich wahnsinnig verändert. Als Künstler bekommt man heute nicht mehr die Zeit, langsam zu wachsen, ohne sofort Erfolg zu haben. Ich habe damals einen 10-Jahres-Vertrag erhalten, das ist heute undenkbar. Man hat viel Zeit und Geld investiert, um einen Künstler zu unterstützen und aufzubauen. Da wurde viel Vertrauen in einen gesetzt. Daher ist mein Tipp an die heutigen Künstler: Vertraut darauf, was Ihr könnt. Folgt Euren Herzen und nehmt Euch Zeit, lasst Euch nicht verbiegen. Überlegt es Euch ausserdem gut, ob Ihr auf diese Karte setzen wollt. Denn Ihr dürft nicht erwarten, dass nach einem Jahr ein Ferrari vor Eurer Tür steht (lacht).hitparade.ch: Wie wichtig ist Vitamin B in der Musikszene?
Sina: Natürlich ist es hilfreich, wenn man die richtigen Menschen in den richtigen Positionen kennt, um auf sich aufmerksam zu machen. Dennoch glaube ich, dass es auch ohne Vitamin B geht. Wenn man Zeit und Energie investiert und an sich glaubt, kann es tolle Erfolgsgeschichten geben. Am Ende entscheidet schliesslich das Publikum, ob es Dich mag oder nicht - und das ist auch gut so.hitparade.ch: Wenn Du Dir heute Dein allererstes Album anhörst: Was geht Dir dabei durch den Kopf?
Sina: Ich fühle mich sofort in die damalige Stimmung zurückversetzt. Diese Hochgefühle, die ich beispielsweise hatte, als die Schmetterband mein Album eingespielt hat. Ich denke an Eric Merz, der damals als Tonmeister an meiner Seite war und uns alle dauernd zum Lachen gebracht hat. Oder an Thomas Fessler, der bis heute mit dabei ist, was nicht selbstverständlich ist. Das erste Album verbinde ich mit Anfängen schöner Freundschaften. Damals hat sich mein Leben komplett verändert.hitparade.ch: Und in musikalischer Hinsicht? Bist Du beeindruckt von der 25-jährigen Sina?
Sina: An manchen Songs hänge ich noch immer sehr, auch wenn ich sie musikalisch vielleicht anpassen würde, andere würde ich heute nicht mehr singen. Aber es ist schon interessant: Je länger ich Musik mache, desto mehr habe ich das Gefühl, keine Ahnung zu haben (lacht). Ich könnte einen Song auf 100 verschiedene Arten machen. In meinen Anfängen gab es für mich nur die PopRock-Schiene. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen MusikerInnen hat mir in vieler Hinsicht die Augen für andere Musik und die unterschiedliche Herangehensweise geöffnet. Zu viele Möglichkeiten zu haben, kann schwierig sein. Dieser Blick über den Tellerrand, der ist zwar wichtig geworden, aber auch eine zusätzliche Herausforderung.hitparade.ch: Nun ist Dein neues Album "Emma", das Deiner Grossmutter gewidmet ist, da. Was war sie für ein Mensch?
Sina: Sie war eine Frau ohne viele Worte. Ein Ruhepol. Aber sie konnte viel Liebe geben. Für mich war meine Grossmutter ein Ort der Geborgenheit. Und sie hat super gekocht, das muss man auch erwähnen (lacht).hitparade.ch: Wie kamst Du auf die Idee, Ihr Dein neues Album zu widmen? War das schon immer ein Plan, das mal zu tun?
Sina: Es war schon länger in meinem Hinterkopf - und irgendwann entstand eine Dringlichkeit. Erst war es nur ein Song - der Song "Emma". Das Album sollte eigentlich anders heissen. Doch es entstanden weitere Lieder, die in dieses musikalische Geflecht passten und mein persönliches Lebensgefühl vermittelten. So wurde das ganze Album zu "Emma". Es ist allerdings nicht jeder Song komplett autobiografisch. Es hat auch Fake-News drin (lacht).hitparade.ch: Zum Song "Emma": Sie schlief am Tag, trug irgendwann nur noch das Nachthemd und fragte nach der Familie. Spielt das auf ihr Lebensende an?
Sina: Ja, das war der Teil, als sie aufgegeben hat. Sie musste gegen Dämonen kämpfen, gegen Ereignisse aus ihrer Jugend, die sie irgendwann eingeholt haben. Sie war fleissig, eine Rebbäuerin. Und aus meiner Sicht, als Kind, hat sie einfach eines Tages aufgehört aus dem Bett aufzustehen. In Wirklichkeit war das sicher ein langsamer Prozess, mir kam es aber so vor. Damals sprach man noch nicht von Depressionen. Es hiess einfach, sie sei halt langsam alt und müde, brachte ihr Melissengeist. Dieser Zustand dauerte sieben Jahre an, das ist eine lange Zeit.hitparade.ch: "Bi jedem Blick i Spiegel erkenn i Di i mir" singst Du im Titelsong. Wo sind Eure Gemeinsamkeiten?
Sina: Wir haben den gleichen Mund und die gleichen Hände. Und ich denke, ich habe einen Teil ihres sanften Wesens, aber gleichzeitig kraftvollen Charakters geerbt. Sie war eine zähe Frau, die sich nie beklagt hat.hitparade.ch: "Ei Teil vo Dir blibt immer hie" leitet ein wunderschönes, klassisches Zwischenspiel ein. War das Musik, die sie liebte?
Sina: Sie hat keine Musik gehört, sie war aus der Vorkriegsgeneration, stammte aus einer Arbeiterfamilie. Ich glaube aber, dass ihr diese Art von Musik gefallen hätte. Es ist ein musikalisches Gebet für sie und ich denke, diese Klänge werden ihr gerecht.hitparade.ch: Im CD-Booklet ist ein kleines Mädchen in rotem Kleidchen zu sehen. Bist Du das?
Sina: Ich war sechs Jahre alt, als ich zu meiner Grossmutter kam, und hatte damals ein rotes Kleid. Das Mädchen auf dem Cover ist mein Gottenmeitli. Sie ist jetzt genau sechs Jahre alt und trägt auf dem Foto mein Kleid. Dazu kommt, dass sie mir unheimlich ähnlich sieht, als ich so alt war.hitparade.ch: In "Numu ä Zahl" hältst Du Dir ein Alter vom Leib. Hast Du Dich beim Songwriting aufgrund des Themas der Familiengeschichte mit dem Älterwerden schwergetan?
Sina: In meinem Alter spürst Du Veränderungen stärker als früher. Dennoch fand ich es eine spannende Vorstellung, dass das Alter nur eine Zahl ist. Der Gedanke, dass ich mich in einen toten Winkel stellen kann und die Zahl unbemerkt an mir vorbeizieht, gefällt mir sehr. Im Endeffekt ist man tatsächlich so alt, wie man sich fühlt.hitparade.ch: Wie hast Du die neuen Songs geschrieben? Hast Du Erinnerungen gewälzt?
Sina: Ich habe mich drei Jahre lang mit diesen Songs beschäftigt. Dieses Mal habe ich anders gearbeitet als bei den Alben zuvor, denn ich hatte erst die Geschichten. Vertont wurden sie danach. Das ist der Grund, wieso "Emma" sechs Minuten dauert. Es war schön, so viel freier mit Wörtern umgehen zu können. Wenn man einen Text auf die Musik schreibt, ist man automatisch eingeschränkt. Für mich ist es wichtiger, ein passendes Wort zu finden, als wenn man probiert, ein Versmass anzupassen. So zu arbeiten war eine echte Bereicherung für mich. Es war zwar schwieriger, aber so konnten sich die Geschichten entwickeln und fliegen.hitparade.ch: Adrian Stern hat Dein Album produziert. Welchen Einfluss hat er genommen?
Sina: Er ist ein stilsicherer Musiker. Er hat unheimlich viel dazu beigetragen, dass das Album so musikalisch wurde. Wir haben im Frühling angefangen, meine Geschichten zu vertonen, ganz rudimentär, mit Gitarre und Gesang. So schafften wir wunderbare Basis-Versionen der Songs. Wir waren ein ziemlich gutes Team und es war genau richtig, dass er das Album produziert hat.hitparade.ch: Neben Adrian Stern hast Du eine weitere Reihe spannender Musiker mit auf die Emma-Reise genommen: Hendrix Ackle, Ritschi, Gigi Moto, Anna Känzig, und mehr… Ist man in der Schweizer Musikszene einfach mit allen befreundet?
Sina: Wenn man 25 Jahre Musik macht, dann hat man in der Schweiz mit Sicherheit jeden Musiker mindestens ein Mal getroffen (lacht). Wenn man lässige Menschen kennenlernt, dann ruft man diese auch gerne mal an.hitparade.ch: Wie wird Deine Tour aussehen? Werden da ab und zu Gastmusiker auftauchen?
Sina: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr viel Spass macht, Gastmusiker zu sein. Auch ich blinzle gerne mal durch den Vorhang und darf einfach nur Gastsängerin sein und zwischendurch geniessen. Sicher werde ich ab und zu Gastmusiker mit dabeihaben. Mal sehen, wer wann Zeit hat.hitparade.ch: Was nimmst Du Dir für die nächsten 25 Jahre vor?
Sina: Gesund zu bleiben. Ich habe noch viel Energie und Ideen für neue Projekte. Die Freude am Musikmachen ist nach wie vor da. So langweilig es klingt: Ich hoffe, es geht so weiter wie bisher.Interview durchgeführt:
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Redaktion:
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
Bettina Wyss-Siegwart (Stella Nera)
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