Interview mit Wir Sind Helden
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Die Helden sind zurück! Drei Jahre ist es her, als Wir Sind Helden beschlossen haben, kürzerzutreten. Nun erscheint ihr neues Album "Bring mich nach Hause". Wir haben Judith und Mark zum Interview getroffen.
hitparade.ch: Drei Jahre habt ihr pausiert, zwei Babys sind auf die Welt gekommen. Was habt ihr sonst noch so gemacht in der Pause?
Mark: Als Jemand der jetzt kein Baby auf die Welt gesetzt hat kann ich sagen, es gibt natürlich viele Dinge, die man während einer solchen Pause tun kann. Wenn man das Thema Familie jetzt mal ausklammert, kann man sich auch mal auf die faule Haut legen und einfach nichts tun. Ich persönlich hatte in der Pause sehr stark das Bedürfnis Musik zu machen. Ich habe mit Freunden - jetzt vielleicht nicht so hochprofessionell wie ich das mit der Band mache - Musik gemacht. Ich habe mich dabei ertappt, dass wenn ich beruflich keine Musik machen "muss", dass ich dann Musik machen DARF. Schön, dass es sich auch nach sieben Jahren noch so anfühlt, als würde ich Spass bei der Arbeit haben (lacht). Und ich weiss, dass es auch in anderen Bereichen viel zu tun gab, davon kann Judith berichten.
Judith: Ja, durch die Kinder sind ein paar der Fantasien die ich hatte, was ich in der Pause denn alles so machen könnte, zusammengeschrumpft (lacht). Aber ich habe tatsächlich viel geschrieben und Pola hat tatsächlich gemeinsam mit einem Freund - mit Jörg Holdinghausen, der auf unserer Platte mitgewirkt hat - ein Nebenprojekt gemacht. Auch Jean und Mark haben jeweils mit Freunden was gemacht. Ich habe viel geschrieben - viel für mich selbst, vieles, das vielleicht noch länger braucht. Ich habe zum Spass angefangen Lieblingslieder zu übersetzen und viel Musik gehört.
hitparade.ch: Was habt Ihr denn am meisten vermisst in der Pause?
Mark: Ich habe dieses Studiogefühl auch in der Pause irgendwie gehabt, weil wir ja musikalisch nicht untätig waren, wie Judith gesagt hat. Was ich vielleicht ein bisschen vermisst habe, was das "Umsorgtsein", das man normalerweise auf Tour hat. Also nicht, dass ich jetzt regelmässig im Restaurant aufstehe und nicht zahle, weil ich das so gewohnt wäre, aber es hat halt schon einen gewissen Charme morgens aus dem Tourbus zu plumpsen und das Frühstück ist schon fertig (lacht).
Judith: Auch wenn es nur wellige Käsebrötchen sind (lacht)
Mark: Manchmal hat es auch was Erschreckendes, wenn man sich das Frühstück dann mal genauer anguckt, aber wenn das Frühstück mal nichts Erschreckendes hat, sondern passabel bis wohlschmeckend ist, dann ist das schon toll. Du wachst auf, und musst eigentlich nur noch die Tür finden zum Raum, in dem das Frühstück ist. Oder auch tolle Momente, die man vor, während und nach einem Konzert hat, die muss man sich erst mal abgewöhnen. Auf die freut man sich dann sehr, wenn man weiss, es geht bald wieder los.
hitparade.ch: Ihr habt das Label gewechselt und seid neu bei Sony Music. Was waren die Gründe dafür?
Judith: Die Gründe waren ursprünglich mal traurig, jetzt sind sie erfreulich. Wir gehören eigentlich zu den Bands, die immer glücklich waren bei ihrer Plattenfirma. Wir waren bei "Labels", was ein Indie-Label-Zusammenschluss war, der angeschlossen war an die EMI. Und der ist uns pünktlich zur Veröffentlichung unserer letzten Platte unter dem Hintern weggebrochen. Grosse Teile der Belegschaft wurden entlassen und es war ein Trauerspiel, viele Leute waren weg über Nacht, an denen wir sehr gehangen haben. Da unser Vertrag zu der Zeit ausgelaufen ist, gab es für uns dann keinen Grund mehr bei der EMI zu bleiben, weil die EMI nicht mehr die EMI war, mit der wir mal zu tun hatten. Wir haben uns dann sehr viel Zeit genommen, diesen familiären Bund, den wir da hatten, wieder zu suchen. Bei "4 Columbia" haben wir jetzt eine ähnliche Konfiguration gefunden: Wenige Leute die man kennt, man weiss, wer was macht, weil man die Leute regelmässig sieht. Wir wissen auch, dass die Sachen, die sie sonst noch machen wie Joy Denalane, Max Herre oder Miss Platnum, langen Atem haben. Dass sie also nicht auf kurzfristigen Erfolg und sonst gar nix angewiesen sind, sondern Geduld und Treue kennen.
hitparade.ch: Nun seid ihr aber bereits wieder voll unterwegs, noch vor irgendeinem Single- oder Album Release. Was hat euch dazu bewegt, früher mit den Live-Konzerten zu starten?
Judith: Ungeduld (lacht)
Mark: Eigentlich wirklich die scharrenden Füsse. Wir haben uns natürlich schon gefragt, ob man denn überhaupt live spielen kann, bevor das Album draussen ist. Strenggenommen könnte man sagen, man sollte es nicht übertreiben, aber es schadet sicher nicht ein wenig vorher live zu spielen und wenige neue Songs einzubauen ins Programm. Wir glauben, dass wir für das Programm diesen Sommer die richtige Dosis gefunden haben. Wir werden an Festivals spielen, auch an einigen richtig schönen Festivals, die wir nicht zufällig angenommen haben, die einen gewissen Charme haben und die wir auch schon kennen. Wir werden Altes und Neues auf die Bühne bringen und irgendwie haben wir das auch früher nicht anders gemacht.
hitparade.ch: Es hat ja wie gesagt 2 Kinder gegeben - das ist eine grosse Veränderung im Leben. Inwiefern hat diese Veränderung eure Musik und auch eure Texte beeinflusst?
Judith: Interessanterweise hat das zweite Kind bei mir einen Kreativitätsschub ausgelöst. Beim ersten Kind hatten mir die Leute immer gesagt "Wart's nur ab, das sprudelt dann nur so aus Dir heraus", es war aber nicht so. Sicherlich, weil ein grosser Teil meiner Aufmerksamkeit darauf verwendet wurde, überhaupt Mutter zu werden. Beim zweiten Kind war es dann tatsächlich so, obwohl ich schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte. Schon direkt nach der Geburt bin ich übergesprudelt vor Ideen und hatte eigentlich gar keine Zeit, die alle aufzuschreiben. Aber es kamen viele neue Ideen und das war toll. Was das Kinderhaben sicher auch mit sich bringt ist eine grosse Kompromisslosigkeit, die sich - wie ich finde - sehr schön auf die Kunst auswirkt. Kinder rücken die Priorität zurecht und machen klar, dass alles was man macht sich daran misst, dass man auch Zeit mit den Kindern verbringen kann. Deswegen verspüre ich eine grosse innere Entschlossenheit nur noch Sachen zu machen und Energie in Sachen zu stecken, die mir auch Energie zurückgeben. Was Anderes kann ich mir gar nicht mehr leisten, sonst habe ich keine Energie mehr. Man wird sehr eindeutig in dem, was man macht.
hitparade.ch: Auf der einen Seite ist die Familie, auf der anderen Seite die Band. Wie schafft ihr diesen Spagat zwischen den zwei Welten?
Judith: Es ist ein riesiger Spagat, bei dem sich regelmässig die Jeans aufreisst (lacht). Es ist ein übergrosser Spagat und es ist eigentlich nicht ohne Blessuren zu schaffen. Ich glaube die einzige Möglichkeit das trotzdem zu machen ist, dass man einsieht, dass man es macht, weil der Drang das zu machen und die Liebe zur Musik und zu dieser Band überwiegt - und nicht weil man muss. Es ist freiwillig, und es gibt Gestaltungsmöglichkeiten. Also ich spüre eine grosse innere Verpflichtung das so zu gestalten, dass ein lebbares Konzept dabei herauskommt. Alles andere wäre ein fahrlässiger Umgang mit der Band - die auch mein Baby ist.
hitparade.ch: Es heisst, ihr hättet das Album komplett live eingespielt. Heisst das, ihr habt die Songs komplett als Band im Studio eingespielt wie an einem Konzert?
Mark: Wir haben ja als Band auch schon andere Erfahrungen gemacht, weil wir uns immer sehr detailliert in die Arrangements und Produktionen reinsteigern. Wir haben dann auch schon versucht, die Stücke, erst nachdem sie fertig aufgenommen und produziert worden waren, gemeinsam zu spielen. Das hat es alles schon gegeben. Bei dieser Platte war eigentlich schon sehr früh die Entscheidung klar, dass wir sie live einspielen. Das heisst jetzt nicht, dass man alles live einspielt. Man spielt es einfach als Band, kann aber immer wieder was austauschen. Diese Dynamik, die entsteht, wenn mehrere Instrumente gleichzeitig spielen und aufeinander abgestimmt sind, ohne Metronom, wo der Schlagzeuger ein Klickgeräusch im Ohr hat, an das er sich metrisch halten muss, muss man ausprobieren. Das ist etwas, das wir nur von der Bühne kennen. Wir wollten das mal verknüpfen. Das war die Veränderung, die wir gespürt haben bei der Produktion.
hitparade.ch: Dann dauerten die Aufnahmen nicht so lange wie sonst…?
Judith: Schön wär's! (lacht). Nein, wir haben und trotzdem sehr viel Zeit genommen. Wir waren 3 Monate im Studio, haben davon aber 4 Wochen geprobt. Also ein bisschen kürzer war es eigentlich schon, denn normalerweise haben wir 3 bis 4 Monate aufgenommen, diesmal war die reine Aufnahmezeit 2 Monate. Was aber natürlich trotzdem total luxuriös lange ist. Und wir haben viel gefeilt, also dieses trickelige und detailverliebte hat schon noch eine grosse Rolle gespielt. Wir wollten einfach dass das Grundgerüst lebendig und live eingespielt ist, und dann haben wir immernoch ein kleines Bisschen hier und ein kleines Bisschen dort dazugemacht.
Mark: Wir sind auch keine Band, die von zehn Uhr Morgens bis vier Uhr Nachts im Studio steht. Nur schon wegen der vielen vielen Kinder. Für den Produzenten ist das gewöhnungsbedürftig früh, wenn eine Band so früh nach Hause geht. Also er hat sich anfangs schon ein paar Mal die Augen gerieben. Dadurch verlängert sich natürlich die Produktionszeit.
hitparade.ch: was sind die Vor- und Nachteile wenn man sein Album so produziert?
Mark: Also ein Vorteil ist die Energie, die man in die Musik bringen kann. Die Art, wie die Platte klingen soll, ist natürlich geschmackssache, aber wenn man es so haben will, ist es klar ein Vorteil. Man hat erreicht, was man energetisch irgendwie aufnehmen wollte. Ein Nachteil kann sein, dass man nicht mehr alles austauschen kann. Wenn man mit einem Metrum Schicht für Schicht aufnimmt, dann kann man wesentlich strukturierter arbeiten, es hat eine andere Dynamik, viele viele Platten entstehen so. Das wäre der Normalfall, wenn man so aufnimmt. Man kann dann viel eher, wie beim Lego-Bauen, Teile raus- und wieder reinnehmen. Das ist ein praktischer Vorteil, bei dem der Produzent genau rechnen kann, wie lange was dauert.
hitparade.ch: Nun aber zum Album, "Bring mich nach Hause". Als Erstes haben wir natürlich die mitgeschickten Covers und Pressebilder angeschaut. Schaut ja aus wie ein Gangster-Quartett von 1873, irgendwie. was habt ihr euch denn so dabei gedacht?
Judith: Was zum Teufel hat sich die Band dabei gedacht? (lacht). Ich persönlich kann sagen, dass ich dieses Mal das ganz starke Bedürfnis habe, das Album visuell auszudrücken. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich es diesmal schwerer finde, über die Texte zu reden, weil die sehr persönlich sind. Es ist nicht so leicht darüber zu sprechen, wie über Lieder wie "Guten Tag" oder so, wo man ewig abschweifen kann und Dinge erzählen kann, die längst nichts mehr mit dem Song zu tun haben. Das Album hat für mich was cinemathografisches, ich sehe viele Bilder und einen Film, ohne Film. Dann haben wir uns überlegt, wie wir dieses Album verkörpern können und für uns haben diese Pressebilder und auch dieses Cover unterschiedliche Aspekte dieses Albums visualisiert. Erstens natürlich diesen Vintage-Aspekt - die Platte klingt ein bisschen vintagemässig, die siebziger des vorletzten Jahrhunderts - ein bisschen das folkloristische aber auch, ein bisschen Hippie und auch eine gewisse Dunkelheit und Schroffheit, die sich vielleicht in diesem von Dir bezeichneten Gangster-Look zeigt. Für uns hat es dies alles sehr schön eingefangen. So ein bisschen das Filmplakat zu einem Film, den wir nicht gedreht haben. Noch nicht. (lacht).
hitparade.ch: Was uns beim Durchhören etwas aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass es mehrheitlich ruhig und locker gehalten ist. Kracher wie wir es sonst kennen wie "Denkmal" oder "Gekommen um zu bleiben" sind nicht viele vorhanden… War das von Anfang an so geplant?
Judith: Nö.
Mark: Eigentlich nicht. Zum Glück ist immer sehr wenig geplant, wenn wir loslegen. Wir haben sehr viele Sachen ausprobiert musikalisch und haben letztendlich schon die Farbe des Albums immer mehr dadurch erlangt, dass wir die Musik und das musikalische Gewand um die Texte gelegt haben und umgekehrt. Es gab Texte, die von Judith schon da waren, die sich natürlich auf musikalische Ideen legen, die dazu passen. Die Musik wurde mehr durch die Texte beeinflusst als umgekehrt. Es ist schwer zu sagen, es ist ein grosses Rätsel.
Judith: Auf jeden Fall sind wir keine Band, die mit einem Konzept ins Studio geht. Was mich aber sehr gefreut hat, als ich das Album das erste Mal in seiner Gänze durchgehört habe, dass es sich für mich anhört wie ein unbeabsichtigtes Konzept. Das war das erste Mal so. Durch eine zufällige Reihenfolge, die wir höchstens aufgrund der musikalischen Aspekte so gewählt hatten, wird eine Geschichte erzählt. Aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Das ist das erste Mal so ein richtiger roter Faden.
hitparade.ch: Ein Song, der etwas gar deftig einfährt so beim unbekümmerten Durchhören, ist "Meine Freundin war im Koma". Was war da geschehen, dass ihr so einen Song zu diesem Thema gemacht habt?
Judith: Das war für mich und für uns alle kein einfaches Lied und auch keine einfache Entscheidung, ob wir den wirklich mit auf's Album nehmen. Den habe ich aus der Notwendigkeit heraus geschrieben, einen Song zu schreiben, weil eine Freundin von mir tatsächlich einen schweren Unfall hatte und dieses Lied wäre definitiv nicht auf der Platte gelandet, wenn es dieser Freundin nicht gut gehen würde. Das kann man natürlich nur aus so einer Position heraus schreiben. Wir haben uns lange gefragt, ob das vielleicht zu drastisch ist, oder zu seltsam auch einfach. Aber zum Schluss haben wir uns gedacht, dass eigentlich genau dieses Seltsame und Überraschende und vielleicht auch Schockierende eine Möglichkeit ist, sich in einem Song dem Thema Schock zu nähern. Wenn es um einen Schock geht, dass man diese ganze Ungereimtheit zu einem Lied machen kann.
hitparade.ch: Wie viele Stunden lang habt ihr Woodstock, CCR, Hendrix und Free gehört und Easy Rider geschaut, bis ihr den Sound zu "Im Auge des Sturms" hattet?
Judith: Also, auf mein Leben umgerechnet einige Stunden (lacht).
Mark: Das kann glaube ich keiner beantworten. Wir haben bei dem Song Einiges geschehen lassen. Auch beim Gitarrensolo hiess es: Mach doch mal. Der Song "Im Auge des Sturms" hat insgesamt etwa 4 oder 5 Jahre nach seinem musikalischen Gewand gesucht. Wir haben öfters schon versucht, diesen Text zu vertonen. Das ist erst jetzt so geschehen, dass wir das Gefühl hatten, Text und Musik gehören zusammen. Es ist erst auf dieser Platte so entstanden, obwohl der Text beim letzten Album auch schon da war.
Judith: Der Song ist zeitgleich mit "Denkmal" entstanden. Der ist acht Jahre alt.
Mark: Lautmalerei, die einem erstmal gelingen muss…
Judith: Wir wollten einen Sturm und irgendwie wurde es ein Kraut-Rock-Hippie-Sturm…
hitparade.ch: "Alles" ist die Single, die wir bald zu hören bekommen. Wieso fiel die Wahl auf diesen Song?
Judith: Das war nicht leicht, aber wir hatten am Ende das Gefühl, dass er die zwei Seiten des Albums ganz gut eröffnet. Dass er diese melancholische Seite in sich trägt, und auf der anderen Seite auch was unterschwellig Euphorisches hat. Ich habe das Gefühl es geht auf dem Album unheimlich viel um Verlorenheit und Verzweiflung, aber auch um schlichte Erlösungsfantasien. In dunklen Varianten wie bei "Bring mich nach Hause", aber auch in ganz Hellen. Der Song "Alles" hat Beides in sich. Für mich ist das so ne Art Gospel, da geht's ums Verlorensein und auf humoristische Art und Weise auch um Zwangserlösung mit einem Schlag auf den Hinterkopf.
hitparade.ch: Welche Songs dieser Platte werdet ihr ab Herbst auf Tour den Fans präsentieren?
Mark: Diese Frage versuchen wir in diesen Tagen zu beantworten, indem wir proben. Wir haben auch ein bisschen umgestellt was unsere Live-Besetzung betrifft, wir sind ja traditionell schon in den letzten Jahren immer mehr als vier Personen auf der Bühne gewesen. Jetzt sind wir zu sechst und spielen vieles vieles vieles vom neuen Album und ich glaube dass wir eine gute Handvoll Lieder mitbringen. Ich möchte mich aber nicht festlegen, welche genau wir spielen werden, denn auf der Tour werden wir die Songs den Leuten zeigen und einfach mal ausprobieren und gucken, wie sich das so anfühlt. Das ist ja für beide Seiten beschnuppern. Wir haben seit 3 Jahren nicht mehr live gespielt und haben diese Lieder noch nie öffentlich vorgetragen. Wir haben sie aufgenommen und Leuten gezeigt, das ist was ganz Anderes als sie zu spielen. Das versuchen wir jetzt für uns ein bisschen herauszufinden. Dafür müsst ihr jetzt alle einfach herhalten, auch in der Schweiz (lacht).
hitparade.ch: Ihr habt es auch schon ausserhalb des deutschen Sprachraums mit französischen und japanischen Songs versucht. Was war das für eine Erfahrung?
Judith: Es war ein bisschen eine von Wehmut geprägte Erfahrung, weil wir das Ganze eigentlich aus einem Spieltrieb heraus gemacht haben. Wir haben uns Sprachen ausgesucht, abgesehen von Französisch, die ich eigentlich nicht beherrsche - Japanisch und Chinesisch hatte ich zuvor noch nie ausprobiert. Und dann dachten wir: Machen wir weiter mit Ungarisch. Also alles Sprachen von denen keiner gedacht hätte, dass wir die könnten. Und dann kamen tatsächlich Anfragen, ob wir da nicht touren wollen, in Japan beispielsweise. Es gab so ein mildes Interesse, und damit hatten wir eigentlich nicht gerechnet. Auch in Frankreich. Aber dann hiess es: Wenn ihr in Frankreich wirklich was reissen wollt, dann müsst ihr dort genauso viel Promo machen wie in Deutschland. Von da an war das Thema für uns gegessen. Wir hatten da schon ein 5 Monate altes Kind mit auf Tour und es war völlig klar, dass es zwar ganz toll und aufregend wäre, aber dass der Zug für uns erstmal abgefahren ist. Das war schon schade, denn nach Japan wären wir wahnsinnig gerne gefahren. Und bei Frankreich war Polas Mutter traurig - er ist dreiviertel Franzose, dass es nicht geklappt hat (lacht).
hitparade.ch: Das wär vielleicht mal was in der Zukunft…
Judith: Wenn die Kinder dann mal grösser sind vielleicht. Aber wir haben ja viel zu tun mit den deutschsprachigen Ländern und Holland hat sich irgendwie verselbstständigt. Das ist jetzt auch dazugekommen und dort spielen wir genauso viel wie in der Schweiz, auch mit ähnlichen Zuschauerzahlen. Wir haben alle Hände voll zu tun erstmal (lacht).
hitparade.ch: Was ist sonst noch so geplant, weitere Pausen, Kinder und Platten?
Mark: Ich finde ja ganz toll, dass man nie genau weiss, was passiert. Es läuft ja in vielen Buden so, dass man jeden Tag an seiner Karriere arbeitet und sagt: Wenn alles gut läuft, dann hab ich in ein paar Jahren das und das und das… Bei uns heisst es eher: Wir wollen jetzt mal 2 Platten machen und dann schauen wir mal, wie es weitergeht. Ob man dann Kinder macht, oder eine Japan-Tour macht oder ob man dann nur noch Jazz spielt, das wissen wir selbst wirklich am wenigsten. Das macht das Ganze halt sehr spannend.
hitparade.ch: Drei Jahre habt ihr pausiert, zwei Babys sind auf die Welt gekommen. Was habt ihr sonst noch so gemacht in der Pause?
Mark: Als Jemand der jetzt kein Baby auf die Welt gesetzt hat kann ich sagen, es gibt natürlich viele Dinge, die man während einer solchen Pause tun kann. Wenn man das Thema Familie jetzt mal ausklammert, kann man sich auch mal auf die faule Haut legen und einfach nichts tun. Ich persönlich hatte in der Pause sehr stark das Bedürfnis Musik zu machen. Ich habe mit Freunden - jetzt vielleicht nicht so hochprofessionell wie ich das mit der Band mache - Musik gemacht. Ich habe mich dabei ertappt, dass wenn ich beruflich keine Musik machen "muss", dass ich dann Musik machen DARF. Schön, dass es sich auch nach sieben Jahren noch so anfühlt, als würde ich Spass bei der Arbeit haben (lacht). Und ich weiss, dass es auch in anderen Bereichen viel zu tun gab, davon kann Judith berichten.
Judith: Ja, durch die Kinder sind ein paar der Fantasien die ich hatte, was ich in der Pause denn alles so machen könnte, zusammengeschrumpft (lacht). Aber ich habe tatsächlich viel geschrieben und Pola hat tatsächlich gemeinsam mit einem Freund - mit Jörg Holdinghausen, der auf unserer Platte mitgewirkt hat - ein Nebenprojekt gemacht. Auch Jean und Mark haben jeweils mit Freunden was gemacht. Ich habe viel geschrieben - viel für mich selbst, vieles, das vielleicht noch länger braucht. Ich habe zum Spass angefangen Lieblingslieder zu übersetzen und viel Musik gehört.
hitparade.ch: Was habt Ihr denn am meisten vermisst in der Pause?
Mark: Ich habe dieses Studiogefühl auch in der Pause irgendwie gehabt, weil wir ja musikalisch nicht untätig waren, wie Judith gesagt hat. Was ich vielleicht ein bisschen vermisst habe, was das "Umsorgtsein", das man normalerweise auf Tour hat. Also nicht, dass ich jetzt regelmässig im Restaurant aufstehe und nicht zahle, weil ich das so gewohnt wäre, aber es hat halt schon einen gewissen Charme morgens aus dem Tourbus zu plumpsen und das Frühstück ist schon fertig (lacht).
Judith: Auch wenn es nur wellige Käsebrötchen sind (lacht)
Mark: Manchmal hat es auch was Erschreckendes, wenn man sich das Frühstück dann mal genauer anguckt, aber wenn das Frühstück mal nichts Erschreckendes hat, sondern passabel bis wohlschmeckend ist, dann ist das schon toll. Du wachst auf, und musst eigentlich nur noch die Tür finden zum Raum, in dem das Frühstück ist. Oder auch tolle Momente, die man vor, während und nach einem Konzert hat, die muss man sich erst mal abgewöhnen. Auf die freut man sich dann sehr, wenn man weiss, es geht bald wieder los.
hitparade.ch: Ihr habt das Label gewechselt und seid neu bei Sony Music. Was waren die Gründe dafür?
Judith: Die Gründe waren ursprünglich mal traurig, jetzt sind sie erfreulich. Wir gehören eigentlich zu den Bands, die immer glücklich waren bei ihrer Plattenfirma. Wir waren bei "Labels", was ein Indie-Label-Zusammenschluss war, der angeschlossen war an die EMI. Und der ist uns pünktlich zur Veröffentlichung unserer letzten Platte unter dem Hintern weggebrochen. Grosse Teile der Belegschaft wurden entlassen und es war ein Trauerspiel, viele Leute waren weg über Nacht, an denen wir sehr gehangen haben. Da unser Vertrag zu der Zeit ausgelaufen ist, gab es für uns dann keinen Grund mehr bei der EMI zu bleiben, weil die EMI nicht mehr die EMI war, mit der wir mal zu tun hatten. Wir haben uns dann sehr viel Zeit genommen, diesen familiären Bund, den wir da hatten, wieder zu suchen. Bei "4 Columbia" haben wir jetzt eine ähnliche Konfiguration gefunden: Wenige Leute die man kennt, man weiss, wer was macht, weil man die Leute regelmässig sieht. Wir wissen auch, dass die Sachen, die sie sonst noch machen wie Joy Denalane, Max Herre oder Miss Platnum, langen Atem haben. Dass sie also nicht auf kurzfristigen Erfolg und sonst gar nix angewiesen sind, sondern Geduld und Treue kennen.
hitparade.ch: Nun seid ihr aber bereits wieder voll unterwegs, noch vor irgendeinem Single- oder Album Release. Was hat euch dazu bewegt, früher mit den Live-Konzerten zu starten?
Judith: Ungeduld (lacht)
Mark: Eigentlich wirklich die scharrenden Füsse. Wir haben uns natürlich schon gefragt, ob man denn überhaupt live spielen kann, bevor das Album draussen ist. Strenggenommen könnte man sagen, man sollte es nicht übertreiben, aber es schadet sicher nicht ein wenig vorher live zu spielen und wenige neue Songs einzubauen ins Programm. Wir glauben, dass wir für das Programm diesen Sommer die richtige Dosis gefunden haben. Wir werden an Festivals spielen, auch an einigen richtig schönen Festivals, die wir nicht zufällig angenommen haben, die einen gewissen Charme haben und die wir auch schon kennen. Wir werden Altes und Neues auf die Bühne bringen und irgendwie haben wir das auch früher nicht anders gemacht.
hitparade.ch: Es hat ja wie gesagt 2 Kinder gegeben - das ist eine grosse Veränderung im Leben. Inwiefern hat diese Veränderung eure Musik und auch eure Texte beeinflusst?
Judith: Interessanterweise hat das zweite Kind bei mir einen Kreativitätsschub ausgelöst. Beim ersten Kind hatten mir die Leute immer gesagt "Wart's nur ab, das sprudelt dann nur so aus Dir heraus", es war aber nicht so. Sicherlich, weil ein grosser Teil meiner Aufmerksamkeit darauf verwendet wurde, überhaupt Mutter zu werden. Beim zweiten Kind war es dann tatsächlich so, obwohl ich schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte. Schon direkt nach der Geburt bin ich übergesprudelt vor Ideen und hatte eigentlich gar keine Zeit, die alle aufzuschreiben. Aber es kamen viele neue Ideen und das war toll. Was das Kinderhaben sicher auch mit sich bringt ist eine grosse Kompromisslosigkeit, die sich - wie ich finde - sehr schön auf die Kunst auswirkt. Kinder rücken die Priorität zurecht und machen klar, dass alles was man macht sich daran misst, dass man auch Zeit mit den Kindern verbringen kann. Deswegen verspüre ich eine grosse innere Entschlossenheit nur noch Sachen zu machen und Energie in Sachen zu stecken, die mir auch Energie zurückgeben. Was Anderes kann ich mir gar nicht mehr leisten, sonst habe ich keine Energie mehr. Man wird sehr eindeutig in dem, was man macht.
hitparade.ch: Auf der einen Seite ist die Familie, auf der anderen Seite die Band. Wie schafft ihr diesen Spagat zwischen den zwei Welten?
Judith: Es ist ein riesiger Spagat, bei dem sich regelmässig die Jeans aufreisst (lacht). Es ist ein übergrosser Spagat und es ist eigentlich nicht ohne Blessuren zu schaffen. Ich glaube die einzige Möglichkeit das trotzdem zu machen ist, dass man einsieht, dass man es macht, weil der Drang das zu machen und die Liebe zur Musik und zu dieser Band überwiegt - und nicht weil man muss. Es ist freiwillig, und es gibt Gestaltungsmöglichkeiten. Also ich spüre eine grosse innere Verpflichtung das so zu gestalten, dass ein lebbares Konzept dabei herauskommt. Alles andere wäre ein fahrlässiger Umgang mit der Band - die auch mein Baby ist.
hitparade.ch: Es heisst, ihr hättet das Album komplett live eingespielt. Heisst das, ihr habt die Songs komplett als Band im Studio eingespielt wie an einem Konzert?
Mark: Wir haben ja als Band auch schon andere Erfahrungen gemacht, weil wir uns immer sehr detailliert in die Arrangements und Produktionen reinsteigern. Wir haben dann auch schon versucht, die Stücke, erst nachdem sie fertig aufgenommen und produziert worden waren, gemeinsam zu spielen. Das hat es alles schon gegeben. Bei dieser Platte war eigentlich schon sehr früh die Entscheidung klar, dass wir sie live einspielen. Das heisst jetzt nicht, dass man alles live einspielt. Man spielt es einfach als Band, kann aber immer wieder was austauschen. Diese Dynamik, die entsteht, wenn mehrere Instrumente gleichzeitig spielen und aufeinander abgestimmt sind, ohne Metronom, wo der Schlagzeuger ein Klickgeräusch im Ohr hat, an das er sich metrisch halten muss, muss man ausprobieren. Das ist etwas, das wir nur von der Bühne kennen. Wir wollten das mal verknüpfen. Das war die Veränderung, die wir gespürt haben bei der Produktion.
hitparade.ch: Dann dauerten die Aufnahmen nicht so lange wie sonst…?
Judith: Schön wär's! (lacht). Nein, wir haben und trotzdem sehr viel Zeit genommen. Wir waren 3 Monate im Studio, haben davon aber 4 Wochen geprobt. Also ein bisschen kürzer war es eigentlich schon, denn normalerweise haben wir 3 bis 4 Monate aufgenommen, diesmal war die reine Aufnahmezeit 2 Monate. Was aber natürlich trotzdem total luxuriös lange ist. Und wir haben viel gefeilt, also dieses trickelige und detailverliebte hat schon noch eine grosse Rolle gespielt. Wir wollten einfach dass das Grundgerüst lebendig und live eingespielt ist, und dann haben wir immernoch ein kleines Bisschen hier und ein kleines Bisschen dort dazugemacht.
Mark: Wir sind auch keine Band, die von zehn Uhr Morgens bis vier Uhr Nachts im Studio steht. Nur schon wegen der vielen vielen Kinder. Für den Produzenten ist das gewöhnungsbedürftig früh, wenn eine Band so früh nach Hause geht. Also er hat sich anfangs schon ein paar Mal die Augen gerieben. Dadurch verlängert sich natürlich die Produktionszeit.
hitparade.ch: was sind die Vor- und Nachteile wenn man sein Album so produziert?
Mark: Also ein Vorteil ist die Energie, die man in die Musik bringen kann. Die Art, wie die Platte klingen soll, ist natürlich geschmackssache, aber wenn man es so haben will, ist es klar ein Vorteil. Man hat erreicht, was man energetisch irgendwie aufnehmen wollte. Ein Nachteil kann sein, dass man nicht mehr alles austauschen kann. Wenn man mit einem Metrum Schicht für Schicht aufnimmt, dann kann man wesentlich strukturierter arbeiten, es hat eine andere Dynamik, viele viele Platten entstehen so. Das wäre der Normalfall, wenn man so aufnimmt. Man kann dann viel eher, wie beim Lego-Bauen, Teile raus- und wieder reinnehmen. Das ist ein praktischer Vorteil, bei dem der Produzent genau rechnen kann, wie lange was dauert.
hitparade.ch: Nun aber zum Album, "Bring mich nach Hause". Als Erstes haben wir natürlich die mitgeschickten Covers und Pressebilder angeschaut. Schaut ja aus wie ein Gangster-Quartett von 1873, irgendwie. was habt ihr euch denn so dabei gedacht?
Judith: Was zum Teufel hat sich die Band dabei gedacht? (lacht). Ich persönlich kann sagen, dass ich dieses Mal das ganz starke Bedürfnis habe, das Album visuell auszudrücken. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich es diesmal schwerer finde, über die Texte zu reden, weil die sehr persönlich sind. Es ist nicht so leicht darüber zu sprechen, wie über Lieder wie "Guten Tag" oder so, wo man ewig abschweifen kann und Dinge erzählen kann, die längst nichts mehr mit dem Song zu tun haben. Das Album hat für mich was cinemathografisches, ich sehe viele Bilder und einen Film, ohne Film. Dann haben wir uns überlegt, wie wir dieses Album verkörpern können und für uns haben diese Pressebilder und auch dieses Cover unterschiedliche Aspekte dieses Albums visualisiert. Erstens natürlich diesen Vintage-Aspekt - die Platte klingt ein bisschen vintagemässig, die siebziger des vorletzten Jahrhunderts - ein bisschen das folkloristische aber auch, ein bisschen Hippie und auch eine gewisse Dunkelheit und Schroffheit, die sich vielleicht in diesem von Dir bezeichneten Gangster-Look zeigt. Für uns hat es dies alles sehr schön eingefangen. So ein bisschen das Filmplakat zu einem Film, den wir nicht gedreht haben. Noch nicht. (lacht).
hitparade.ch: Was uns beim Durchhören etwas aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass es mehrheitlich ruhig und locker gehalten ist. Kracher wie wir es sonst kennen wie "Denkmal" oder "Gekommen um zu bleiben" sind nicht viele vorhanden… War das von Anfang an so geplant?
Judith: Nö.
Mark: Eigentlich nicht. Zum Glück ist immer sehr wenig geplant, wenn wir loslegen. Wir haben sehr viele Sachen ausprobiert musikalisch und haben letztendlich schon die Farbe des Albums immer mehr dadurch erlangt, dass wir die Musik und das musikalische Gewand um die Texte gelegt haben und umgekehrt. Es gab Texte, die von Judith schon da waren, die sich natürlich auf musikalische Ideen legen, die dazu passen. Die Musik wurde mehr durch die Texte beeinflusst als umgekehrt. Es ist schwer zu sagen, es ist ein grosses Rätsel.
Judith: Auf jeden Fall sind wir keine Band, die mit einem Konzept ins Studio geht. Was mich aber sehr gefreut hat, als ich das Album das erste Mal in seiner Gänze durchgehört habe, dass es sich für mich anhört wie ein unbeabsichtigtes Konzept. Das war das erste Mal so. Durch eine zufällige Reihenfolge, die wir höchstens aufgrund der musikalischen Aspekte so gewählt hatten, wird eine Geschichte erzählt. Aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Das ist das erste Mal so ein richtiger roter Faden.
hitparade.ch: Ein Song, der etwas gar deftig einfährt so beim unbekümmerten Durchhören, ist "Meine Freundin war im Koma". Was war da geschehen, dass ihr so einen Song zu diesem Thema gemacht habt?
Judith: Das war für mich und für uns alle kein einfaches Lied und auch keine einfache Entscheidung, ob wir den wirklich mit auf's Album nehmen. Den habe ich aus der Notwendigkeit heraus geschrieben, einen Song zu schreiben, weil eine Freundin von mir tatsächlich einen schweren Unfall hatte und dieses Lied wäre definitiv nicht auf der Platte gelandet, wenn es dieser Freundin nicht gut gehen würde. Das kann man natürlich nur aus so einer Position heraus schreiben. Wir haben uns lange gefragt, ob das vielleicht zu drastisch ist, oder zu seltsam auch einfach. Aber zum Schluss haben wir uns gedacht, dass eigentlich genau dieses Seltsame und Überraschende und vielleicht auch Schockierende eine Möglichkeit ist, sich in einem Song dem Thema Schock zu nähern. Wenn es um einen Schock geht, dass man diese ganze Ungereimtheit zu einem Lied machen kann.
hitparade.ch: Wie viele Stunden lang habt ihr Woodstock, CCR, Hendrix und Free gehört und Easy Rider geschaut, bis ihr den Sound zu "Im Auge des Sturms" hattet?
Judith: Also, auf mein Leben umgerechnet einige Stunden (lacht).
Mark: Das kann glaube ich keiner beantworten. Wir haben bei dem Song Einiges geschehen lassen. Auch beim Gitarrensolo hiess es: Mach doch mal. Der Song "Im Auge des Sturms" hat insgesamt etwa 4 oder 5 Jahre nach seinem musikalischen Gewand gesucht. Wir haben öfters schon versucht, diesen Text zu vertonen. Das ist erst jetzt so geschehen, dass wir das Gefühl hatten, Text und Musik gehören zusammen. Es ist erst auf dieser Platte so entstanden, obwohl der Text beim letzten Album auch schon da war.
Judith: Der Song ist zeitgleich mit "Denkmal" entstanden. Der ist acht Jahre alt.
Mark: Lautmalerei, die einem erstmal gelingen muss…
Judith: Wir wollten einen Sturm und irgendwie wurde es ein Kraut-Rock-Hippie-Sturm…
hitparade.ch: "Alles" ist die Single, die wir bald zu hören bekommen. Wieso fiel die Wahl auf diesen Song?
Judith: Das war nicht leicht, aber wir hatten am Ende das Gefühl, dass er die zwei Seiten des Albums ganz gut eröffnet. Dass er diese melancholische Seite in sich trägt, und auf der anderen Seite auch was unterschwellig Euphorisches hat. Ich habe das Gefühl es geht auf dem Album unheimlich viel um Verlorenheit und Verzweiflung, aber auch um schlichte Erlösungsfantasien. In dunklen Varianten wie bei "Bring mich nach Hause", aber auch in ganz Hellen. Der Song "Alles" hat Beides in sich. Für mich ist das so ne Art Gospel, da geht's ums Verlorensein und auf humoristische Art und Weise auch um Zwangserlösung mit einem Schlag auf den Hinterkopf.
hitparade.ch: Welche Songs dieser Platte werdet ihr ab Herbst auf Tour den Fans präsentieren?
Mark: Diese Frage versuchen wir in diesen Tagen zu beantworten, indem wir proben. Wir haben auch ein bisschen umgestellt was unsere Live-Besetzung betrifft, wir sind ja traditionell schon in den letzten Jahren immer mehr als vier Personen auf der Bühne gewesen. Jetzt sind wir zu sechst und spielen vieles vieles vieles vom neuen Album und ich glaube dass wir eine gute Handvoll Lieder mitbringen. Ich möchte mich aber nicht festlegen, welche genau wir spielen werden, denn auf der Tour werden wir die Songs den Leuten zeigen und einfach mal ausprobieren und gucken, wie sich das so anfühlt. Das ist ja für beide Seiten beschnuppern. Wir haben seit 3 Jahren nicht mehr live gespielt und haben diese Lieder noch nie öffentlich vorgetragen. Wir haben sie aufgenommen und Leuten gezeigt, das ist was ganz Anderes als sie zu spielen. Das versuchen wir jetzt für uns ein bisschen herauszufinden. Dafür müsst ihr jetzt alle einfach herhalten, auch in der Schweiz (lacht).
hitparade.ch: Ihr habt es auch schon ausserhalb des deutschen Sprachraums mit französischen und japanischen Songs versucht. Was war das für eine Erfahrung?
Judith: Es war ein bisschen eine von Wehmut geprägte Erfahrung, weil wir das Ganze eigentlich aus einem Spieltrieb heraus gemacht haben. Wir haben uns Sprachen ausgesucht, abgesehen von Französisch, die ich eigentlich nicht beherrsche - Japanisch und Chinesisch hatte ich zuvor noch nie ausprobiert. Und dann dachten wir: Machen wir weiter mit Ungarisch. Also alles Sprachen von denen keiner gedacht hätte, dass wir die könnten. Und dann kamen tatsächlich Anfragen, ob wir da nicht touren wollen, in Japan beispielsweise. Es gab so ein mildes Interesse, und damit hatten wir eigentlich nicht gerechnet. Auch in Frankreich. Aber dann hiess es: Wenn ihr in Frankreich wirklich was reissen wollt, dann müsst ihr dort genauso viel Promo machen wie in Deutschland. Von da an war das Thema für uns gegessen. Wir hatten da schon ein 5 Monate altes Kind mit auf Tour und es war völlig klar, dass es zwar ganz toll und aufregend wäre, aber dass der Zug für uns erstmal abgefahren ist. Das war schon schade, denn nach Japan wären wir wahnsinnig gerne gefahren. Und bei Frankreich war Polas Mutter traurig - er ist dreiviertel Franzose, dass es nicht geklappt hat (lacht).
hitparade.ch: Das wär vielleicht mal was in der Zukunft…
Judith: Wenn die Kinder dann mal grösser sind vielleicht. Aber wir haben ja viel zu tun mit den deutschsprachigen Ländern und Holland hat sich irgendwie verselbstständigt. Das ist jetzt auch dazugekommen und dort spielen wir genauso viel wie in der Schweiz, auch mit ähnlichen Zuschauerzahlen. Wir haben alle Hände voll zu tun erstmal (lacht).
hitparade.ch: Was ist sonst noch so geplant, weitere Pausen, Kinder und Platten?
Mark: Ich finde ja ganz toll, dass man nie genau weiss, was passiert. Es läuft ja in vielen Buden so, dass man jeden Tag an seiner Karriere arbeitet und sagt: Wenn alles gut läuft, dann hab ich in ein paar Jahren das und das und das… Bei uns heisst es eher: Wir wollen jetzt mal 2 Platten machen und dann schauen wir mal, wie es weitergeht. Ob man dann Kinder macht, oder eine Japan-Tour macht oder ob man dann nur noch Jazz spielt, das wissen wir selbst wirklich am wenigsten. Das macht das Ganze halt sehr spannend.